Beim Geld beginnt die Freundschaft

Eine Kreuzberger Finanzkooperative versucht, soziale Unterschiede auf der Mikroebene auszugleichen. Neben Sympathie brauchen die sieben Mitglieder für die gemeinsame Kasse gegenseitiges Vertrauen. Denn weil jeder Kollektivist eine eigene Bankkarte hat, geht schon mal der Überblick verloren

„Mit einer Finanzcoop stehst du nie alleine da, wenn du kein Geld mehr hast“

VON WIEBKE BERGEMANN

Am Anfang war ein Blechtopf. Der Blechtopf stand in der Küche. Und alle MitbewohnerInnen in der Marburger Wohngemeinschaft (WG) warfen ihre gesamten monatlichen Einkünfte in den Topf: der eine mehr, der andere weniger. Denn wenn sie etwas zusammen unternehmen wollten, sollte keiner ausgeschlossen sein, weil er nicht genug Geld in der Tasche hat. Wie es auf einem großen WG-Ausflug passiert war, als Ralfs Portemonnaie nicht für das ausgiebige Vergnügungsprogramm reichte. „Das ist so unser Gründungsmythos“, sagt der 29-Jährige lachend und zündet sich eine selbst gedrehte Zigarette an.

Heute, sieben Jahre später, gibt es die WG nicht mehr. Einige ehemalige Mitbewohner sind nach Bremen gezogen, Ralf wohnt jetzt in Kreuzberg. Aber die gemeinsame Kasse besteht weiter. Aus dem Blechtopf wurde ein Konto, das mit zwei Inhabern, fünf weiteren Bevollmächtigten und sieben Plastikkarten für den Bankautomaten nicht nur bei Sparkassenangestellten verständnisloses Kopfschütteln hervorruft.

Aus der WG ist eine Finanzkooperative geworden, in der die sieben Mitglieder ihre teilweise erheblichen Einkommensunterschiede ausgleichen. Die beiden beteiligten Ärztinnen zahlen ihre monatlichen Einnahmen ebenso vollständig ein wie Patrick*, der gerade eine teure Ausbildung macht und von Hartz IV lebt. Oder wie Ralf, der bis vor kurzem im kollektiv verwalteten Café Morgenrot arbeitete.

Die gemeinsame Kasse beruht auf Vertrauen und funktioniert. Sogar ein zweites Konto wurde eingeführt, auf dem die Ersparnisse der Mitglieder liegen. Allerdings sind die Besitzverhältnisse auf dem Sparkonto klar getrennt: Wer hier Einlagen gemacht hat, bekommt diese in voller Höhe zurück, wenn er einmal aus dem Kollektiv aussteigen sollte. Patrick und Jan wollen sich die Diskussion mit der Arbeitsagentur sparen, ob es sich bei einer Finanzcoop um eine Bedarfsgemeinschaft handelt.

Die Zahl der selbst organisierten Finanzkooperativen lässt sich nur schwer schätzen. Ralf weiß von mindestens vier weiteren Gruppen allein in Berlin. Das Modell der Kommunen aus den Siebziger Jahren haben die Finanzcoops abgespeckt. Statt gemeinsam zu wohnen und zu arbeiten, konzentrieren sie sich pragmatisch auf das größte Übel im Kapitalismus: Sie haben das Geld-Anschaffen kollektiviert. Und zugleich eine soziale Absicherung organisiert: „Mit einer Finanzcoop stehst du nie alleine da, wenn du kein Geld mehr hast“, sagt Patrick. Das nehme den Existenzdruck. So entstehen neue Spielräume: Seine teure Ausbildung hätte der 26-Jährige ohne die Finanzcoop im Rücken wohl nicht begonnen. Genauso wird unterstützt, wer eine Auszeit braucht: um die Diplomarbeit fertig zu schreiben, für eine Neuorientierung oder einfach, um sich zu erholen.

Die holen mich aus der Mühle heraus, sagt Petra. Wenn die Ärztin in Arbeit versinkt, sind es die Leute aus der Finanzcoop, die sie ermuntern, mal einen Monat unbezahlten Urlaub zu nehmen. Dass sie zu den Netto-Einzahlern gehört, stört sie nicht. Sympathie sei wichtig: „Vielleicht wäre ich nicht mehr dabei, wenn ich die Leute nicht so gerne mögen würde.“ Petra ist es gewohnt, mit wenig auszukommen. Als sich die Finanzcoop gründete, studierte sie noch. „Ich habe ja noch nie viel Geld für mich alleine verdient.“ Heute sieht sie die Finanzcoop auch als Kontrollinstanz dafür, wie viel Geld sie wirklich benötige. „Wenn man viel arbeitet, gibt es diesen Reflex, sich durch Konsum entschädigen zu wollen.“

Ausgegeben wird das Geld auch in einer Finanzcoop individuell. Meistens jedenfalls. Alle sechs bis acht Wochen treffen sich die Kollektivisten für ein Wochenende, um die gemeinsamen Einnahmen und Ausgaben zu klären. Jeder gibt an, wie viel er monatlich braucht. Einkäufe ab 80 Euro müssen angemeldet werden. Fahrräder, Computer, Reisen – größere Anschaffungen lösen unter Umständen längere Diskussionen aus.

Ralf kann sich allerdings nicht daran erinnern, dass die Finanzcoop schon einmal einem Mitglied einen Kaufwunsch ausgeschlagen hat. Patrick widerspricht ihm lachend: „Ich wollte einen antiken Ofen, der war wirklich schön. Es gab ein großes Rumgelaber: ‚Ach nee, es ist April und du brauchst den eh nicht.‘“ Als eine Freundin schließlich Patrick den Ofen schenken wollte, war er schon verkauft.

Theoretisch sind alle Mitglieder in einer Finanzcoop gleich vor dem Geld. Doch auch Kollektivisten schweben nicht im luftleeren Raum, abgelöst vom Leistungsprinzip. Wer viel verdient, muss schließlich meistens auch viel arbeiten. Man könne nicht einfach vergessen, wer wie viel einzahlt und im Verhältnis dazu ausgibt, sagt Ralf: „Der Ärztin fällt es leichter, zu sagen, ich will ein Laptop, als mir, dem Café-Kollektivisten. Das kriegt man nicht so leicht aus dem Kopf.“

Natürlich gebe es immer wieder auch Eifersucht, Missgunst und Misstrauen, meint Jan*, ein Freund der beiden und Mitglied in einer zehnköpfigen Berliner Finanzcoop: „Die einen sammeln wie verrückt Schallplatten, dass man sich in Zeiten von MP3 nur an den Kopf fassen kann. Die anderen brauchen ständig neue technische Geräte.“ Doch wenn es zu Austritten kommt, dann vor allem weil es in den persönlichen Beziehungen knirscht. Oder weil jemand ein zu großes Kontrollbedürfnis habe, sagt Jan: „Manchen ist das zu chaotisch.“

Als Finanzkollektivist habe er ein anderes Grundgefühl beim Umgang mit Geld. „Nicht: Ich verdiene meine Knete, und wofür ich die ausgebe, geht niemanden etwas an“, so Jan. Stattdessen müsse er sich immer vor der Gruppe rechtfertigen. In manchen Finanzcoops darf beispielsweise innerhalb Europas nur mit der Bahn gefahren werden, auch wenn Flüge inzwischen viel billiger sind. Aus ökologischen Gründen. Ralf und Patrick verdrehen die Augen. Und wo die Gruppe auf solche Dogmen verzichte, spielen andere, subtilere Verhaltensregeln eine Rolle, gibt Jan zu bedenken: „Es gibt ja einen linken Wertekanon: Wenn jemand sagen würde, ich möchte gerne mal einen richtig guten, maßgeschneiderten Sommeranzug haben, dann würden mehrere Leute in Ohnmacht fallen.“ Aus solchen Widersprüchen ergäben sich spannende Auseinandersetzungen, findet Jan. Ein Kollektivist scheut keinen Konflikt.

*Namen geändert