Gespenster kommen uns entgegen

Nicht nur der Inhalt, auch die Aufmachung überzeugt: Der lesenswerte b_books-Reader „Outside“ versammelt endlich Standardtexte angloamerikanischer Queer Theory

„Outside“ hieß der Outing-Song von George Michael: eine symbolische Geste glamouröser Überlegenheit gegen die Häme der Öffentlichkeit, nachdem er auf einer Herrentoilette beim Cruisen verhaftet worden war. „Outside“ heißt auch ein b_books-Buch, das Matthias Haase, Marc Siegel und Michaela Wünsch herausgegeben haben. Es versammelt bisher unübersetzte Standardtexte der anglo-amerikanischen Queer Theory.

„Die Politik queerer Räume“, so der Untertitel, findet überall dort statt, wo sich queeres Leben äußert. In Underground-Clubs und einschlägigen Büchern, Cruising-Areas und Filmen voller versteckter homoerotischer Subtexte. Das Bedürfnis der HerausgeberInnen, die Artikulationen von Queerness direkt an Orte und Objekte zu binden, ist nachvollziehbar. Gerade in der deutschen Debatte werden die Butler’schen Figuren der „Subversion“ und des „Drag“ zu oft gedacht, ohne an einen konkreten Raum oder eine konkrete Zeit gebunden zu werden – so als wäre queeres Leben in Abstrakta auflösbar und dessen Subversionspotenzial auf einer Messlatte zu benoten. In „Outside“ eröffnet die Ortsbezogenheit vieler Positionen erst die Bedeutungsvielfalt von „queer“. Das verhindert, dass sich aus dem Begriff eine eindimensionale Identitätspolitik stricken lässt.

Diese Genauigkeit fehlt so manchem Reader dieser Art. Die Übersetzungen sind achtsam und die Literaturanhänge differenziert, das Vorwort von glasklar lyrischer Dringlichkeit und das Layout von seltener Schönheit: Ein Gemälde des Malers Donald Moffett lässt einen Wald erahnen, in dem sich gespensterhafte Subjekte lustvoll begegnen können. Das Gespenstische – das große Modewort in den zeitgenössischen Theorie- und Film-Diskursen zwischen Karl Marx und Jacques Derrida, Thomas Elsässer und Christian Petzold – kommt hier zu seinem Recht. Die Cruising-Area gibt ein ebenso gespenstisches Bild ab wie die Maskierungen von Drag oder die vielfach codierten Praktiken der lesbischen Lederdaddys, die Jacob C. Hale in seinem Aufsatz beschreibt. Immer handelt es sich in diesen widerständigen Akten um Biopolitiken, die die äußere Formation der Gesellschaftlichkeit unterwandern und, wenn auch nur teilweise für eine kurze Zeit, verändern.

So beginnt der Afroamerikaner Robert F. Reid-Pharr seinen Text „Dinge“ mit der Schilderung eines Erlebnisses, bei dem seine Hautfarbe in einem Berliner Nachtclub Rassismus motiviert. Auch queere Räume generieren Hackordnungen, und es hat eine Weile gedauert, bis sich zu den Debatten um Gender die um Rasse wieder hinzugesellten.

Einen Blick auf die normativ konstruierten Bilder der Außenwelt wirft die immer noch von deutschen Verlagen kläglich ignorierte Butch-Ikone Judith Halberstam, wenn sie den Oscar-prämierten Film „Boys Don’t Cry“ (1999) diskutiert. Die Regisseurin Kimberley Peirce griff darin eine Geschichte auf, die nicht nur in Transgender-Kreisen zum Mythos wurde: den brutalen Lynchmord an der biologischen Frau Brandon Teena, der mit seinem männlichen Gender erfolgreich passierte und sein Leben im ländlichen Nebraska als Junge gestaltete.

Halberstam beschreibt die lange Geschichte des ständig wachsenden Brandon-Teena-Archives, das von verschiedenen Communities mit verschiedenen Bedeutungen aufgeladen wurde. Sie wehrt sich nicht nur gegen eine Mythologisierung queeren Landlebens als traurig und einsam, sondern analysiert auch die normative Ideologie, die Brandon Teenas Mythos in den Mainstream brachte.

Denn die romantische Liebesgeschichte, der sich „Boys Don’t Cry“ bedient, gipfelt in einer Liebesszene, in der Brandons Freundin und er übereinstimmen, dass seine angeblichen männlichen Verwirrungen reichlich schräg gewesen sind. Daraufhin überlässt die Kamera die nun als weiblich identifizierten Figuren sich selber, womit der Film jedes ernsthafte Engagement für Brandon Teenas Männlichkeit wieder aufhebt.

Die Problematik, verschiedenen Identitätsentwürfen gerecht zu werden, zieht sich durch fast alle Beiträge von „Outside“. Dass bei dieser vielfältigen Kontextualität der Begriff „queer“ selbst zum Gespenst wird, welches sich manchmal nur schwer eingrenzen lässt, bleibt Stärke und Problem des Bandes. Die Vielfalt der versammelten Texte verweist darauf, wie viele Baustellen eine der inderdisziplinärsten aller akademischen Disziplinen gleichzeitig zu beackern hat.

Dass auf blinde Flecken im Diskurs, etwa auf die Idealisierung queerer Subjekte zu Statthaltern der Transgression oder auf die Allgemeinheit des Schlagwortes Heteronormativität, kaum reagiert wird, ist schade, aber nicht das Problem dieser schönen Textsammlung. „Er ging über die Brücke und dann kamen ihm die Gespenster entgegen“, steht auf einer Schrifttafel in Murnaus Stummfilm „Nosferatu“. Wenn wir die Gespenster so ernsthaft und respektvoll begrüßen wollen, wie „Outside“ das tut, wird uns das noch viele schlaflose Nächte bereiten.

TIM STÜTTGEN

„Outside. Die Politik queerer Räume“. Hg. von Marc Siegel, Michaela Wünsch, Matthias Haase. b_books, Berlin 2005, 15 €