Grüner Streit um 60.000 Euro

Die Idee eines staatlichen Startkapitals für alle Schulabgänger spaltet die Partei. Während einzelne Landesverbände das Programm als „gigantische Umverteilung von Reich zu Arm“ loben, hält die Parteilinke den Vorschlag für nicht umsetzbar

VON CHRISTIAN FÜLLER

Brigitte Pothmer sagt gleich mehrfach: „Das Modell ist charmant.“ Die Sozialpädagogin meint damit zum Beispiel die Idee, die Vermögensverteilung in der Republik neu auszutarieren. Und das ist noch nicht alles. „Es ist auch richtig, junge Menschen von ihren Familien unabhängig zu machen“, ergänzt sie.

Und doch klingt es wie ein Todesurteil, wenn die grüne Bundestagsabgeordnete Pothmer „charmant“ sagt. Das neue Sozialstaatsmodell, das in Grünenkreisen gerade ventiliert wird, ist für sie dann doch unrealisierbar und setzt ohnehin die falschen Prioritäten. Andere Grüne denken freilich ganz anders.

Bei den Grünen entsteht gerade eine muntere Debatte über den neuen Sozialstaat, der jedem Volljährigen Zugriff auf 60.000 Euro Startkapital ins Leben ermöglichen würde. Die Heinrich-Böll-Stiftung hat das aus den USA stammende Konzept einer Teilhabegesellschaft zu Wochenbeginn vorgestellt. Es versteht Teilhabe nicht nur als abstraktes Bürgerrecht, sondern übersetzt sie in einen konkreten Betrag, der jedem jungen Bürger zur Verfügung gestellt wird (taz von gestern).

„Wir haben nicht die Illusion, dass das 1:1 in grüne Realpolitik umgesetzt wird“, sagte Heinrich-Böll-Chef Ralf Fücks der taz. Das Papier der Böll-Stiftung, das die Sozialwissenschaftler Claus Offe, Gerd Grözinger und Michael Maschke verfasst haben, wird im Frühjahr bei Campus als Buch auf den Markt gebracht. „Wir wollen die öffentliche Debatte über den Sozialstaat erweitern“, sagen die Autoren.

In manchen grünen Landesverbänden ist dies bereits gelungen. „Man nimmt passives Kapital und investiert es in die Aktivität der Menschen“, lobt etwa der Schleswig-Holsteinische Landesvorsitzende Robert Habeck den Ansatz der Böll-Stiftung. Habeck hat den Eindruck, die Grünen müssten energischer über Freiheit und Gerechtigkeit diskutieren. Die Böll’sche Teilhabegesellschaft findet er dafür ideal – auch aus linker Perspektive.

Denn die darin enthaltene Sozialerbschaft von 60.000 Euro, auf die schon 18-Jährige einen Anspruch erhalten, ist für ihn zugleich eine gigantische Umverteilung: „Dieses BürgerInnengeld wird so zu einem harten linken Umverteilungsprogramm, das eine Geldsumme von Reich zu Arm verschiebt, wie es sich der Staat seit Jahrzehnten nicht getraut hat.“

Der grüne Landeschef aus dem Norden meint damit, dass das 60.000-Euro-Startkapital für jährlich knapp eine Million Jugendliche aller Schichten zu weiten Teilen aus der materiellen Oberschicht kommen soll. Eine neue Vermögensteuer, die das obere Viertel der Vermögensreichen trifft, soll laut Claus Offe und Koautoren etwa 30 Milliarden Euro jährlich für die Sozialerbschaft erwirtschaften.

Gerade die Linken unter den Grünen haben allerdings Probleme mit der Teilhabegesellschaft. Sie weisen darauf hin, dass ein 60.000-Euro-Bonus pro jungem Erwachsenen keinesfalls Transferleistungen des alten Sozialstaats ersetzen dürfe. „Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II kann man sich nicht komplett sparen“, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete Markus Kurth. Von einer Abschaffung dieser Transfers ist im Modell Teilhabegesellschaft aber nicht die Rede. „Ich zweifle stark an der Umsetzbarkeit des Modells“, resümiert Kurth. Gerade im Blick auf eine neue, 30 Milliarden Euro schwere Vermögenssteuer, die er als Linker freilich völlig richtig findet.

Die Heinrich-Böll-Stiftung will sich von der mäandernden Debatte nicht beirren lassen. „Wir sind in der Phase, in der wir unkonventionelle Ideen zulassen müssen“, sagt Stiftungschef Fücks mit Blick auf die gerade abgegebene Regierungsverantwortung. „Wir brauchen Ideen, die auf gesellschaftliche Veränderung zielen.“