Kasperl wurde arisch

HITLER-PUPPE Satiriker und Propagandisten lieben das Puppentheater. Das zeigt die Themenwoche „Puppen und NS-Zeit“ im Figurentheater Grashüpfer

Der Gong erklingt, ein Scheinwerfer erleuchtet das Theater. Ein winziger Mann aus Gips steht auf der Bühne. Er trägt eine schwarze Hose, ein braunes Sakko mit Abzeichen und Parteibinde, dazu einen Seitenscheitel. Zwei Frauen stehen hinter ihm; eine hält ihn an den Füßen, um seinen Stand zu sichern, die andere hat zwei Stäbe in der Hand, mit denen sie die kleine Gestalt führt und ihren Mund bewegt, während im Hintergrund die Melodie von „Flugzeuge im Bauch“ ertönt. Das Publikum im Figurentheater Grashüpfer im Treptower Park grölt vor Lachen.

Suse Wächter und Rike Schubert sind Koryphäen des Puppenspiels: mit der Imitation der typischen Gesten und seines Dialekts erwecken sie die Hitler-Puppe in ihrem Programm „Puppenkaraoke“ zum Leben. „Puppentheater muss sich nicht immer nur um den Kasper drehen“, sagt Christiane Klatt. Sie ist Initiatorin des Festivals „Puppen und die NS-Zeit“, das anlässlich des Themenjahres „Zerstörte Vielfalt“ erarbeitet wurde. Es werden vor allem Stücke inszeniert, die die Realität der NS-Zeit thematisieren oder deren Autoren ihr künstlerisches Schaffen unter Hitler einstellen mussten. Die Geschichte von Mäuseken Wackelohr von Hans Fallada beispielsweise, bei der sich eine Maus auf den Weg zum Dach des gegenüberliegenden Hauses macht, um einen Mäuserich kennenzulernen. Wer Freund und wer Feind ist, ist da oft schwer zu beurteilen. Teilweise gibt es auch Altersbeschränkungen im Puppentheater wie bei der Geschichte von „Hannes und Paul“, die sich um Homosexualität im Nationalsozialismus dreht: Eintritt erst ab 16 Jahren!

Puppenspiel wird heutzutage häufig mit Kindertheater, mit Kuchen fressenden Krokodilen assoziiert. Das war während des Nationalsozialismus ganz anders. Totalitäre Staaten nutzten besonders gern die Magie und Wirkungskraft des Puppenspiels für ihre Zwecke. Die Nationalsozialisten gebrauchten die Figur des Kasper „als Mann des Volkes“ für ihre Propaganda, sagt Christiane Klatt. 1938 wurde dafür eigens das Reichsinstitut für Puppenspiel gegründet. Figuren mit eindeutig propagandistischer Ausrichtung wie „Der Jude“, „Der Meckerer“ und „Der Spießbürger“ entstanden, die ihre Zuschauer ideologisch erziehen sollen. Vor allem durch das Lachen über die Figuren sollte das Publikum damals eine „Wahrheit“ aufnehmen, die es nicht weiter in Frage stellte, berichtet Klatt.

Die massive Förderung des Puppenspiels bedeutete vor allem für die Spieler große Veränderungen: Plötzlich erfuhren sie staatliche Akzeptanz und auch eine wirtschaftliche Verbesserung. Denn durch die Gleichschaltung sorgte die NS-Kulturgemeinde für genügend Zuschauer, es wurden Fronttheater abgehalten, um Soldaten zu motivieren. Die meisten Puppenspieler passten sich den politischen Gegebenheiten an – sofern sie einen Arierausweis und später auch einen Ahnenpass vorlegen können.

Anders denkenden Puppenspielern bot sich durch die Monopolisierung des Berufes nur noch ein kleiner Rahmen zum Protest: sie begradigten etwa die Nasen von Figuren, die sich an antisemitischen Stereotypen orientieren sollten, oder machten sich satirisch über die politische Lage lustig, erzählt Christiane Klatt. Ein Puppenspieler ließ Kasperl sagen: „Z wie Zeppelin, Y wie Ypsilon und P wie Polen“, worauf Seppel antwortete: „Polen gibt’s doch gar nicht mehr!“

Damals wie heute lebt das Puppentheaters vom suggestiven Anregen der Fantasie. Mit Hilfe der Puppen lässt sich leicht ein Zugang zum Publikum finden. „Publikum und Spieler müssen gemeinsam die Puppe beleben“ sagt Klatt. So kann sich das Publikum einem Thema auf eine emotionale Weise nähern, was auch die Auseinandersetzung mit schweren Themen erleichtert. CHRISTINA STEENKEN

■ „Puppen und NS-Zeit“ noch bis zum 1. Juni im Figurentheater Grashüpfer im Treptower Park www.theater-grashuepfer.de