Fenster zu, Gullys dicht

SICHERHEITSSTUFE 1+ Berlin im Ausnahmezustand

BERLIN taz | Die Mitte Berlins wirkt ausgestorben wie eine Geisterstadt. Um den Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor haben Hunderte Polizisten einen Umkreis von 500 Metern abgesperrt. Darin eine weitere Absperrung, in der über 4.000 geladene Gäste auf dem Pariser Platz der Rede von Barack Obama auf der Ostseite des Brandenburger Tores lauschen. Drum herum gibt es einen dritten Ring, den Fußgänger und Radfahrer, aber keine Autos passieren dürfen.

Offenbar wurde über Radio, Zeitungen und Internet professionell verbreitet, dass es keinen Zweck hat, sich in Berlin als Zaungast zu versuchen. Jedenfalls haben sich kaum Menschen an die Absperrung verirrt, und die Polizisten, viele davon aus Sachsen, stehen ein wenig verloren herum oder essen schnelle Nudeln vom Chinesen.

Ein Mann, der vor vielen Jahren aus Afrika nach Deutschland kam, steht vor dem Café Einstein Unter den Linden, wo Menschen in weißen Oberhemden ungerührt an ihrem Wiener Schnitzel kauen. Der Mann ist aus Köln angereist, weil er es beim ersten Besuch von Barack Obama vor fünf Jahren nicht konnte. „Er versucht immer noch alles“, sagt er. Eine Frau aus Erfurt war am Tag zuvor beim Bon-Jovi-Konzert und hat gehofft, den „Hauch der großen, weiten Welt“ zu spüren. Das Problem ist nur: Die große, weite Welt ist heute anderswo. Selbst ein Großteil der Touristen, die Unter den Linden sonst in Scharen auftreten, bleibt aus.

Vergleicht man den Berlinbesuch Obamas von 2008 mit dem der vergangenen zwei Tage, könnte man meinen, nicht derselbe Mensch sei nach Deutschland gereist. War ihm 2008 die Euphorie von rund 200.000 Berlinern entgegengeschlagen, herrschen heute in der Stadt Langeweile und die komplizierte Logistik der Sicherheitsvorkehrungen.

Schon im Vorfeld wurden Anwohner des Pariser Platzes gebeten, trotz der Hitze von 33 Grad die Fenster zu schließen. Geschäfte und Imbisse blieben geschlossen, Gullydeckel wurden versiegelt, sogar U-Bahnen stoppten kurzzeitig. Zu alldem passt, dass sich die meisten, die sich dennoch in die Nähe der Sperrzone verirrt haben, von den hochfliegenden Träumen, die sie auf Obama projiziert haben mögen, verabschiedet zu haben scheinen. Es herrscht Ernüchterung, allenfalls noch hitzebedingte Teilnahmslosigkeit. Obama? „Guter Mann.“ Seine Politik? „Na ja. Die Widerstände.“

Erst als die geladenen Gäste auf dem Weg zum Pariser Platz am Café Einstein vorbeiflanieren, hört man ein wenig Begeisterung heraus. Ein schlanker Mann in den Vierzigern aus Boston, der seit 20 Jahren in Berlin lebt, sagt: „Er macht einen Superjob.“ Eine New Yorkerin in den Siebzigern, seit zwei Jahren in Berlin: „Er wird uns begeistern.“ Aus europäischer Sicht ist kaum vorstellbar, wie tief das Trauma der Bush-Regierung gebildeten Amerikanern noch in den Knochen steckt. Guantánamo hin, Lauschskandal her.

SUSANNE MESSMER