Lehrer gegen Oettingers Schulhofprojekt

Mit seinem Plan einer allgemeinen Deutschpflicht auf Baden-Württembergs Schulhöfen stößt der Ministerpräsident auf Ratlosigkeit bei Pädagogen: Sie halten die Pausengespräche für unproblematisch – denn meist werde Deutsch gesprochen

VON KERSTIN SPECKNER

Eigentlich passt Gudrun Grehts Schule exakt auf das Problem: Die Grund- und Hauptschule liegt im Stuttgarter Stadtteil Ostheim, 40 Prozent der Einwohner haben hier einen Migrationshintergrund. Von 648 SchülerInnen sind 500 Einwandererkinder und über viele kann die Direktorin sagen, dass sie aus „spracharmen Familien“ kommen, in denen überhaupt wenig gesprochen wird. Genau für solche Schulen will Ministerpräsident Günther Oettinger von der CDU die Deutschpflicht auf dem Schulhof prüfen. Aber Gudrun Greht sagt: „Wir brauchen so was nicht in der Schulordnung.“

Die Augen der Schulleiterin leuchten, wenn sie von den Projekten mit den SchülerInnen erzählt. Erst letzte Woche haben sie den HipHop-Star Afrob überredet, gemeinsam mit ihnen einen Film zu drehen. Dass Greth die Deutschpflicht in der Hausordnung ihrer Schule nicht brauchen kann, hat einen einfachen Grund: auf ihrem Schulhof wird überwiegend Deutsch gesprochen. „Wir haben Glück, dass hier über 20 Nationen vertreten sind. Dadurch müssen alle Deutsch sprechen“, sagt sie. Statt der Deutschpflicht gibt es an ihrer Schule Unterricht in vielen Muttersprachen wie Türkisch, Griechisch oder Persisch. „Deutsch ist für viele Schüler nur Zweitsprache. In der Zweitsprache kann man nur sicher werden kann, wenn man die Muttersprache gut beherrscht.“

In Baden-Württemberg liegt der Ausländeranteil an allen Schulen im Durchschnitt bei 13 Prozent, 26,9 Prozent der SchülerInnen haben einen Migrationshintergrund. Aber auch an Schulen wie der Stuttgarter Carl-Benz-Grundschule, wo etwa 80 Prozent der Schüler einen Migrationshintergrund haben, wird auf dem Schulhof Deutsch gesprochen – obwohl die Schulordnung dazu nicht verpflichtet. „Wir haben Kinder aus 27 Nationen“, berichtet Schulleiterin Sabine Graf. „Die Kinder spielen zusammen und sprechen Deutsch, weil das die einzige Sprache ist, die alle verstehen.“ Obwohl etwa ein Drittel der SchülerInnen türkische Muttersprachler sind, dominiert Türkisch nicht auf dem Schulhof. „Die Schüler spielen sehr gemischt. Viele können besser Deutsch als die Muttersprache.“

Oettinger hat seinen Vorstoß am Mittwoch sogar in die Regierungserklärung aufgenommen – womöglich ohne sich umzuhören, ob das Problem, das er bekämpfen will, überhaupt existiert. Der Ministerpräsident arbeitet offensichtlich schneller als sein Kultusminister. Als vor anderthalb Wochen die Diskussion um die Deutschpflicht an einer Berliner Schule aufkam, wusste das Ministerium nichts über das jetzige Problem. Auf die taz-Anfrage, wie Baden-Württemberg zum Deutsch-Gebot steht, sagt ein Ministeriumssprecher am 23. Januar: „Es war noch nie groß Thema bei uns, wir haben auch nicht derartige Pläne.“

Oettingers SPD-Konkurrentin Ute Vogt hält den Vorschlag für reine Öffentlichkeitsarbeit. „Das ist typisch für Oettinger. Er hängt sich an jedes Thema, das Aufmerksamkeit verspricht, ohne sich vorher ausreichend zu informieren.“ Dass es Kinder gibt, die nicht genug Deutsch können, sei ihr klar. „Es bringt nichts, die Kinder zum Deutschsprechen zu zwingen, wenn sie das vielleicht gar nicht können. Wir brauchen gezielte Förderung schon vor der Schule.“

An Gudrun Grehts Schule umfasst die Sprachförderung sogar die Eltern: Es gibt Deutschkurse für sie. Schulpartner, darunter Geschäftsleute, Rentner und die Polizei, begleiten Kinder auch außerhalb der Schule. Von der Politik wünscht sich die Schulleiterin etwas anderes: dass es leichter wird, den Schultyp zu wechseln, damit Migrantenkinder nicht auf der Hauptschule bleiben müssen.