Wonne auch ohne Windel

Eltern berichten öfter von depressiven Verstimmungenals Kinderlose

VON BARBARA DRIBBUSCH

Wenn Frauen ihre Lebensläufe miteinander vergleichen, bringt die folgende Frage jede Diskussion in Schwung: Sind Mütter und Väter, trotz aller Entbehrungen, nicht auf jeden Fall glücklicher als die Kinderlosen, die spätestens im Alter ihre verpassten Familienchancen bejammern? Oder ist es umgekehrt? Weiter angeheizt wird der Streit nun durch eine neue Studie aus den USA: Dort haben Forscher herausgefunden, dass Eltern im Schnitt öfter von depressiven Verstimmungen berichten als Kinderlose.

Die traurigere Stimmung bei den Eltern zeigte sich unabhängig davon, ob es sich um Männer oder Frauen handelte. Die meisten Gruppen der Eltern berichteten „von deutlich mehr Depressionen“ als Kinderlose, resümierten die Forscher der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee in der Studie, die unter dem Titel „Clarifying the Relationship Between Parenthood and Depression“ im Journal of Health and Social Behavior kürzlich veröffentlicht wurde.

Bei ihrer Untersuchung benutzten die Experten Datenmaterial von 13.000 US-Amerikanern, die nach depressiven Symptomen befragt wurden wie etwa Einsamkeitsgefühlen, Konzentrationsschwierigkeiten, Ess- und Schlafstörungen. Dies unterscheidet die Erhebung von anderen Glücksstudien, wo Menschen ihr subjektives Gefühl von „Zufriedenheit“ angeben müssen.

In der neuen US-Studie zeigt sich allerdings ein Unterschied zwischen den Elterngruppen: Alleinerziehende haben es schwerer als verheiratete Paare. Auch Mütter und Väter, die kein Sorgerecht für ihre Kinder besaßen, zeigten mehr Traurigkeit. Wenn die Kinder noch klein sind, haben die Eltern überdurchschnittlich oft mit Verstimmungen zu kämpfen. Keine der Elterngruppen zeigte geringere depressive Anzeichen als die Kinderlosen.

„Im Unterschied zu anderen wichtigen sozialen Rollen in den USA ist die Elternschaft nicht mit einem niedrigeren Level an depressiven Symptomen verbunden“, erklären die Forscher. Während beispielsweise eine befriedigende Arbeit für das Glück der Menschen nachweisbar ist, ist das bei der Mutter- oder Vaterschaft nicht der Fall.

Aber was ist später im Leben? Kommt dann die große Belohnung, wenn im Rückblick doch die Kinder das Wichtigste sind, was bleibt? Diese Annahme wird durch die US-Studie nicht gestützt. Eltern, bei denen die Kinder schon flügge sind, unterscheiden sich „nicht signifikant von ihren kinderlosen Altersgenossen, was die depressiven Symptome betrifft“, so die Forscher Ranae J.Evenson und Robin W. Simon.

Diese Erkenntnis der US-Forscher wird bestätigt durch eine groß angelegte Zwillingsstudie, die Datenmaterial aus Dänemark verwendete. „Eines unserer faszinierenden Ergebnisse war, dass der Effekt der Elternschaft auf das subjektive Wohlgefühl von Männern und Frauen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren relativ klein ist – wenn er denn überhaupt existiert“, resümierten die Forscher um den Wissenschaftler Axel Skytthe vom Danish Center for Demographic Research.

Vergleiche unter eineiigen Zwillingen wie jene in Dänemark sind wertvoll für die Glücksforschung, weil dabei genetische Effekte und auch bis zu einem gewissen Grade Kindheitserfahrungen ähnlich sind und deshalb herausgerechnet werden können. Dass die erbliche Grundausstattung wie die Sozialisation eine nicht geringe Rolle spielen bei der Fähigkeit zum Glücklichsein, ist nämlich inzwischen die Meinung vieler Forscher.

Wenn also ein zur Melancholie tendierender Mensch in späteren Jahren all sein Unglück auf seine Kinderlosigkeit schiebt, so sagt das nicht unbedingt etwas aus über Kausalitäten, wohl aber möglicherweise über die Selbstzuschreibungen von zu Depressionen neigenden Menschen.

Dennoch gibt es die persönliche Einschätzung, dass es einem nach der Geburt des ersten Kindes besser gehe als zuvor. Dies ergab die dänische Studie, die im Unterschied zur US-Erhebung aber nach dem allgemeinen subjektiven Wohlbefinden fragte und nicht nach dem Vorhandensein depressiver Symptome. Dieses Wohlbefinden vermindert sich im Übrigen, wenn die Frauen mehr Kinder haben. Möglicherweise spielt hier der soziale Kontext eine Rolle: Bei mehreren Kindern empfinden Frauen die Last der Mutterschaft stärker als die emotionale Belohnung. Bei Männern steigt das subjektive Wohlbefinden gleichfalls mit dem ersten Kind an. Ist das Kind ein Junge, ist das Glück sogar um 75 Prozent größer als bei einem Mädchen, ergab die dänische Studie. Auch dies könnte ein Beweis sein, dass Wertesysteme – nämlich die Höherschätzung von Jungs – in die Selbstzufriedenheit einfließen. Bei Müttern gibt es keine unterschiedlichen Reaktionen auf das Geschlecht des ersten Kindes.

Sowohl in der US- als auch in der dänischen Studie zeigte sich, dass eine funktionierende Partnerschaft entscheidender war für das Wohlbefinden als die Elternschaft. Doch genau die Partnerschaft wird in der Kinderphase auf eine harte Probe gestellt.

Der deutsche Publizist Stefan Klein hat in seinem Bestseller „Die Glücksformel“ unter Berufung auf mehrere Studien die Kurve der Lebenszufriedenheit von Elternpaaren beschrieben: „Das Glück in der Partnerschaft sinkt bereits während der Schwangerschaft und erreicht seinen ersten Tiefpunkt, wenn das älteste Kind im Krabbelalter ist. Danach geht es wieder etwas aufwärts, bis beim ältesten Kind die ersten Anzeichen der Pubertät auftreten. Offenbar sind Teenager für die Liebe der Eltern noch belastender als Kleinkinder. Ist der letzte Sprössling aus dem Haus, erreicht die Zufriedenheit der Eltern wieder ungefähr den Pegel, den sie vor dem Kindersegen hatte.“

Von Mensch zu Mensch kann das Erleben aber sehr unterschiedlich sein: Manche Mütter empfinden gerade das leere Nest nach dem Abschied der Kinder nicht als Befreiung. Jedenfalls sind Elternschaft oder Kinderlosigkeit keine Ausreden, weder für das persönliche Glück noch das Unglück. Kinder sollten dazu nicht benutzt werden.