Spektakuläre Selbstauflösung von Musik und sonstige Sonderbarkeiten: Neues von Raz Ohara und Ninca Leece

Diesmal hat es Raz Ohara aufs Land verschlagen. Als dänischer Wahlberliner, Großstadtmensch, als Technomusiker und Produzent mag ihm das wohl wie eine dramatische Richtungsentscheidung vorgekommen sein. Keine stinkenden Clubs, keine chemischen Drogen, keine durchtanzten Nächte. Stattdessen: gemütliche Stunden in der Abendsonne, zirpende Grillen, Wind in den Weiden, so ein Zeug halt. In der Folge gibt es nun Fotos, in denen Ohara das Wasser eines brandenburgischen Sees bis zum Hals steht. Und man kann versuchen zu ermitteln, ob sich „II“ anders anhört als diese ganze andere Musik heutzutage, die nur in einem Berliner Hinterhofwohnzimmer am Laptop eingespielt wurde.

Womöglich ist ja tatsächlich Mutter Natur schuld, dass das neue und bei dem Titel leicht erkennbar zweite Album von Raz Ohara And The Odd Orchestra noch ein wenig verspielter klingt als das erste. Vielleicht ist das ganze Grünzeug auch verantwortlich dafür, dass der knisternde Jazz nurmehr eine Nebenrolle einnimmt und abgelöst wurde von Stimmungen, die man eher im Folk verorten würde. Vielleicht aber auch nicht, denn ansonsten bleibt vieles beim Alten: Die Songstrukturen lösen sich auf, die Beats verlieren stets schnell ihr Ziel, und irgendwann forscht eigentlich fast jeder Track nurmehr einer sehr ungewissen Laune nach. Dazwischen zirpt und blubbert es, die Gitarre von Tom Krimi klappert so vor sich hin, wenn nicht gerade Oliver Dorell, das letzte Drittel des merkwürdigen Orchesters, ein paar Geräusche durchs Wohlgefühl wabern lässt. Aber ob diese Sounds nun aus einem angrenzenden Wald stammen oder direkt aus dem Computer kommen, ist letztlich egal. Denn sehr notdürftig zusammengehalten wird diese fein ziselierte, wundervoll konstruierte Atmosphärenmusik eh nur von Oharas Vokalakrobatik. Selten ging die Selbstauflösung von Musik so spektakulär vonstatten. Live zu hören ist die am heutigen Freitag zusammen mit der aus Georgien stammenden Sängerin Natalie Beridze um 21.30 Uhr im HAU 2.

Ninca Leece dagegen hat es nach Berlin verschlagen. Die in Rennes geborene Französin studierte in Rotterdam Musik, aber vermutlich nicht den Minimal Techno und die House Music, die sie nun sehr versiert programmiert. Die souverän pluckernden Beats fusioniert sie auf ihrem Debütalbum „There Is No One Else When I Lay Down And Dream“ mit einem bewundernswert naiven Willen zum Pop und einem charmant akzentgeschwängerten Gesang. Diese Kombination funktioniert viel besser, als man hätte denken sollen: Tracks wie „The Beast“ kann man sich in einem schäbigen Kellerclub gut vorstellen, das pumpende „On Top Of The World“ dafür in einer glitzernden Großraumdisco.

Die Gefahr allerdings, dass Leece demnächst Lady Gaga oder gar Kesha Konkurrenz macht, besteht aber trotzdem nicht. Da sind noch ein paar ungeschliffene Ecken und Kanten in den von Leece produzierten Stücken, und anderes wiederum ist viel zu experimentell für die Charts. Selten ging die Verweigerung einer Popstarkarriere so eingängig vonstatten. THOMAS WINKLER

■ Raz Ohara And The Odd Orchestra: „II“ (Get Physical/Rough Trade), am 19. 3. im HAU2

■ Ninca Leece: „There Is No One Else When I Lay Down And Dream“ (Bureau B/Indigo), am 3. 4. im Farbfernseher