Nazis sind immer die anderen

Der Kölner DuMont-Verlag reagiert auf Vorwürfe zur Rolle in der NS-Zeit mit traditionellen Argumentationsmustern

Als sich die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg der Frage nach ihrer Schuld gegenüber sahen, hatte eine Verteidigung besonderen Erfolg: Es gebe keine Kollektivschuld aller Deutschen, hieß es immer wieder, nicht alle Deutschen seien schließlich Nazis gewesen, gegen diesen Vorwurf der Alliierten müsse man sich wehren. Die historische Forschung weiß seit langem, dass der Kollektivschuld-Vorwurf von den Alliierten überhaupt nicht erhoben wurde. An dem Erfolg dieser Argumentation hat das aber nichts geändert, schließlich war es so möglich, sich gegen angebliche Pauschalurteile zu wehren, ohne die tatsächlichen Vorgänge konkret in den Blick nehmen zu müssen. Die Nazis, das sind immer die anderen. Die aktuelle Debatte um die Rolle des Kölner Verlags M. DuMont Schauberg in der NS-Zeit, ausgelöst durch einen Spiegel-Bericht Anfang der Woche, zeigt geradezu idealtypisch, dass diese Argumentationslinie immer noch funktioniert. Der Spiegel hatte konkrete Vorwürfe gegen den DuMont-Verlag erhoben: Bereits im Herbst 1931 sei die Kölnische Zeitung massiv für eine Regierungsbeteiligung der NSDAP eingetreten, nach der Machtübernahme sei der Verlag zunehmend zum „publizistischen Erfüllungsgehilfe der Nazis“ geworden. Außerdem hätten die DuMonts von der „Enteignung ihrer jüdischen Nachbarn“ profitiert: Drei Immobilien vormals jüdischer Besitzer nennt der Spiegel-Text, der sich auf Forschungen des Kölner Historikers Ingo Niebel stützt.

Bereits einen Tag nach Erscheinen des Spiegel-Artikels reagierte der DuMont-Verlag mit einer halbseitigen „Erklärung“ auf der Medienseite des Kölner Stadt-Anzeigers. Hauptaussage: Der damalige Verlagschef Kurt Neven DuMont sei „kein Nazi gewesen“, und auch dem heutigen Seniorchef des Hauses, Alfred Neven DuMont, sei nichts vorzuwerfen; er sei „zur Machtergreifung der Nazis gerade einmal fünf Jahre alt“ gewesen. Am Mittwoch legte der Verlag noch einmal nach: Zwei hochkarätige Zeugen sollten die Vorwürfe gegen Vater und Sohn entkräften: der frühere israelische Botschafter Avi Primor und die Grünen-Politikerin Anne Lütkes, deren Tante und Mutter als Jüdinnen in der Nazi-Zeit von der Familie DuMont geschützt und versteckt worden waren.

Nur: In dem Spiegel-Artikel war gar nicht die Rede davon, bei Verlag und Familie habe es sich um überzeugte Nationalsozialisten gehandelt. Das Haus M. DuMont Schauberg weist in seinen Erklärungen einen Pauschalvorwurf zurück, der gar nicht erhoben wurde. Mit dem Gestus der Empörung (der Artikel sei „in seiner gewollten Tendenz journalistisch unverantwortlich“) wird auf die Distanz der Familie zum Nazi-Regime verwiesen. Die konkreten Vorwürfe bleiben unbeantwortet. So macht es sich der Verlag leicht: Er pocht auf eine unbestrittene Tatsache – die DuMonts waren keine Nazis – und entzieht sich der genauen und konkreten Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle als Verlag und Wirtschaftsunternehmen. Erst jetzt, nach Erscheinen des Spiegel-Artikels, will der Verlag in aller Eile einen Historiker mit der „Aufarbeitung der Verlagsgeschichte“ beauftragen.

Sie erwarte von Journalisten und Historikern, dass sie „alle Fakten auf den Tisch legen und nicht die Wertungen vortragen, die einfach und glatt erscheinen“, sagt Anne Lütkes im Kölner Stadt-Anzeiger. Diese Erwartung gilt auch für den Verlag M. DuMont Schauberg selbst. Wie verhielt er sich publizistisch und wirtschaftlich im Graubereich von Propaganda und Profit? Die Nazis sind immer die anderen – das reicht als Antwort jedenfalls nicht. THOMAS GOEBEL