Wohngemeinschaftliches Geschäft

WOHNUNGSMARKT Angesichts des knappen Wohnraums solle man sich wohl freuen, überhaupt noch ein Zimmer zu finden: Mieter entdecken Untervermietung als Geschäftsmodell für einen Nebenverdienst

Ein Zimmer in einer 76-Quadratmeter-Wohnung im Schillerkiez für 295 Euro warm? So etwas nennt man heute einen Glücksgriff. Auch Anna Kottmeier dachte das, als sie vor einiger Zeit in die Dreier-WG in Nordneukölln zog. „Der Hauptmieter war ein Bekannter von mir“, erzählt die 26-Jährige. Das ersparte ihr endlose Besichtigungen und WG-Castings. Alles paletti also, oder?

Stutzig machte Kottmeier aber schon, dass die Miete für ihren 12-Quadratmeter-Raum frei Hand festgesetzt wurde – nicht etwa nach dem Addieren der Anteile von Kaltmiete, Nebenkosten und Strom. Erst ein halbes Jahr später erfuhr sie, dass der Hauptmieter selbst für die gesamte Wohnung 540 Euro warm bezahlte – von ihr und ihrer Mitbewohnerin, der Dritten im WG-Bunde, aber insgesamt 625 Euro einstrich: ein ordentliches Geschäft.

Solche Geschichten hört man in Zeiten knappen Wohnraums immer wieder. Wenn HauptmieterInnen Zimmer überteuert untervermieten, verschwimmen die Grenzen zwischen einer Wohngemeinschaft mit Betonung auf „Gemeinschaft“ und dem Modell, mit wenig Aufwand einen Nebenverdienst einzustreichen. Der Mitbewohner, mit dem man morgens Kaffee in der gemeinsamen Küche trinkt, handelt in Wirklichkeit nach ökonomischem Kalkül.

Auf wg-gesucht.de, der wohl meistgenutzen Netzplattform für die WG-Zimmersuche in Berlin, steigen die Preise kontinuierlich. In begehrten Stadtteilen wie Friedrichshain, Kreuzberg und Nordneukölln werden bis zu 500 Euro für ein Zimmer fällig, selbst wenn es sich nicht um eine neu gegründete Wohngemeinschaft handelt. Viele Angebote zur Zwischenmiete, für möblierte Zimmer oder Annoncen wie „Schönes WG-Zimmer am Boxi mit Fahrrad“ verweisen auf eine Mitnutzung, die dem Hauptmieter aus einem finanziellen Engpass hilft oder vielleicht den Urlaub finanzieren lässt.

Aber was hatte sich der Hauptmieter von Anna Kottmeiers WG dabei gedacht, dass ihm seine UntermieterInnen die gemeinsame Wohnung und sogar noch ein kleines Zubrot bezahlten? Eigentlich will der 28-Jährige auf Nachfrage dazu nichts sagen. Nur so viel: Die Kücheneinrichtung verliere durch die Abnutzung an Wert – und außerdem habe er selbst viel Zeit aufgewendet, um die Wohnung zu finden.

„Wir hatten keine Untermietverträge, nur mündliche Absprachen“, erzählt Kottmeier. Was der Hauptmieter selbst für die Wohnung bezahlte, wusste sie lange nicht.

Rechtlich ist das alles völlig lupenrein, wie Wiebke Werner, Sprecherin des Berliner Mietervereins, erklärt: „Hauptmieter und Untermieter stehen im gleichen Verhältnis zueinander wie Vermieter und Hauptmieter.“ Sprich: So wenig wie der Vermieter dem Mieter den ursprünglichen Kaufpreis der Wohnung offenlegen muss, ist der Hauptmieter verpflichtet, dem Untermieter die Höhe seiner Mietzahlungen zu offenbaren.

Hat der Vermieter einmal eingewilligt, dass untervermietet werden darf, kann der Hauptmieter den Untermietpreis nach Gusto festsetzen. Nur Paragraf 5 des Wirtschaftstrafgesetzes könnte ihm einen Strich durch die Rechnung ziehen: Der besagt, dass eine Wohnraummangellage nicht ausgenutzt werden darf, um „unangemessen hohe Entgelte“ einzustreichen. „In Berlin hat das bisher noch keine Anwendung gefunden“, sagt Wibke Werner. Zu groß sei der Auslegungsspielraum, ob die Not des Wohnungssuchenden ausgenutzt wurde. Auch wenn derzeit nach Schaltung einer WG-Anzeige im Schnitt 100 Anfragen am Tag eintreffen.

„Es ist nicht mehr so einfach, in Berlin ein WG-Zimmer zu finden. Trotzdem habe ich versucht zu verhindern, dass mir so etwas noch mal passiert“, meint Anna Kottmeier. In ihrer neuen WG gibt es eine für alle zugängliche Schubladen, in der alle wichtigen Unterlagen aufbewahrt sind – auch der Hauptmietvertrag.

NIKOLA ENDLICH