Die Betroffenen in den Fokus rücken

OPFERSCHUTZ Kann man mit restriktiven Gesetzen gegen Prostitution die sexuelle Ausbeutung von Migrantinnen eindämmen? Nein, sagen Expertinnen

AUS BERLIN SIMONE SCHMOLLACK

Stichtag war der 6. April. Bis zu diesem Tag sollte Deutschland dafür sorgen, dass Frauen wie Mona hierzulande besser geschützt werden. Mona, die aus Bulgarien kommt und in Berlin als Hure arbeitet. Nicht ganz freiwillig, wie sie sagt: sie sei ein Opfer von Menschenhändlern.

Wenn Mona heute in Deutschland zur Polizei gehen und dort um Hilfe bitten würde, kann es ihr passieren, dass sie zwar gegen die Zuhälter aussagt. Aber danach selbst zusehen muss, wie sie zurechtkommt. Zugespitzt formuliert: Die Behörden schöpfen bei ihr Informationen ab, um an Menschenhändler und Schlepper ranzukommen – und „entsorgen“ dann die Quelle.

Dass das vielfach so läuft, wissen deutsche Nichtregierungsorganisationen und Beratungsstellen, bei denen die Betroffenen Hilfe suchen. Das wissen PolitikerInnen hierzulande. Und das wissen Beamte in Brüssel. Deshalb hat die EU 2011 eine Richtlinie mit einer schlichten Bezeichnung erlassen: 2011/36/EU.

Diese Vorgabe, die Menschenhandel bekämpfen und Opfer schützen will, sollte Deutschland bis zum 6. April umsetzen. Passiert ist seitdem nichts, auch in den meisten anderen EU-Ländern nicht. Darüber ist EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström „enttäuscht“.

Malmström hat diese Zahlen vor Augen: 23.632 Frauen, Männer und Kinder sollen allein zwischen 2008 und 2010 innerhalb Europas verschleppt und zu Prostitution und Arbeit gezwungen worden sein. Das Bundeskriminalamt hat 2011 in Deutschland 482 Ermittlungsverfahren im Bereich des „Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung“ abgeschlossen.

Enttäuscht ist auch Neile Tanis. Die Juristin ist Geschäftsführerin des Bundesweiten Koordinierungskreises gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess (KOK). Bei den Beratungsstellen, die beim KOK organisiert sind, kommen Frauen wie Mona an, wenn sie nicht mehr weiterwissen. Neile Tanis war froh, als sie das EU-Papier gelesen hatte. Zum ersten Mal überhaupt werden die Betroffenen in den Fokus gerückt. Den Satz, der das vorgibt, kann man leicht überlesen: „Die Opfer des Menschenhandels … sollten vor sekundärer Viktimisierung … während des Strafverfahrens geschützt werden.“

Dieser Passus sei wichtig, sagt Neile Tanis. Da gibt es zum Beispiel die nigerianischen Betroffenen. Einen Aufenthaltsstatus haben die etwa 28 Frauen nicht. Den bekommen sie nur, wenn sie in einem Strafverfahren gegen Zuhälter und Menschenhändler aussagen. „Manche solcher Prozesse dauern bis zu drei Jahre“, sagt Tanis: „Während dieser Zeit stehen die Frauen stark unter Druck.“ Betroffene aus Drittstaaten bekommen kaum psychotherapeutische und finanzielle Hilfe, manche müssen sogar die Dolmetscher in den Verfahren selbst bezahlen.

Als die EU-Richtlinie vor zwei Jahren erlassen wurde, reagierte Familienministerin Kristina Schröder (CDU) prompt. Sie wollte das Prostitutionsgesetz, das die rot-grüne Bundesregierung 2002 verabschiedet und damit die Sittenwidrigkeit des Sexgewerbes abgeschafft hat, verschärfen. „Prostitutionsstätten“, wie Wohnungen und angemietete Zimmer im Sexgewerbe heißen, sollten künftig eine Konzession haben müssen. So wie Kneipen, Cafés, Dönerbuden. Damit ist Schröder gescheitert.

Gut so, findet Juanita Rosita Henning vom Prostituiertenverein Dona Carmen in Frankfurt am Main. Hinter dem Vorstoß steckte, wie sie es formuliert, „eine repressive Wende in der Prostitutionspolitik“. Sie sagt: „Es geht weniger darum, Zwangsprostitution zu bekämpfen, als Prostitution an sich zu reglementieren. Eine These, die Neila Tanis teilt: „Menschenhandel und gewöhnliche Prostitution sind zwei verschiedene Dinge.“

Axel Dreher sieht das anders. Der Wirtschaftsprofessor von der Universität Heidelberg hat in einer Studie festgestellt, dass Länder, in denen Prostitution erlaubt ist, stärker im Fokus von Menschenhändlern ständen als andere. In Schweden, wo seit 1999 Sexgeschäfte verboten sind, gibt es öffentlich keine Prostitution mehr. Aber möglicherweise im Verborgenen. Experten warnen: Wenn etwas im Verborgenen stattfindet, ist Aufklärung noch schwerer.