Silber heißt Hilfe. Blau warten

Silberfarben sind in Aceh die rostfreien Wellblechdächer der neuen Unterkünfte Blau sind die Planen der UN, aus denen die Überlebenden Zelte gebastelt haben

AUS CALANG UND BANDA ACEH SVEN HANSEN

Zwei Farben stehen für zwei Arten, den Tsunami überlebt zu haben. Geglückt und weniger geglückt – Silber und Blau. Silberfarben sind an der besonders schwer zerstörten Westküste Acehs die neuen, noch rostfreien Wellbleche, die wetterfeste Notunterkünfte und die wenigen neuen Häuser überdachen. Und blau sind die von den UN-Hilfsorganisationen verteilten Planen, aus denen sich die Menschen notdürftige Zelte gebaut haben.

Blau-silber glänzt auch Calang in der Sonne. Die kleine Stadt ist Verwaltungssitz für den Westküstendistrikt Aceh Jaya, wo von 90.000 Menschen fast jeder Vierte der Flut zum Opfer fiel. In Calang überstand kein einziges Haus die tödliche Welle, von den 10.000 Einwohnern starben 7.000. In einem auf einer vorgelagerten Halbinsel gelegenen Ortsteil kam die Flut gar von drei Seiten und machte aus ihm eine Art Ground Zero.

„Kein Bezirk in der Provinz Aceh wurde so zerstört wie Aceh Jaya“, erklärt Distriktchef Sulfian Ahmad. Vor seinem Amtssitz, einer provisorischen Holzbaracke, parkt der Bagger einer Hilfsorganisation. Eine Luftaufnahme des zerstörten Ortes ziert die Wand seines Büros. „Das Einzige, was uns geblieben ist, ist unser Überlebenswille“, sagt er. Und: „Wir sind hier noch immer in der Nothilfephase.“

Bis heute ist die Versorgung Calangs mit Baumaterialien sehr schwer. „Die Fahrt vom 130 Kilometer entfernten Banda Aceh hierher kann 30 Stunden dauern“, sagt Ahmad. Die Küstenstraße wurde weggespült, Brücken wurden zerstört. „Wir müssen hier aber trotzdem 15.000 Häuser neu bauen. 1.000 sind noch in Bau, Zusagen von Organisationen haben wir über 9.000“, erklärt der Distriktchef. In seinem computerlosen Büro stehen ganze sechs Aktenordner, auf einem steht in roter Schrift „NGO“. „Wir brauchen dringend Notunterkünfte. Weil so viele von uns noch immer in Zelten leben und der Bau neuer Häuser so lange dauert. Bitte helfen Sie!“

Aber geht man durch den Ort, fallen einem Dutzende Notunterkünfte auf, die leer stehen. Die Zeitung Jawa Pos von Indonesiens Hauptinsel Java hatte im Eiltempo hunderte Hütten errichten lassen – Abonnenten hatten Geld gespendet. Doch die Hütten haben weder Strom- noch Wasseranschluss, heizen sich in der Mittagsonne unerträglich auf und stehen oft auf Grundstücken, die in der Regenzeit mit Wasser voll laufen. „Die Wände dieser Hütten sind aus Asbest“, sagt ein Beamter. Er wohne lieber weiter im Zeltlager. Da sei auch die Versorgung besser.

Eine dieser leer stehenden Asbesthütten dient dem örtlichen Team des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) als Materiallager. Während Jawa Pos im Nu seine Leserspenden in den Sand gesetzt hat, kommt das eher mit deutscher Gründlichkeit vorgehende DRK in Calang bisher nicht über das Fundament eines Musterhauses hinaus. Verzögerungen gab es zunächst, weil der Tsunami das Grundwasser eines zugewiesenen Grundstücks für eine ganze Siedlung angehoben hatte. Mehrere Entwässerungsversuche mittels Drainagen scheiterten, bevor sich die DRK-Mitarbeiter entschieden, andere Projekte vorzuziehen. In zweieinhalb Jahren sollen die vom DRK versprochenen 630 erdbebensicheren Häuser nun fertig sein.

So lange wollen viele Überlebende nicht ausharren, jedenfalls nicht in Zelten. Laut der Wiederaufbaubehörde BRR leben in Aceh noch 65.000 Menschen so, 50.000 schon in festen Notunterkünften. Die meisten der insgesamt 500.000 obdachlos gewordenen Menschen sind bei Verwandten untergekommen. „Es ist am Tag sehr heiß und nachts sehr kalt im Zelt“, sagt die Lehrerin Rosmaida. Die 45-Jährige wohnt in einem aus blauen Planen selbst gefertigten Zelt auf dem Gelände des staatlichen Fernsehsenders TVRI in Banda Aceh. In sieben Zeltblocks lebten hier nach dem Tsunami einst 4.000 Menschen. Inzwischen konnten einige ausziehen, doch auch die leben noch in Zelten, weil ihre Baracken nicht fertig sind. „Wir würden gern in eine Baracke umziehen“, sagt Rosmaida, „aber das dauert noch mindestens ein halbes Jahr.“ Schon zweimal hat ein Sturm ihr Zelt weggefegt.

„Die Hilfe im Augenblick der Katastrophe hat gut funktioniert“, sagt Nani Afrida, Aceh-Korrespondentin der Jakarta Post. „Aber seitdem geht es sehr langsam, die Menschen werden ungeduldig.“ Der Repräsentant der Weltbank in Indonesien, Andrew Steer, nennt es „inakzeptabel“, dass immer noch so viele Menschen in Zelten leben. „Dem Bau von Notunterkünften wurde nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt“, kritisierte Steer vergangene Woche. Die Hilfsorganisationen hätten doch wissen müssen, dass sie im ersten Jahr nicht mehr als 30.000 Häuser bauen können. Laut Regierung werden 110.000 Häuser benötigt, 25.000 davon sollen fertig sein.

Ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, der anonym bleiben möchte, hält es ohnehin für falsch, den Schwerpunkt auf die Häuser zu legen. Seiner Meinung wäre es besser gewesen, den Überlebenden das Baumaterial zu überlassen. Dann hätten sie Jobs, ein Einkommen und könnten sich ihre Häuser selbst bauen. Aus passiven Hilfeempfängern wären Helfer geworden.

Für Sri Rahayu ist diese ganze Diskussion unwichtig. Die 36-Jährige ist heute noch völlig verzweifelt. Sie besucht in Banda Aceh das Massengrab an der Straße zum Flughafen. Hier sind 46.718 nicht identifizierte Leichen begraben sind, namenlos verscharrt wegen der Seuchengefahr. „Ich brauch nicht nur Essen“, sagt Sri Ragayu, „ich brauche meine Kinder.“ Bis heute hat sie den Verlust ihrer Töchter nicht verwunden. Sie weiß nicht einmal sicher, dass sie hier begraben sind. Sie hat gehört, dass nach der Katastrophe Kinder ins Ausland verkauft worden sein sollen. Das ist ihre letzte Hoffnung: „Helfen Sie mir, Ayunda, Andana und Andinda zu finden!“