Ist da jemand?

Das Projekt SETI@home, die Suche nach außerirdischem Leben mit dem heimischen PC, geht in die zweite Runde. Die erste war leider ergebnislos – wollen die Fremden aus dem All etwa nichts mit uns zu tun haben?

VON KENO VERSECK

„Wo sind sie?“ Diese simple Frage, so will es zumindest die Legende, stellte der Physiker Enrico Fermi 1950 Kollegen, die über die Existenz Außerirdischer diskutierten. Fermis Überlegung hinter der Frage lautete: Wenn es eine Vielzahl intelligenter Zivilisationen im Universum gibt, was in seinen unermesslichen Weiten mit hundert Milliarden Galaxien zu je hundert Milliarden Sternen eigentlich zu erwarten sein dürfte, dann sollten unter ihnen auch einige sein, die technisch so weit fortgeschritten sind, dass wir irgendetwas von ihrem Wirken bemerken müssten. Aber wir haben nichts bemerkt. Wo sind sie also? Gibt es sie vielleicht gar nicht?

Ein Thema für Spinner?

Ob Fermi ahnte, welche unglaubliche Karriere sein Paradox einst machen würde? Zu seiner Zeit war es nicht üblich, als Wissenschaftler ernsthaft über Außerirdische zu forschen. Vielen galt das Thema als geradezu anrüchig, etwas vielleicht für eine unterhaltsame Plauderrunde, eher noch ein Thema für Spinner. Das ist längst anders. Eine Armada von Wissenschaftlern hat sich inzwischen an möglichen Lösungen des „Fermi-Paradoxes“ abgearbeitet, theoretisch wie praktisch.

Die seriösen Publikationen zur Frage, ob wir allein oder wo SIE sind, füllen bereits kleine Bibliotheken. Anfang der Neunzigerjahre erklärte der damalige Nasa-Chef Dan Goldin die Suche nach Leben im All zur Priorität der US-Raumfahrtagentur. Auch in Europa ist die Frage nach außerirdischem Leben mittlerweile das zentrale Forschungsthema der Astronomie und der Raumfahrt. Es geht vor allem um mikrobiologisches Leben im Sonnensystem. Aber nicht nur. Spätestens im nächsten Jahrzehnt sollen weltraumgestützte Teleskope erdähnliche Planeten entdecken, darunter solche mit Ozeanen und Sauerstoff in der Atmosphäre.

Leben im All ist „in“. Mitunter verschwimmen dabei die Grenzen zwischen Wissenschaft, Entertainment und esoterischer Selbstbespiegelung.

Der weltberühmte Neurologe Oliver Sacks schrieb 2002 im Nasa-Magazin Astrobiology: „Es ist an der Zeit für eine Mission, die im Mondboden nach urzeitlicher DNA sucht. Leichter als irgendwo anders können wir hier die frühesten Lebensspuren finden und bestimmen, wie das Leben im Sonnensystem begann. Aber ein romantischer Teil in uns schreit nach mehr, nach Beweisen für höheres Leben in der Art von menschlichen Wesen, die uns ihre Existenz direkt mitteilen können. Richten wir also unsere Radioteleskope aus, halten wir unsere elektromagnetischen Ohren offen für die weit entfernten Zeichen von Leben.“

Dieser Tage wurde die bisher größte Suche nach außerirdischer Intelligenz mit „elektromagnetischen Ohren“ für beendet erklärt: SETI@home, die Suche nach außerirdischem Leben auf dem hauseigenen PC. Dabei konnten Interessierte ein spezielles Bildschirmschonerprogramm auf ihren Computern installieren. Das untersuchte während der Leerlaufzeit des Rechners kleine, über das Internet verschickte Datenpakete mit radioastronomischen Aufnahmen auf Spuren künstlicher außerirdischer Signale. Aufgezeichnet worden war das Material am Arecibo-Radioteleskop in Puerto Rico, dem weltgrößten seiner Art.

SETI@home war ein sagenhafter Erfolg, zumindest was das distributed computing angeht, die Vernetzung von individuellen Computern via Internet zu einem virtuellen Superrechner. SETI@home lief sechseinhalb Jahre, insgesamt nahmen fünfeinhalb Millionen Menschen teil. In der Woche vor Weihnachten nun teilte der Projektleiter David Anderson von der Universität Berkeley in Kalifornien mit, SETI@home in seiner bisherigen Form werde abgeschaltet: „Wir sind in einer Sackgasse angelangt. Wir durchmustern den Himmel mit dem Arecibo-Teleskop seit sechs Jahren. Es ist unwahrscheinlich, dass wir etwas finden, was wir nicht schon gefunden haben.“

ET hat also nicht angerufen. Es gab kein Geräusch, das auch nur entfernt einem Klingelzeichen geähnelt hätte. Sechs Jahre Suche in Datenmengen von Terabyte-Ausmaß, mit ausgefeiltesten Algorithmen, mit dem effizientesten Rechner aller Zeiten. Sind wir doch allein im All? „Wir haben ja nur ein wenig an der Oberfläche gekratzt“, sagt Dan Werthimer, der Chefwissenschaftler von SETI@home. „Wir bräuchten das Milliardenfache unserer bisherigen Leistung, um eine Suche zu betreiben, die man gründlich nennen könnte.“

„Wir wissen sehr wenig“, sagt Werthimer. „Es ist schwer vorherzusagen, wie fortgeschrittene Zivilisationen sich verhalten. Sie könnten sich zu einem Netzwerk zusammengeschlossen haben, das keinen Kontakt zu uns aufnehmen will. Wir sind primitiv, wir bringen uns gegenseitig um. Es könnte eine galaktische Politik geben, sich nicht auf primitive Zivilisationen einzulassen.“ Demnach könnte es noch lange dauern, bis wir die Gnade des Kontaktes von IHNEN erlangen. Die Astronomen Carl Sagan und Franke Drake sind vermutlich die beiden verdienstvollsten SETI-Pioniere. Sagan, eine Art Konsalik unter den Astronomen, schrieb 1985 seinen melodramatischen, physikalisch zweifelhaften SF-Bestseller „Contact“. Er machte SETI unter Millionen populär, und er begeisterte wie kaum ein anderer auch die Nasa vom außerirdischen Leben und künstlicher Intelligenz im All. Drake, der „Vater von SETI“, unternahm seinen ersten „Kontaktversuch“ 1960 mit den Antennen des Green-Bank-Radioobservatoriums. Später half er der Nasa, Botschaften an Außerirdische zu entwerfen.

Drake setzte auch die astrophysikalischen Prämissen der meisten SETI-Projekte, darunter SETI@home. Gesucht wird nach künstlichen außerirdischen Signalen im so genannten Wasserloch um die Frequenz 1.420 Megahertz, mit der interstellarer Wasserstoff strahlt. Es ist ein besonders ruhiger und relativ wenig absorptionsgefährdeter kosmischer Strahlungsbereich. Wer etwas mitzuteilen hat aus der Tiefe des Alls und verhindern will, dass die Botschaft von interstellaren Staub- und Gaswolken verschluckt wird, sendet auf einer Frequenz wie dieser, lautet Drakes Überlegung.

Die Suche im „Wasserloch“, das wissen auch die SETI-Forscher, ist nur eine von Myriaden an Möglichkeiten, das elektromagnetische Spektrum – von Radiowellen bis in den Gammastrahlenbereich – zu durchforsten, eine auf anthropozentrischen Grundlagen beruhende dazu. Nicht nur deshalb scheint die Suche praktisch aussichtslos. Für eine reale Chance, empfangen zu werden, müssten Außerirdische Millionen, eher Milliarden Jahre intentionell senden. Das irdische Radiofenster ins All beispielsweise wird sich aller Voraussicht nach in diesem Jahrhundert schließen. Denn das Zeitalter des leistungsstarken terrestrischen Radio- und TV-Funks, bei dem unbeabsichtigt auch Radiowellen ins All abgestrahlt werden, die mit entsprechender Technik vielleicht noch in ein paar Dutzend Lichtjahren empfangbar sind, geht zu Ende. Installieren wir kein „Leuchtfeuer“, das ins All strahlt, sind wir, gemessen an kosmischen Zeiträumen, praktisch unsichtbar gewesen.

SETI@home geht weiter, in neuer Form. Es wird künftig Bestandteil des Projekts „Berkeley Open Infrastructure for Network Computing“, kurz BOINC. Das gleichnamige PC-Programm ermöglicht es jedem Interessierten, die ungenutzte Rechenzeit seines Computers mehreren Projekten gleichzeitig zu überlassen, neben SETI@home beispielsweise rechenintensiven Forschungsprojekten im Bereich Klimavorhersage, Medizin oder Gravitationswellenastronomie. In der neuen SETI@home-Projektphase, die im Sommer nächsten Jahres beginnen soll, werden die Forscher die Menge und Qualität der Daten, die sie mit dem Arecibo-Teleskop aufnehmen, deutlich verbessern. Erstmals werden sie dabei nach Signalen in Pulsform suchen – eben nach künstlichen kosmischen „Leuchtfeuern“. „Es könnte viele Signale da draußen geben, die wir Erdlinge heutzutage nicht bemerken“, sagt Dan Werthimer. „Zum Glück verdoppelt sich die Leistungsfähigkeit unserer Suche jedes Jahr, sie ist in den vergangenen 30 Jahren um das Milliardenfache gestiegen. Wer weiß, was in 30 Jahren ist?“

Wir suchen uns selbst

Könnten wir außerirdische Botschaften entziffern? Was hätte man einander zu sagen, was erwarten wir überhaupt von ET? Das Rezept für den ewigen Frieden, oder, etwas bescheidener, die Lösung der Energiekrise und der Umweltprobleme? Auf so entsetzlichen Kitsch mögen selbst die meisten seriösen SETI-Forscher nicht antworten.

Douglas Vakoch, Spezialist für die Komposition von Botschaften an Außerirdische am SETI-Institut im kalifornischen Mountain View, schlägt vor, wir sollten ET von unseren „Schwächen“ berichten. „Vielleicht umkreist da draußen eine Millionen Jahre alte Zivilisation einen fernen Stern“, schreibt er. „Längst Sieger über Krieg, Armut und Krankheit, in einer stabilen Gesellschaft Zeiträume überdauernd, die unsere Vorstellungskraft ins Schwindeln bringt – was würden sie über unsere Mängel und Unvollkommenheiten denken? Weise, alte Außerirdische würden vielleicht die Keckheit bewundern, mit der wir glauben, dass wir trotz unserer Unzulänglichkeiten auch noch in den nächsten Jahrhunderten existieren werden – womöglich lange genug, um eine Antwort von ET zu erhalten.“

„Wo sind sie?“ Stanislaw Lem, der große, melancholische Visionär, schrieb in seinem Roman „Solaris“ über die Suche nach Außerirdischen: „Wir wollen gar nicht den Kosmos erobern, wir wollen die Erde nur bis an seine Grenzen erweitern. Menschen suchen wir, sonst niemand. Wir brauchen keine anderen Welten. Wir brauchen Spiegel. Mit anderen Welten wissen wir nichts anzufangen. Es genügt unsere eine, und schon ersticken wir an ihr.“