Ist irgendwie weg

ERINNERUNGSPOLITIK Der Kunstraum Kreuzberg/Bethanien zeigt die Ausstellung „Open Monument – vergängliche Denkmäler im öffentlichen Raum“

VON INGA BARTHELS

Nichts ist mehr übrig von Delio Jasses Installation. Der angolanische Künstler hatte in Kreuzberg – Waldemar, Ecke Adalbert – ein offen zugängliches urbanes Archiv geschaffen. Großformatige, transparente Diafolien in beweglichen Holzrahmen, bedruckt mit Ansichten von Jasses Heimatstadt Luanda, die in Interaktion mit dem Stadtbild Berlins treten sollten. Vor einer Woche waren davon noch einige ramponierte Holzrahmen und ein, zwei flatternde Diafolien zu sehen. Jetzt deutet nichts mehr darauf hin, dass da mal jemand was gebaut hat.

Das war auch Sinn der Sache, denn Jasses Installation war ein temporäres Denkmal, vergänglich wie die Erinnerung selbst. Zehn internationale KünstlerInnen haben sich für den Kunstraum Kreuzberg/Bethanien mit dem Konzept eines kurzlebigen Denkmals im öffentlichen Raum befasst. Im Kunstraum selbst sind Fotos, Videos, Installationen dieser Arbeiten zu sehen. Komplementär zu den öffentlichen Denkmälern, die in den Straßen Kreuzbergs stehen beziehungsweise standen.

Denn die Interaktion zwischen Kunstwerk und den Bewohnern Berlins ist häufig eher vom Dekonstruktivismus geprägt. Das ging nicht nur Delio Jasses Installation so: Sinta Werner hatte ein Modell des Zentrum Kreuzbergs gebaut, welches sie vor der originalen Architektur fotografierte. Das Modell soll im Café Kotti stehen, ist aber inzwischen „irgendwie weg“, wie der Barkeeper mitteilt. Immerhin, die Fotos der Arbeit, auf denen Perspektiven raffiniert gebrochen werden, sind noch im Kunstraum Kreuzberg zu sehen. Das Werk David Maranhas, ein elegantes Holzskelett, das auf dem Gelände des Yaam-Clubs stand, war sogar schon nach einer Nacht zerstört. Nicht jeder hat Lust, sich mit Kunst auf konstruktive Weise auseinanderzusetzen.

Die Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg stellt trotzdem interessante Fragen nach der Bedeutung, die ein Denkmal heute noch haben kann. Denn ein Monument symbolisiert häufig einen abgeschlossenen Prozess: Aktiv mit Geschehenem auseinandergesetzt und kritisch erinnert werden muss sich nicht mehr – dafür steht ja das Denkmal da. Es fügt sich ins Stadtbild ein und wird nach und nach ignoriert, vergessen, gemeinsam mit dessen Bedeutung.

Das ist bei den temporären Arbeiten der Ausstellung anders. Die sind nicht lange am Ort, wer sie sehen will, muss sich beeilen. Oder begegnet ihnen zufällig, ohne zu wissen, wofür sie stehen. Die Deutung der Werke von „Open Monument“ ist nicht festgelegt wie bei herkömmlichen, symbolisch aufgeladenen Denkmälern. Sie sind offen für Interpretationen der Stadtbewohner. Und sie sind interaktiv. Wer will, kann sich mit den Arbeiten beschäftigen, sie verändern und sich so am Prozess des Erinnerns beteiligen.

Erinnert wird etwa an den 2010 verstorbenen Fritz Teufel, eine der legendären Figuren der Studentenbewegung und Mitbegründer der Kommune I. Vor dem Kunstraum Kreuzberg/Bethanien hat ihm der argentinische Künstler Matias Machado ein temporäres Denkmal gebaut. Vor Teufels Tod spielte der Künstler mit ihm häufig Tischtennis, das hat den an Parkinson erkrankten Mann beruhigt. Auf dem Platz vorm Bethanien steht nun ein Raum, dessen Grundriss in unterschiedlichen Maßstäben sowohl dem Zimmer des Künstlers, in dem die beiden Pingpong spielten, als auch der Wohnung Teufels nachempfunden ist.

Drinnen steht eine Tischtennisplatte. Wer will, kann dort selbst zu Kelle greifen und sich dabei an Fritz Teufel erinnern, an seine Mitkommunarden, an seinen berühmten Ausspruch „Wenn’s der Wahrheitsfindung dient“, als er sich im Gericht erheben sollte. Teufels Leben und die Entstehung des Denkmals werden in zwei Räumen des Kunstraumes dokumentiert, es soll nach der Ausstellung Teil eines Fritz-Teufel-Archivs werden.

Machados Tribut an den Politaktivisten ist eines der anschaulichsten und wirkungsvollsten Werke der Ausstellung, die sich oft auf amüsante und überraschende Art mit der jüngeren Geschichte Berlins, städtebaulichen Prozessen oder der Interaktion von Öffentlichkeit und Kunst beschäftigen, teils aber auch allzu kryptisch daherkommen. Für das Blog Thinkaboutspace konnten vorab eigene Konzepte eines zeitgenössischen Denkmals im öffentlichen Raum eingereicht werden. Die Ergebnisse werden in der Ausstellung präsentiert und sind oft pragmatischer und einfacher lesbar als die Werke der teilnehmenden Künstler. Einer der Vorschläge ist ein Ruheplatz für Tauben, auf dem die Tiere so Platz nehmen können, dass ihre Ausscheidungen auf dem Boden unter ihnen das Symbol „99 %“ ergeben.

■ Bis 16. Juni. Täglich von 12 bis 19 Uhr am Mariannenplatz 2