Kreatives Abweichen

KUNST Tauchen, Posen, Purzelbäume: „Die Irregulären“-Schau in der NGBK beschäftigt sich mit ungewöhnlichen Arbeitsweisen

Virtuos, dilettantisch und nerdig sind die Schlagwörter in der Ausstellung

VON INGA BARTHELS

Unter Wasser Bananen essen: das hat Klara Hobza in ihrer ersten Tauchstunde gelernt. Der Unterricht war Vorbereitung für Hobzas größenwahnsinnig anmutendes Projekt, durch ganz Europa zu tauchen. Im März 2012 sprang die deutsch-tschechische Künstlerin bei Rotterdam in den Rhein, in der rumänischen Stadt Constanţa am Schwarzen Meer soll die Tauchreise enden. Hobza schätzt die Dauer ihres Projektes „Diving Through Europe“ auf 20 bis 30 Jahre.

In Berlin stellt sie ihr Projekt in Fotos und Videos als Teil der Ausstellung „Die Irregulären – Ökonomien des Abweichens“ in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) vor. Die Schau beschäftigt sich mit unerwarteten Arbeitsweisen, die zu Kunstwerken werden, und mit Kunstwerken, die neue Arbeitsweisen außerhalb der Kunstwelt beleuchten.

Denn Ausgangspunkt des Ausstellungskonzeptes ist der Wandel der modernen Arbeitswelt. Seit nicht mehr die Herstellung von Produkten im Vordergrund stehe, sondern das Erzeugen immaterieller Güter und Dienstleistungen, steige die Erwartung an Arbeitende und Produzierende, immer kreativer und flexibler in ihren Arbeitsweisen zu werden. Beruflich und gesellschaftlich erfolgreich könne heutzutage nur sein wer – so die These der NGBK – zum Virtuosen auf seinem oder ihrem Feld wird, neue Strategien entwickelt, anders denkt.

Strategien, die früher nur der künstlerischen Produktion vorbehalten waren, sind nun also auch auf dem Arbeitsmarkt gefragt, seien es neue Techniken oder kreative Umwertungsprozesse. Virtuos, dilettantisch und nerdig sind die Schlagwörter, mit denen die NGBK diese Arbeitsweisen beschreibt.

Wie diese Anstrengungen letztlich bewertet werden, unterliegt dabei selbst dem Zeitgeist, herkömmliche Beurteilungskriterien gelten nicht mehr. Die 13 Arbeiten, die in „Die Irregulären“ ausgestellt sind, sollen sich kunstvoll mit den abweichenden Strategien auseinandersetzen. Dabei kommentieren einige Werke die sich verändernde Arbeitswelt, während in anderen irreguläre Methoden in Kunst verwandelt werden sollen. „Diving Through Europe“ etwa wird in der Ausstellung als Beispiel virtuoser Arbeit gedeutet.

Neben Hobzas Tauchprojekt zeigt Nasan Tur Videos eines sich in Purzelbäumen durch die Weltgeschichte fortbewegenden Mannes, das Künstlerduo Prinz Gholam stellt Posen der Kunstgeschichte und Populärkultur nach und Allround-Künstler Wolfgang Müller kommt als Meisenexperte zum Einsatz und erzählt von der Zeit, als er das erste private Goethe-Institut der Welt gründete. Während die Exponate oft amüsant sind, gelingt es doch nicht immer, sie mit dem komplexen theoretischen Unterbau der Ausstellung in Verbindung zu bringen. „Die Irregulären“ wirft mehr Fragen auf, als sie beantworten kann.

Einige herausragende Arbeiten machen die Ausstellung dennoch sehenswert. Harun Farockis Film „Die Schulung“ etwa, der nach fast 25 Jahren eher an Aktualität gewonnen als verloren hat, zeigt, wie wichtig immaterielle Arbeit in spätkapitalistischen Zeiten geworden ist. Der Regisseur begleitet ein Seminar für leitende Angestellte, bei dem diese ihre Körpersprache und Rhetorik verbessern sollen. Eindrucksvoll präsentiert Farocki in dem Film die Bedeutung von Image, Selbstvermarktung und Bewertung anderer und die bedingungslose und unreflektierte Unterwerfung der teilnehmenden Männer unter die wirtschaftlichen Machtstrukturen.

Auch mit der Kunstwelt selbst und insbesondere ihrem inflationären Gebrauch einiger Schlagwörter setzt sich „Die Irregulären“ auf ironische und intelligente Weise auseinander. Im Begleitbuch zur Ausstellung, dem „Glossar inflationärer Begriffe“, versuchen 27 Autoren in kurzen Essays Adjektiven, die übermäßig oft in der Beurteilung nicht nur von Kunst, sondern auch von Erwerbsarbeit benutzt werden, eine neue Bedeutung zukommen zu lassen. Über die abgenutzten kunsttheoretischen Vokabeln „Performanz“, „Spekulation“ und „Perzept“ verhängen Karin Harrasser und Alexander Martos in ihrer Installation gleich ein Begriffsmoritorium. Die drei Termini ruhen unter Glasglocken, auf denen verzeichnet ist, wann die Zwangspause enden soll. Bis dahin müssen geeignete Synonyme verwendet werden, um dem Begriff ein wenig seiner ursprünglichen Prägnanz zurückzugeben.

Wer selbst genervt ist von inflationär gebrauchten kunsttheoretischen Begriffen, kann diese vorschlagen. Über sie wird bei der Finissage der Schau am 2. Juni Literatur- und Medienwissenschaftler Joseph Vogl philosophisch improvisieren.

■ „Die Irregulären – Ökonomien des Abweichens“: NGBK, Oranienstraße 25, bis 2. Juni