Nach dem Aufstand droht jetzt die Hexenjagd

TÜRKEI Regierungsgegner sprechen von Festnahme-Welle. Stummer Protest findet viele Nachahmer

ISTANBUL afp | Nach der gewaltsamen Räumung des Istanbuler Gezi-Parks durch die Polizei befürchten Regierungsgegner nun eine Hexenjagd auf Oppositionelle. Die Antiterror-Polizei nahm am Dienstagmorgen 85 Menschen fest. Nach Presseberichten forderte die Regierung bei Krankenhäusern die Daten verletzter Demonstranten an.

Laut Regierung richteten sich die Festnahmen vom Dienstag gegen zwei Linksorganisationen, die seit langem beobachtet würden und denen eine Verwicklung in die Proteste vorgeworfen werde. Mehr als 500 Personen wurden laut der Anwaltskammer bereits vor der Festnahmewelle vom Dienstag allein in Istanbul und Ankara in Gewahrsam genommen.

Die Regierung argumentiert, die Proteste seien organisierte, zum Teil aus dem Ausland gesteuerte Demonstrationen. Dies müsse entsprechend geahndet werden. Unter den Demonstranten befanden sich demnach Mitglieder extremistischer Gruppen. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sprach am Dienstag von „Verrätern im Inland und Kollaborateuren im Ausland“. Er will die Polizei weiter verstärken. Innenminister Muammer Güler kündigte unterdessen neue gesetzliche Regelungen für Twitter und Facebook an, um die Verbreitung von „Hetze und Lügen“ zu verhindern.

Bei den angekündigten Ermittlungen gegen Polizisten wegen Anwendung überproportionaler Gewalt geht die Regierung weit weniger energisch vor. Laut Güler wurden bisher drei Beamte vom Dienst suspendiert.

Die Intensität der Auseinandersetzungen auf den Straßen hat seit der Räumung des Gezi-Parks am Wochenende abgenommen. Statt dessen verlegen sich Demonstranten nun auf andere Formen des Protests. So begann der Choreograph und Tänzer Erdem Gündüz am Montagabend auf dem Taksim-Platz mit einer Aktion, die unter dem Namen „Bewegungsloser Mann“ bekannt wurde: Gündüz stand mehrere Stunden bewegungslos und schweigend auf den Taksim.

Im Laufe der Zeit gesellten sich immer mehr „Bewegungslose Männer und Frauen“ zu ihm, auch in anderen Teilen von Istanbul und anderen türkischen Städten tauchten sie auf. Am Taksim wurde es der Polizei in der Nacht zum Dienstag zu bunt: Sie nahm mehrere Menschen fest, Gündüz konnte entkommen.