CONTRA: Eine verantwortliche Presse setzt sich auch Grenzen
: Das Recht auf Rücksicht

Die Muslime sollen sich nicht so anstellen – das ist ein gängiger Unterton in der Debatte über die dänischen Mohammed-Karikaturen. Schließlich wird die christliche Religion auch geschmäht. Gott wurde als Schwein dargestellt, Christus vom Kreuz gebombt, Klein Jesus von Mutter Maria geschlagen. Also sollen die Muslime nicht so beleidigt tun. Schon gar nicht, wenn sie in Europa wohnen. Sie müssten doch wissen, dass sie im historischen Stammesgebiet der Aufklärung leben. Hier gilt die Meinungsfreiheit, die gegen Monarchen und Diktatoren mühsam erkämpft wurde.

Keine Frage, die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Trotzdem kann das unbeschränkte Wort gefährlich sein, denn es lässt sich leicht zur rassistischen Waffe schmieden. Bei Judenwitzen ist dies offensichtlich. Viele Länder, darunter Deutschland, kennen daher das Verbot der Volksverhetzung. Außerdem findet sich in vielen Strafgesetzbüchern ein Paragraph gegen Blasphemie.

Meinungsfreiheit gilt also keineswegs absolut. Das wissen auch leidenschaftliche Verfechter der ungehemmten Rede. Ihr Rat an irritierte Muslime lautet deshalb: Wenn ihr euch beleidigt fühlt, dann klagt doch! Dahinter steckt die Idee, dass alles erlaubt ist, was nicht ausdrücklich verboten wird. Diese Einstellung ist schon lästig, wenn sich jemand in der Kassenschlange vordrängelt. Im Zusammenleben der Kulturen kann diese Ignoranz besonders arrogant und gefährlich sein.

Wie Worte oder Witze wirken, hat nicht nur mit dem Text zu tun. Wichtig ist der Kontext. Es ist ein Unterschied, ob sich die Mehrheit über sich selbst lustig macht – oder ob eine Minderheit mutwillig provoziert wird. Karikaturen über Jesus sind in Europa immer eine Selbstverständigung der Mehrheitsgesellschaft – auch dann, wenn gläubige Christen inzwischen in der Minderheit sind, denn die 2.000-jährige Kirchenprägung wirkt fort.

Abfällige Witze über Mohammed hingegen werden von vielen Einwanderern nicht als religiöse Debatte gedeutet – sondern als Rassismus. Ihr Türken und Araber seid fremd und doof, das ist die Botschaft, die viele Muslime vernehmen. Und so ehrlich sollten die Verfechter der absoluten Meinungsfreiheit schon sein: Das ist oft kein Missverständnis, das war es auch nicht in Dänemark.

Die Epoche der Aufklärung hat nicht nur die Idee der Meinungsfreiheit hinterlassen, sondern auch Toleranz gegenüber Minderheiten gefordert. Das hat nichts mit pädagogischer Fürsorge zu tun, aber viel mit Verantwortung. Es geht um Respekt. Darauf haben die Muslime in Europa einen Anspruch. ULRIKE HERRMANN