Auf einem fast vergessenen Schlachtfeld

Vor 20 Jahren kam es in Wackersdorf zu einer legendären Kraftprobe zwischen dem Staat und Bürgern, die eine Wiederaufbereitungsanlage verhindern wollten. Statt um Brennstäbe geht es dort heute um BMW, alte Gräben werden allmählich zugeschüttet. Ein Besuch in einer fast normalen Gemeinde

aus WACKERSDORF MAX
HÄGLER

Es ist eine hässliche Halle inmitten eines modernen Gewerbeparks. Verkleidet mit grünem Wellblech und grünen Ziegeln, eines von zwei Gebäuden, die noch übrig geblieben sind von der WAA Wackersdorf. Es ist ein Gebäude, gebaut für eine halbe Ewigkeit, gegen Flugzeugabstürze und Erdbeben gesichert. Einst als Eingangshalle für Brennstäbe gebaut, ist es 20 Jahre später zum „Pappenlager 80.0“ umfunktioniert – ein mächtiger Zeuge eines Kampfes um Atomenergie, ungemütlich, fensterlos und mit Temperaturen zwischen sechs bis acht Grad das ganze Jahr.

„Kein Klima zum Dauerarbeiten“, erklärt BMW-Mann Reinhard Eberl: „Das hat bei unserem Einzug der Arbeitsschutz festgestellt.“ 1989 war das, im Mai hatten die bayerische Staatsregierung und die Atomwirtschaft das Projekt aufgegeben und beschlossen, ihre Brennstäbe nicht in Wackersdorf, sondern im französischen La Hague aufzubereiten. Im Dezember desselben Jahres kaufte BMW – auf sanften Druck des Freistaates – die halb fertige Atomanlage und einen Teil des Geländes.

BMW statt Brennstäbe

Der Autobauer sollte Ersatz bieten für die weggefallenen 1.600 WAA-Arbeitsplätze, die der Freistaat der Oberpfalz versprochen hatte. Und so rollen nun statt Castoren Gabelstapler durch Halle 80.0 und statt Brennstäben befördern sie Pappkartons und Füllwatte. Ein Wandel, den auch Eberl kennt. „Das ist die Halle, bei der die Leute gefürchtet haben, dass sie zu einem kleinen Zwischenlager wird, in dem die Brennstäbe lagern.“

315 Millionen Euro hat BMW mittlerweile in Wackersdorf investiert und den Standort zum „Kompetenzzentrum Leichtbau und Innenausbau“ gemacht, aus anfänglich 1.600 höchstsubventionierten Arbeitsplätzen wurden 3.100 reguläre. Aus der „Eingangshalle für Brennstäbe“ wurde das „Pappenlager Halle 80.0“. Und aus der WAA Wackersdorf wurde der Innovationspark Wackersdorf. Dessen Ausmaße sind an der Wand von Alfred Jäger zu besichtigen, dem Bürgermeister der kleinen 4.000-Seelen-Gemeinde. Innovationspark in Öl, zwei Meter mal ein Meter. „Unsere Region profitiert jeden Tag davon“, sagt Jäger, der damals schon Gemeinderat und „nicht unbedingt ein WAA-Gegner“ war.

„Freier Wähler“ ist er und hat „das Thema bewältigt – unter Mithilfe der bayerischen Staatsregierung und der Energiewirtschaft“. Das Thema? „Überall Polizei und so genannte Demonstrierer, die keine gute Figur abgegeben haben.“ 3.000 Menschen kampierten im Dezember 1985 auf dem damals noch nicht gerodeten WAA-Gelände, 30.000 demonstrierten im Frühjahr 1986 und an den Pfingstfeiertagen einige Wochen später – Tschernobyl war mittlerweile in die Luft geflogen – waren es 300.000 Menschen.

Obwohl der Staat alles einsetzte, was er seinen Bürgern entgegensetzen konnte: Gasgranaten flogen, Knüppel wurden geschwungen, Wasserwerfer fegten, Hubschrauber knatterten und Hunde hetzten die Demonstranten. „Das hat nichts gewirkt. Die bayerische Staatsregierung und die Atommafia hatten uns völlig falsch eingeschätzt“, sagt Hans Schuierer, der im benachbarten Schwandorf wohnt und bei dem es so ausschaut wie bei allen Oberpfälzern – egal ob Befürworter oder Gegner der Atomkraft. Einfach gutbürgerlich, ohne Ecken und Kanten.

Mit seiner Staatsrenitenz und seiner Bürgerlichkeit scheint er stets dem Zeitgeist entsprochen zu haben: Von 1970 bis 1996 war er der Chef des Schwandorfer Landratsamtes. „Der Oberpfälzer ist zwar gutmütig, aber wenn’s ihm an die Ehre geht, wird er widerborstig und hartnäckig“, sagt Schuierer. Als zuständiger Landrat von Schwandorf hat er anfangs die Baugenehmigung für die Wiederaufbereitungsanlage verweigert, bis sich der Staat mittels eines neu geschaffenen Gesetzes ein „Selbsteintrittsrecht“ verschaffte. Auch wenn bei ihm die Wunden im Kampf gegen die WAA verheilt sind: „Es bleiben sicherlich Narben zurück. Ich habe gute Freunde verloren – gerade weil in vielen Familien Polizisten gearbeitet haben.“

Der wirkliche Gegner ist für ihn die Wirtschaft, die er „Atommafia“ nennt – und die CSU-Mehrheit: „Diese Partei hat nichts dazugelernt. Deshalb haben die Aussagen von CDU und CSU zum Ausstieg vom Ausstieg bei uns auch hohe Wellen geschlagen“.

Otto Zeitler wundert sich nicht über solche Worte: „Ich habe schon immer meine Sachkunde eingebracht und der Schuierer seine Emotion.“ Vielleicht passt dazu das halb scherzhafte gemeinte „Sauhund“, das der Landrat Schuierer dem Landtagsabgeordneten Zeitler ausrichten lässt, der eine Autobahnausfahrt weiter im schmucken Städtchen Nabburg wohnt und einen zum Schnitzel empfängt.

Seit 1978 sitzt er für die CSU im Landtag, sein Stimmkreis Schwandorf machte ihn zum natürlichen Feind aller Oberpfälzer Atomgegner. „Schuierer war der große Held, ich immer der böse Mensch“, erinnert sich Zeitler. Aber auch den Landtagsabgeordneten hat es irgendwann an der Oberpfälzer Ehre gepackt. Als ihm jauchegetränkte Salatköpfe um die Ohren flogen. Oder als ihm der damalige Ministerpräsident Franz Josef Strauß in einem Brief versicherte: Wir geben nicht klein bei. Und das Projekt kurze Zeit später doch abgeblasen wurde.

Und so sagt der Politiker Zeitler heute das, was alle Oberpfälzer sagen: „Ich habe aus der WAA-Zeit gelernt, immer wachsam zu sein in der Politik.“ Den Sieg über die WAA will er den Gegnern aber nicht überlassen: „Die Anlage ist an der Schwäche von Kanzler Kohl gescheitert, nicht an den paar tausend Demonstranten.“ Ludwig Waldmann und seine Frau Marianne grinsen verschmitzt, wenn sie solche Sprüche hören. Das Ehepaar, beide Ende 60, hat den Priester Leo Feichtmeier, 72, in ihr Reihenhaus nach Thanhausen eingeladen. Bei Kaffee und Kuchen zeigen sie alte Zeitungsartikel und Fotos. Grinsend holt Ludwig Waldmann ein paar verrostete CS-Granaten und einen grünen Eisenstab aus dem Schrank, einst er einst aus dem WAA-Zaun sägte: „Von wegen Spezialstahl“. Die WAA-Zeit war für den gelernten Maschinenbauer „der dritte Bildungsweg“, vor allem in Sachen Staatshörigkeit.

Ob das Ende der WAA nun durch Kanzler Kohls Schwäche kam oder durch den Tod von FJS im Oktober 1988 oder ob doch die Demos den Durchbruch bewirkt haben, das kann er nicht so genau sagen. Aber er ist sicher: „Wenn sie es raffinierter gemacht hätten, stünde die Wiederaufbereitungsanlage heute.“

Verheilte Wunden

Inzwischen seien Staat und Polizei schlauer geworden, aber damals hätten die Gegner die Nase vorne gehabt: „Die Nacht war auf unserer Seite – und auch wir hatten neben der Infanterie Spezialeinheiten.“

Doch was heute wie ein Spiel wirkt, war nicht immer eines. „Jeden Samstag ist der Hubschrauber bei unserem Haus vorbeigeflogen“, erzählt der gelernte Maschinenbauer Waldmann, der ursprünglich gegen die Atomgefahr protestieren wollte. „Aber das hat sich dann verschoben, als wir die zunehmenden Staatsrepressionen gespürt haben.“

Das waren die Momente, an denen die Widerständler zusammengewachsen sind, die Einheimischen und die Zugereisten. „Selbstverständlich haben wir gut zusammengearbeitet“, sagt der katholische Kirchenmann und ehemalige Religionslehrer Feichtmeier. „Auch mit den Autonomen“, und auch ihm sitzt ein neckisches Grinsen in den sanften Gesichtszügen.

Die drei revoltierenden Rentner sind so frech, dass sie glatt als die Nachfahren von Don Camillo, Peppone, Asterix und Obelix durchgehen könnten. „Der Generalvikar hat gemeint: Du darfst dich nicht einmischen, wenn es um unser Kraftwerk geht!“ Aber Feichtmeier hat die Schöpfung in Gefahr gesehen. „Langsam“ hat sich bei ihm der Widerstand entwickelt, hat er das Establishment aus Kirchenoberen und CSU in Frage gestellt und schließlich die Furcht vor den Mächtigen verloren.

Auch BMW-Pressesprecher Reinhard Eberl läuft mit ein wenig Wehmut durch den Innovationspark. Bereitwillig hat er durch die grüne Castorenhalle geführt und auch mit ein wenig Faszination den meterdicken Stahlbeton gezeigt, an dem Diamantenfräsen zwei Wochen lang beschäftigt waren, um ein Werkstor einzuziehen. Im Verwaltungshaus zeigt er auf die Sportsitze, die hier produziert werden und auf die Schautafeln der Wackersdorfer Geschichte mit brennenden Autos, Wasserwerfern und Demonstranten. Die Bilder hat er sich selbst von einem örtlichen Fotografen besorgt.

Ein wenig stolz ist er schon, dass sein Unternehmen aus der Brennelementehalle ein Pappenlager gemacht hat, dass heute ein ganz normaler Zaun um das Gelände läuft auf dem statt Wasserwerfern dutzende Lastwagen bereit stehen: „Aus Sicht der BMW-Öffentlichkeitsarbeit ist es schade, dass die WAA in Vergessenheit gerät.“