Der große Bilderfabrikant

Ein gelungenes Bild im Jahr, bei hunderten von Bildern pro Arbeitstag, freut Thomas Hoepker. Im Fotomuseum des Münchener Stadtmuseums läuft die Retrospektive des Meisters der Bildstrecke

VON MATTHIAS REICHELT

Junge Leute an einem sonnigen Morgen mit strahlend blauem Himmel bei einem Plausch in Williamsburg am East River – und über der Skyline Manhattans liegt eine dicke Rauchwolke: Es ist der 11. September 2001. Die Gelassenheit der Menschen so nah am Geschehen wirkt brutal und gefühlskalt und dennoch ist sie Spiegelbild unseres medialen Verhaltens bei Katastrophen. Wir sind zum Zuschauen verdammt, aber ebenso daran gewöhnt, wenn uns die alltägliche Portion Katastrophe frei Haus auf den Bildschirm geliefert wird. Viele Kollegen von Thomas Hoepker hatten versucht, möglichst nah an die eingestürzten Twin Towers heranzukommen, was ihm misslang, weil die Brücke nach Manhattan bereits gesperrt war. So musste Hoepker aus der Ferne fotografieren. Auf diese Weise ist ihm ein Bild gelungen, das Anlass bietet, über Distanz und Nähe, Abstumpfung und Empathie für Gewalt und Katastrophen im 21. Jahrhundert zu reflektieren.

Zur richtigen Zeit am richtigen Platz zu sein gilt als Glücksfall und Bedingung des Bildjournalismus. Thomas Hoepker, Jahrgang 1936, war schon mal zur rechten Zeit geboren. Seine Karriere begann 1960 bei der Münchner Illustrierten; den Beginn der qualitativ hochwertigen Bildreportage in der Bundesrepublik konnte er in den folgenden Jahren entscheidend mitprägen und bis zum Höhepunkt Ende der Achtzigerjahre an hervorragender Stelle begleiten.

1961 ging er zu Kristall. Beim Springer Verlag konnten unter dem Chefredakteur und ehemaligen SS-Mann Horst Mahnke neben groß angelegten Bildstrecken auch die kriegsverherrlichenden und revanchistischen Berichte eines Paul Carell alias Paul Karl Schmidt, vormals SS-Obersturmbannführer und Pressesprecher von NS-Außenminister Ribbentrop, erscheinen. Kristall besaß ein ausgesprochen modernes Layout und war nicht nur für Hoepker, sondern auch für Robert Lebeck und den Journalisten Rolf Winter eine neue Herausforderung. Auf ausgedehnten Reisen entstanden spannende Reportagen, zu denen Rolf Winter die Texte schrieb und Thomas Hoepker meist in Schwarzweiß die Bilder lieferte.

Eine schwarze Faust, gestochen scharf und bedrohlich nahe aus dem Bild heraus direkt auf das Gesicht des Bildbetrachters gerichtet. Dahinter etwas verschwommen und dennoch deutlich erkennbar der medienwirksamste Schwergewichtsboxer aller Zeiten: Muhammad Ali. Dieses Bild erschien 1966 als Aufmacher einer Reportage im Stern über zwei Seiten gedruckt. Mit dieser Pose des zum muslimischen Glauben konvertierten Cassius Clay porträtierte Thomas Hoepker sowohl den Boxchampion als auch das Symbol des neuen afroamerikanischen Selbstbewusstseins in den noch enorm rassistischen USA. Den Text dieser Reportage schrieb seine spätere Frau Eva Windmöller, die nach dem deutsch-deutschen Grundlagenvertrag 1973 eine der ersten akkreditierten Journalistinnen in der DDR wurde und dorthin von Thomas Hoepker begleitet wurde.

Schon 1963 war unter dem Titel „Das andere Amerika“ eine Hoepker-Reportage erschienen, die vielen Bundesdeutschen die Augen für die unbekannten und tragischen Facetten des „American Way of Life“ öffnete, von dem sie sich mangels Reisemöglichkeiten keinen eigenen Eindruck machen konnten. Viele Bilder dieser Zeit brauchen den Vergleich mit Robert Franks Meisterwerk „The Americans“ nicht zu scheuen und gehören zu den herausragenden Arbeiten Hoepkers. Sie sind wie das legendäre Muhammad Ali-Porträt in das kollektive Bildgedächtnis der älteren Generation eingegangen. 1964 engagierten Bildredakteur Rolf Gillhausen und Chefredakteur Henri Nannen Hoepker für den Stern, nebenher veröffentlichte er auch im legendären Magazin Twen.

Neben vielen Schwarzweißserien aus der Kristall-, Stern- und Twen-Zeit umfasst seine große Retrospektive im Münchner Stadtmuseum auch Farbserien brillanter Landschaftsfotografien, die er vor allem für die Zeitschrift Geo machte, für deren amerikanische Ausgabe Hoepker von 1977 bis 1981 als Executive Editor fungierte. In einem Filmportrait Hoepkers von Christian Schad, das in Auszügen in der Ausstellung zu sehen ist, verdeutlicht der „Bilderfabrikant“ – wie sich Hoepker selber bezeichnet – sein journalistisches Credo, das mit den Bedingungen heutiger Medienpolitik, der geforderten Geschwindigkeit und Sensationsgier aufgrund des verschärften Kampfs um Auflage, nicht mehr vereinbar ist. Man müsse sich intensiv mit jedem Thema auseinander setzen und die zu porträtierende Person gut kennen lernen und Zeit mit ihr verbringen.

Die Bilderflut, die per Internet, Printmedien und Fernsehen täglich über uns schwappt, das immer stärker von Werbung durchsetzte Layout und das geringe Budget sind der Tod der gründlich recherchierten Bildreportage. In jenen goldenen Zeiten beim Stern, erinnert sich Hoepker, war es nicht selten, dass die Chefredaktion ihn nochmals auf die Reise schickte, weil das Resultat noch nicht überzeugte. Der entscheidende Augenblick, in dem sich Situation, Licht und Komposition zu einem einzigartigen Bild verdichten, ist sehr selten. Über ein gelungenes Bild pro Jahr, trotz hunderter von Bildern pro Arbeitstag, freut sich Thomas Hoepker.

Bis 28. Mai, Katalog (Schirmer und Mosel), 29,80 €