Wird die Türkei jetzt in den Syrienkrieg eingreifen?

BOMBENANSCHLAG Nach der Explosion in der Grenzstadt Reyhanli mit Dutzenden Toten wird die innenpolitische Debatte hitziger. Noch ist unklar, wer das Attentat verübt hat. Die Politik macht Syrien verantwortlich, doch andere glauben nicht an Assads Verantwortung

Gerade in dieser Woche könnten die Weichen für ein Eingreifen gestellt werden

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Mindestens 46 Tote, mehr als 50 Schwerverletzte und eine zerstörte Innenstadt sind das Ergebnis eines verheerenden Doppelanschlags, der am Samstagnachmittag das Zentrum der türkischen Kleinstadt Reyhanli getroffen hat. Reyhanli liegt in der Provinz Hatay, nur drei Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, und ist ein Zentrum der syrischen Opposition.

Die türkische Polizei hat am Sonntagnachmittag neun Männer verhaftet, die in den Anschlag verwickelt sein sollen. Alle Verhafteten sollen türkische Staatsbürger sein. Verantwortlich für das Blutbad in Reyhanli sei das Assad-Regime, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Beshir Atalay am Sonntag. Einige Verhaftete hätten bereits gestanden, an den Anschlägen beteiligt zu sein. Innenminister Muamar Güler deutete an, die Männer gehörten zu einer linksradikalen Organisation, die mit dem syrischen Geheimdienst kooperiert hätte.

Die syrische Regierung wies diese Anschuldigungen empört zurück. Informationsminister Omran al-Sohbi sagte: „Syrien hat diese Tat nicht begangen. Niemand hat das Recht, solche willkürlichen Anschuldigungen zu erheben.“ Die Verantwortung für die Anschläge trügen vielmehr der türkische Ministerpräsdident Erdogan und seine Partei. „Erdogan ist der Mörder“.

Das Attentat im Zentrum der Kleinstadt erfolgte durch zwei kurz nacheinander gezündete Autobomben. Ein drittes Auto explodierte, weil durch den Bombenanschlag der Tank in Flammen aufging. Das Zentrum von Reyhanli wurde durch die Gewalt der Explosionen schwer beschädigt. Ganze Häuserfassaden stürzten ein, darunter die einer Nachmittagsschule, in der Kinder Nachhilfeunterricht für die bevorstehenden Prüfungen im Sommer bekamen.

Bis Sonntagnachmittag stieg die Zahl der Toten auf 46, allerdings schweben noch etliche Verletzte in Lebensgefahr. Nachdem noch Samstagabend Einwohner aus Reyhanli auf syrische Oppositionelle und Flüchtlinge losgegangen waren, deren Anwesenheit sie für den Bombenangriff verantwortlich machen, verhängte die Regierung in der Nacht eine Nachrichtensperre über die Ermittlungsarbeit.

Das heizte die Gerüchteküche aber erst recht an. Während Vertreter des Innenministeriums, aber auch Außenminister Ahmet Davutoglu, der sich am Wochenende in Berlin aufhielt, und Bülent Arinc, der zweite Mann nach Ministerpräsident Erdogan, mit dem Finger nach Damaskus zeigten, wollten Oppositionsvertreter die Schuldigen eher im Lager der syrischen Opposition sehen. „Warum“, fragte der Vorsitzende der CHP, Kemal Kilicdaroglu, „sollte Assad die Türkei provozieren?“

Die heftige innenpolitische Auseinandersetzung zeigt, wie gespannt die Lage ist und wie sehr die Menschen in der Türkei befürchten, in den Krieg in Syrien hineingezogen zu werden. Während die Regierung in Ankara sich schon vor einem Jahr vor allem hinter die syrischen Muslimbrüder gestellt hat, ist die säkulare Opposition in der Türkei strikt gegen eine Einmischung in den Bürgerkrieg.

Gerade in dieser Woche könnten aber die Weichen für ein Eingreifen in Syrien gestellt werden. Erdogan reist Mitte der Woche nach Washington und wird am Donnerstag mit US-Präsident Barack Obama über das weitere Vorgehen in Syrien konferieren. Außenminister Davutoglu wies gestern darauf hin, dass die USA und Russland sich gerade auf ein gemeinsames Vorgehen für einen Waffenstillstand verständigt hätten, bei dem Präsident Assad womöglich abtreten müsste. Davutoglu legte nahe, dass die Bombenanschläge dies vereiteln sollten.

Andere Experten verweisen dagegen darauf, dass gerade die syrische Opposition ein Interesse daran hat, die Türkei und die USA auf ihrer Seite stärker in den Krieg hineinzuziehen, um Assad schneller zu stürzen.

Die türkische Regierung drängt schon länger auf die Einrichtung einer Flugverbotszone in Syrien, um Flüchtlinge auf der syrischen Seite der Grenze unterzubringen. Bislang wollte die US-Regierung davon nichts wissen, doch nach fast 50 Toten in der Türkei wächst der Druck, sich stärker zu engagieren.

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