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Carmen und Connie laufen Streife an der Grenze zu Mexiko, bewaffnet. Sie nennen sich „Oma-Brigade“„Ihr fasst sie nicht an“, lautet die Regel. Nicht immer halten sich die Minutemen daran

AUS PALOMINA PETER BÖHM

Der Geruch nach Frittiertem ist überwältigend. Die Speisekarte des Trading Post verspricht Hamburger und Schweinerippchen. An den Wänden hängen alte Goldgräber-Utensilien und ein blanker Stierschädel. Im Buffet liegt selbst gebackener Kuchen zum Verkauf. Vor dem Holzhaus stehen zwei Zapfsäulen. Drinnen im Hinterzimmer treffen sich am Nachmittag zehn Leute zu einer Versammlung.

Das alles wäre nichts Besonderes, wäre das Trading Post nicht die Zentrale einer der derzeit erfolgreichsten amerikanischen politischen Bewegungen: der Minutemen. Die Gruppe dominiert seit Monaten die Debatte über die Einwanderungspolitik der Vereinigten Staaten, weil sie eine lange für eine Tautologie gehaltene Prämisse des amerikanischen Selbstverständnisses in Frage stellt: dass die USA ein Einwanderungsland sind.

Aktivistinnen der ersten Stunde hier an der mexikanischen Grenze sind Minutemen-Vizepräsidentin Carmen Mercer, 51, und Connie Faust, 59. Beide Frauen haben jeweils ein Restaurant in der Gegend. Mercer führt ein Café in Tombstone, einem Touristenstädtchen nahe der Grenze, wo 1881 die berühmte Wyatt-Earp-Schießerei über die Bühne ging. Connie Faust wiederum gehört eben jener rustikale Diner mit den selbst gebackenen Kuchen im Grenzort Palomina, zwanzig Kilometer weiter östlich. Beide Frauen tragen eine blonde Dauerwelle, Sweatshirts und ein Pistolenhalfter am Gürtel. In Arizona ist das kein Problem. Jeder darf hier eine Handfeuerwaffe haben, solange er sie offen trägt. Wenn die beiden zusammen an der Grenze zu Mexiko Streife laufen, nennen sie sich selbst „die Oma-Brigade“. Sie lachen.

Im April letzten Jahres haben die beiden den ersten „Aktionsmonat“ der Minutemen organisiert, im Oktober den zweiten. Freiwillige aus den ganzen USA kamen nach Arizona, um nachts die Grenze zu bewachen. Alle sechs Monate wollen die beiden solch eine Aktion organisieren – „bis die Regierung die Grenze zu Mexiko dicht macht“, sagt Mercer. „Zuerst muss sie die Nationalgarde schicken, dann Soldaten. Und am Ende muss eine Mauer gebaut werden.“

Einmal im Monat organisieren die beiden außerdem „ein Wachwochenende“. Heute ist es wieder so weit. Außer Mercer, Faust und deren Mann Bill sind sechs weitere Freiwillige ins Trading Post gekommen: zwei Ehepaare, beide um die siebzig und mit schlohweißen Haaren. Die einen sind hier aus der Gegend, die anderen aus Phoenix, 250 Kilometer nördlich. Bis vor fünf Jahren hätten sie hier an der Grenze ein Haus gehabt, sagt die Frau. „Aber das wurde so gefährlich, dass wir lieber weggezogen sind. Es muss wirklich etwas passieren in der Politik.“

Außerdem gekommen sind ein frühpensionierter Feuerwehrmann und ein Ex-Soldat, der für eine private Sicherheitsfirma arbeitet. Die beiden werden später wattierte Camouflage-Jacken und -Hosen anziehen. Sie haben ein Nachtsichtgerät und einen Scheinwerfer dabei, „mit dem man einen Berg in fünf Kilometer Entfernung ausleuchten könnte“. Den ganzen Abend lang reden sie über Waffen.

Aber viel wichtiger ist: Vor dem Trading Post parkt auch ein Übertragungswagen des Fernsehens, im Diner sitzen nun fast so viele Journalisten wie Freiwillige. In den letzten Wochen haben die Medien über nahezu jeden Schritt der Minutemen berichtet.

Bill Faust, untersetzt, mit grauem Schnurrbart und einer riesigen Gürtelschnalle, erläutert allen Anwesenden das Ziel der heutigen „Mission“: ein Abschnitt an der Grenze, fünf Kilometer südöstlich des Trading Post, angeblich eine Stelle, die vor allem von Drogenschmugglern frequentiert wird. Ganz in der Nähe stehe ein Haus, referiert er, das wahrscheinlich als Lagerhaus für Drogenlieferungen diene. „Es sieht aus wie aus einem Film der Addams-Family.“ Als wir später daran vorbeifahren, steht dort eine Vogelscheuche mit einer Gewehrattrappe am Zaun. Das Haus sieht gepflegt aus wie die anderen in der Gegend auch.

Für den Fall, dass den Minutemen an der Grenze illegale Einwanderer in die Arme laufen, erklärt Faust noch einmal die Regeln für den Umgang mit ihnen: „Ihr sprecht nicht mit ihnen. Ihr fasst sie nicht an. Idealerweise seht ihr sie, sie aber nicht euch. Dann informiert ihr über Funk die Streifenführerin Connie Faust. Die informiert per Handy die Grenzpatrouille.“

Nicht immer haben sich die Minutemen in der Vergangenheit an ihre Regeln gehalten. Natürlich dürfen sie als Zivilisten niemanden festhalten oder gar festnehmen. Aber der Feuerwehrmann erzählt später freimütig, dass sie sowohl bei der Aktion im April als auch im Oktober Illegale mit vorgehaltener Pistole gezwungen hätten, sich auf den Boden zu setzen, bis die Patrouille kam.

Nachdem sich alle mit frischem Kaffee eingedeckt haben, macht sich die Wagenkolonne mit den Minutemen und den Journalisten auf den Weg Richtung Grenze. Wiesen mit hohem, gelbem Gras erstrecken sich entlang der staubigen Straßen. Dann bald nur noch die kargen Sträucher der Wüste. Dennoch stehen an den Kreuzungen Straßenschilder mit Namen von Blumen und Bäumen. Und neu gebaute Häuser, wie in anderen Vororten der USA auch, nur weiter auseinander. Jedes hat einen eigenen Brunnen, eine Stromquelle, und telefonieren kann man nur über das Funknetz.

Der Name Trading Post, Handelsstation, der das gute, alte Amerika suggeriert, täuscht offenbar. Landwirtschaft gibt es hier in der Gegend schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Einige Countys in Arizona gelten als wirtschaftlich äußerst dynamisch. Wie so oft gibt es eine große Kaserne in der Gegend, in Tucson werden High-Tech-Waffen produziert, und im Winter kommen die „Zugvögel“ – Rentner aus den kälteren Bundesstaaten im Norden, die mit ihren riesigen Wohnmobilen ins wärmere Arizona umziehen oder hier Häuser gekauft haben.

Und da ist sie, die Grenze zu Mexiko. Der Anblick ist eher ernüchternd. Wie fast überall außerhalb der städtischen Zentren ist sie ein Viehzaun mit Holzpflöcken und ein paar dazwischen gespannten Drähten. Die Minutemen verteilen sich in fünf Gruppen und im Abstand von jeweils 150 Metern entlang der Grenze. Außer dem Ex-Feuerwehrmann und dem Ex-Soldaten haben alle Campingstühle und Decken dabei.

Carmen Mercer und das Ehepaar Faust haben sich am Ende eines Grabens postiert, in dem angeblich oft Illegale entlanglaufen. Die drei plaudern den ganzen Abend gut gelaunt über ihre Restaurants, über den letzten Urlaub und darüber, wie es angefangen hat mit den Minutemen.

Über den charismatischen Minutemen-Chef Jonathan Wilcox, 41, spricht Carmen Mercer wie über einen Heiligen. Unmittelbar nach dem 11. September, als Präsident George W. Bush die Bürger zu erhöhter Wachsamkeit aufgerufen habe, erzählt sie, hätten sie zusammen mit ihm die ersten Nachbarschaftswachen organisiert. Daraus seien schließlich die Minutemen entstanden.

Jeder kann Wilcox bei seinem Tun zuschauen. Wie jeden Samstagmorgen veranstaltet er im Industrieviertel von Phoenix die „Aktion Spotlight“: Minutemen postieren sich an Straßenkreuzungen, an denen zumeist illegale Einwanderer auf Gelegenheitsjobs warten. Sie schwenken Plakate, sie filmen die Autos, in die die Arbeiter einsteigen, manchmal stellen sie diese Bilder auch ins Internet. Solche Aktionen, die die gesellschaftliche Akzeptanz der mexikanischen Arbeitsimmigranten unterlaufen sollen, finden inzwischen in vielen amerikanischen Städten statt.

Wilcox steht auf dem Parkplatz des Supermarkts und gibt Interviews. Ein Dutzend Journalisten ist heute gekommen. Als ein Reporter der Washington Post, der kaum den Blick von seinem Block hebt, an der Reihe ist, rudert Wilcox mit den Armen, als habe er das lange vor dem Spiegel geübt. Fast alle seine Sätze beginnen mit den Worten „Wir fordern“. Dabei richtet er den Blick dramatisch in die Ferne.

Wilcox war ursprünglich Hauptschullehrer in Santa Monica, einem der reichsten Stadtteile von Los Angeles. Unmittelbar nach dem 11. September, erzählt er, habe er seinen Urlaub in einem Nationalpark in Arizona verbracht, direkt an der Grenze. Dort habe er die „katastrophalen Zustände“ mit eigenen Augen gesehen. Drei Monate sei er deshalb die Grenze abgefahren und habe amerikanischen Zeitungen Artikel darüber angeboten. „Niemand wollte sie haben“, sagt er, „weil ich keine Ausbildung als Journalist habe.“ Wilcox ist ehrlich entrüstet.

Carmen Mercer erzählt, dass der Tombstone Tumbleweed, eine Regionalzeitung, damals einen Autor gesucht habe. Wilcox fing dort an und kaufte schließlich das wenige Seiten starke Blättchen.

Bald darauf, berichtet Jennifer Allen von der Nichtregierungsaktion „Border Action Network“ in Tucson, sei der Tombstone Tumbleweed voll von Beiträgen über „braune Horden“ gewesen, die das Land überrennen. „Braun“ ist in den USA die Chiffre für Einwanderer aus Lateinamerika. Erst als die Medien im vergangenen Jahr anfingen, über die Minutemen zu berichten, habe Wilcox seine Sprache etwas gemildert. Das allerdings bestreiten der Herausgeber und Minutemen-Chef Wilcox und seine Vizepräsidentin Mercer.

Die Wache an der Grenze verläuft unterdessen ruhig. Um halb elf ruft die Grenzpatrouille Connie Faust an und bittet sie, zum nächsten Wohnhaus zu kommen, einen Kilometer weiter die Grenze entlang. Als sie zurückkommt, berichtet sie den anderen, die Grenzer hätten zwei Verdächtige aufgegriffen. Die hatten sich als Minutemen ausgegeben.

„Waren sie Illegale?“, fragt ein Journalist. „Nein“, sagt Faust. Man spürt, wie die Spannung in der Runde in Enttäuschung umschlägt. „Das ist heute das erste Mal“, sagt der Ex-Soldat, „dass wir niemanden gefasst haben.“