Kleiner Gott im Hirn

Suche nach Spiritualität: „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ und „Satori Chicken“ im Thalia in der Gaußstraße

Der Zwang zur Konformität und die Suche nach Spiritualität in der postmodernen Gesellschaft beschäftigen die beiden Inszenierungen „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ und „Satori Chicken“. Im Rahmen des Theaterfestivals „Weibsstücke“ im Thalia Theater in der Gaußstraße bringen die Studentinnen der Schauspieltheater-Regie an der Theaterakademie in Hamburg, Nai Wen Chang und Jette Steckel, diese Themen auf den dramatischen Punkt.

„Yvonne, die Burgunderprinzessin“ (Johanna Fülle) taucht aus dem Abgrund des schwarz-weißen Bodenbelags am morbiden Hof des dickleibigen König Ignaz (C. C. Weinberger) auf. Apathisch steht die junge Frau im hautfarbenen Kleid einfach nur da, schweigend, mit geschlossenen Augen. Die optimale Projektionsfläche für die Ängste, sexuellen Phantasien und Aggressionen der Frauen und Männer im kleinen Hofstaat. Sie alle rasten auf ihre Art aus angesichts der unangepassten Leblosen: Rennerei, Keiferei, Anbaggerei. „Wie kann ich normal sein, wenn jemand anderes abnormal ist“, schreit König Ignaz hysterisch, während der Kammerherr tödliche Pläne schmiedet.

Mit dem schwarz-weißen Fußboden schaffen die Bühnenbild-Studentinnen Bettina Schürmann und Sophie Domenz eine ebenso funktionale wie ausdrucksstarke Bilderwelt. Flott wandeln sich die Bodenfliesen in Hocker, in Serviertabletts und zum Sarg der letzten Endes um die Ecke gebrachten Prinzessin. Ordnung herrscht wieder. Vor dem Ordnungskonzept knien die Figuren am Ende des Slapstick-Märchens nieder. Bis die nächste Prinzessin auftaucht, so suggeriert die Geschichte, und mit ihr die Leichen aus dem Seelenkeller.

Gibt es die Seele überhaupt? Gibt es Gott? Ja, den gibt es, und zwar als Konzept im vorderen linken Hirnlappen verortet. So liest Leonie Landa zu Beginn von „Satori Chicken“ aus dem Buch der „Neurotheologie“ vor. Das Mädchen sitzt auf einer riesigen Tafel, im 45-Grad-Winkel zum Publikum. So allein wie Joey (Bettina Karl), Anglistikstudentin. Sie sucht spirituellen Halt, den sie in ihrem intellektuellen Umfeld nicht findet. Joey und ihr Bruder Zozo (Wolfgang Menardi), hochintelligent, aber emotional verwaist, versuchen die Tafel zu erklimmen, gleiten aus, rutschen wieder runter, wie bei Monopoly zurück auf Los, wie Sisyphos mit seinem Stein. Joey beginnt zu beten: „Herr Jesus, erbarme dich meiner“. Das macht Zozo Angst. Erst dieser Konflikt bringt die Geschwister in Kontakt und in die Wärme: gemeinsam sitzend unter einer Wolldecke.

In „Satori Chicken“ tritt die Handlung hinter den komplexen Text zurück. Die Figuren vertreten die unterschiedlichen Positionen in der Frage, wie wichtig Rituale und Spiritualität für den Menschen in der durchrationalisierten Welt sind. Die stückimmanente Lösung ist erstaunlich: Jesus ist eine fette Frau. Und diese fette Frau ist jeder von uns. Also ist Göttliches in jedem. Da kommen die Mystik und die Hirnforschung plötzlich aufs Gleiche hinaus. Katrin Jäger

Weitere Vorstellung heute, 27.2., 19.30 Uhr