Erlebnispark Marienborn

Busreise wie in alten Tagen auf den Spuren der Ex-Transitstrecke Berlin-BRD: Des „Travelling Light Guide“ zweiter Teil auf Kampnagel, gestaltet als virtuelle Reiseshow mit Live-Elementen

„Als Künstler fühlt man sich permanent entwurzelt“

von Katrin Jäger

Im vergangenen November haben Dorothee Daphi vom Hamburger Projekt „a b“ sowie Stefan Eckel und Stefan Prehn von „Reproducts“ gemeinsam auf Kampnagel die Redaktionskonferenz ihres fiktiven Reiseveranstalters „Konzept Tours“ performt. Darin präsentierten sie dem Publikum allerlei Vorschläge, darunter authentisches Reisen in Indien in Form einer 24-stündigen Stadtrundfahrt oder eine Taufreise mit den „Immer-Wieder-Täufern“.

Im zweiten Teil ihrer Reiseshow „Travelling Light Guide“ wird das Team nun eines dieser vorgestellten Konzepte überprüfen: die „Reise 1964“ – und zwar, indem sie „unterwegs“ sind. Mit der Kamera in der Hand sind Daphi, Eckel und Prehn den Spuren eines Mannes gefolgt, der vor gut 40 Jahren diese Tour tatsächlich gemacht hat und darüber umfangreiche Aufzeichnungen hinterließ. Dabei handelt es sich um eine organisierte Busreise auf der Transitstrecke von Berlin nach Westdeutschland. Akribisch genau sind im Reiseplan die Stationen und Sehenswürdigkeiten verzeichnet. Was zu sehen ist, wie lange und warum. Auch die Pausen und die Snacks sind exakt beschrieben.

„Wir sind im Januar dieses Jahres in den Bus gestiegen und dieselbe Route entlang gereist. Berlin, Richtung Westen, Helmstedt, Marienborn. Unser Ergebnis: Die Tour steckt jetzt, 40 Jahre später, voller verrückter Überraschungen“, schmunzelt Stefan Eckel.

Welche Überraschungen die PerformerInnen auf ihrer Tour erlebt haben, das wollen sie noch nicht verraten, denn damit wollen sie wiederum ihre Zuschauer bei der Show überraschen. Zum einen zeigen sie Videomaterial von der Fahrt, zum anderen komme es aber auch zu Live-Auftritten in Form von „Bühneneingriffen“, sagt Stefan Eckel. Alles passiere auf der gleichen Zeitebene. Die Filme sind also keine Rückblenden, die Live-Auftritte keine Kommentare dessen, wie bei klassischen Reise-Dia-Vorträgen. Das Publikum müsse nicht aktiv mitmachen, außer in den beiden Pausen. „Frei nach dem Prinzip: Pause machen, aber richtig“, nur so wenig will Dorothee Daphi verraten.

Die Divergenz zwischen dem, was der anonyme Reisende 1964 niedergeschrieben hat und dem, was die Testreisegruppe tatsächlich erlebt, soll für Spannung und Reibungen sorgen. Über diese konkrete Aktion hinaus weist das inszenierte Reiseabenteuer auf den Kern jeder Pauschalreise: Angebote mit einem festen Zeit- und Erlebnisplan kommen der Sehnsucht nach Sicherheit entgegen, der Vorhersagbarkeit der Zukunft in der Fremde, vielleicht gerade, weil sie fremd ist. Dorothee Daphi und Stafan Eckel haben beide unabhängig voneinander seit Mitte der Achtziger Jahre eigene Archive zum Thema Reisen aufgebaut. Alben mit Fotos, Tickets, Landschaftsbeschreibungen und alte Postkarten finden sich darin. „Vor allem die Postkarten repräsentieren die Schnittstelle von öffentlich und privat auf engstem Raum. Auf der Vorderseite das Foto eines öffentlichen Ortes, hinten der persönliche Text“, sagt Dorothee Daphi, und das fasziniert sie. Das Archivmaterial stamme aus Nachlässen, Flohmärkten, vom Sperrmüll oder auch aus der eigenen Vergangenheit, eben „alles, was aus dem Haushalt entlassen wird“, sagt Daphi.

Mit dem zweiten Teil ihrer Reiseshow will das Trio nun den Erlebnissen hinter den faktischen Beschreibungen von Orten und Sehenswürdigkeiten, den fotografisch abgebildeten immer gleichen Urlaubsposen und -motiven, den ins Album geklebten Eintrittskarten und Restaurantrechnungen, auf die Spur kommen, wenn es nach Daphi geht, „Exotisches vor Ort entfalten“. Alle Archivstücke bieten Projektionsflächen für Emotionen: Sehnsucht, Fernweh, Glück, die Suche nach Heimat in der Fremde. Diesbezüglich sieht Stefan Eckel eine Parallele zwischen dem Reisenden und dem Künstler. „Kunst ist der Versuch eines Subjekts, sich Heimat zu suchen. Als Künstler fühlt man sich per se permanent entwurzelt“, sagt er.

Uraufführung: Do, 16.2., 20.30 Uhr, Kampnagel