Im Osten brummt der Beton

Ganz auf Augenhöhe mit den architektonischen Moden in Westeuropa und gesegnet mit einer boomenden Auftragslage: Das Deutsche Architekturzentrum DAZ zeigt in einer umfassenden Ausstellung die Arbeit junger Büros aus den neuen EU-Ländern

VON FRIEDERIKE MEYER

Das Eröffnungspublikum der Ausstellung „Emerging Identities – East!“ hat die eingespielte Berliner Architekturszene mit Sicherheit aus dem Konzept gebracht. Im Deutschen Architekturzentrum (DAZ) drängten sich an jenem Abend Ende November etwa 200 Gesichter, die hier wohl noch niemand gesichtet hatte. Kein Wunder, waren sie doch aus einer Gegend angereist, für deren aktuelle Baukultur sich bisher kaum jemand interessiert hat: aus dem Baltikum, der Slowakei, aus Tschechien, Polen, Ungarn und Slowenien. Diese Lücke zu schließen, ist die Idee der Ausstellung, die insgesamt 70 Architekturbüros aus den neuen mittel- und osteuropäischen EU-Ländern und ihre Bauten präsentiert. Damit vermittelt das vom Bund Deutscher Architekten initiierte DAZ nun knapp ein Jahr nach der Ernennung seiner neuen Direktorin Kristien Ring einen Eindruck davon, was es künftig sein will: ein internationales Forum für Architektur.

Neun große Leuchtkästen, die so genannten Länderinseln, sind im Scharoun-Saal des DAZ verteilt. Auch Berlin ist eine Insel gewidmet. Als Stadt, die Ost und West miteinander verknüpft, sei Berlin der ideale Ort, um den Dialog mit den östlichen Nachbarn zu vertiefen, meint Kristien Ring, die gleichzeitig Kuratorin der Ausstellung ist. Gemeinsam mit ihrem Team ist sie in den vergangenen Monaten durch die betreffenden Länder gereist, auf der Suche nach Bauwerken, die von den internationalen Fachmagazinen noch nicht vollkommen durchgenudelt wurden. Getroffen hat sie Architekten, die, wie sie sagt, „mit Eigeninitiative und Idealismus Projekte entwickeln“. Und gefunden hat sie vor allem Villen, Wohnanlagen und Bürogebäude – das, was in den postsozialistischen Ländern zurzeit in rauen Mengen gebaut wird.

So erschlägt auf den ersten Blick auch die Menge der kleinen Fotos auf den Leuchtkästen, auf den zweiten verdeutlichen diese aber vor allem eines: Die Architektur im Osten ist so vielfältig wie im Westen, und ihre Qualität hinkt keinen Schritt hinterher. Auch wenn die Architekten gern ihre Suche nach nationalen Identitäten betonen – die gezeigten Projekte unterscheiden sich nicht wirklich von dem, was in westeuropäischen Architekturmagazinen als beispielhaft gefeiert wird. Ihre Formensprache wurzelt zum Großteil in der Moderne und orientiert sich an internationalen Trends. Das ist nicht verwunderlich, haben doch ihre Schöpfer oft an westeuropäischen Hochschulen studiert oder zumindest im Ausland gearbeitet.

Die Ausstellung konzentriert sich programmatisch auf „die junge Generation“ – und tatsächlich ist das Alter der Architekten interessant: Während die als „jung“ apostrophierten Berliner fast ausnahmslos in den 60ern auf die Welt kamen, sind ihre Ost-Kollegen im Durchschnitt zehn Jahre jünger. Allein in Tschechien, so erzählen die Inhaber einer Prager Architekturgalerie, gebe es mehr als 50 Büros, deren Mitarbeiter noch keine 35 Jahre alt sind. Möglicherweise wird im Osten den Jungen ja einfach mehr zugetraut. Oder der boomende Markt ist einfach auf alle angewiesen. Denn während die Architekten hierzulande mangels Aufträgen häufig Däumchen drehen oder sich auf Zwischenräume und temporäre Aufgaben zurückziehen müssen, brummt im Osten das Geschäft. Die Kenner der Szenen zumindest schreiben im Katalog von explodierenden Großstädten, von wachsenden Vorortsiedlungen und sich wandelnden Industriegeländen. Einen Eindruck davon vermittelten auch die Teilnehmer eines zweitägigen Symposiums, das im Anschluss an die Eröffnung stattfand. Dort erzählten 30-jährige Esten, wie sie den Besitzer einer heruntergekommenen Brauerei zu deren Ausbau als Wohnquartier überredeten, oder wie sie eine Wanderung durch die mit Shoppingcentern zugepflasterte Umgebung von Tallinn unternahmen. Das müsste den Berlinern wiederum bekannt vorkommen: Die Entwicklung östlich der Oder scheint gerade das zu wiederholen, was in Deutschland nach der Wende passierte. Dafür öffnet die Ausstellung die Augen.

Deutsches Architekturzentrum (DAZ), Köpenicker Straße 48/49, bis 20. 2.,Infos zum Begleitprogramm unter: www.daz.de