„Wilders hatte enormen Raum zum Wachsen“

PROZESS René Danen von der Stiftung gegen Rassismus, Nederland Bekent Kleur, über die Notwendigkeit einer gerichtlichen Auseinandersetzung

■ geboren 1967, ist seit 2007 der Vorsitzende der unabhängigen Stiftung Nederland Bekent Kleur. Diese Stiftung, die sich gegen Rassismus einsetzt, klagt auch gegen Wilders. Danen war Vorsitzender des niederländischen Studentenfachbundes und des Niederländischen Sozialforums. In den Städten Nijmegen und Amsterdam saß er im Stadtrat. Auch war er lange aktiv in der Umweltbewegung.

INTERVIEW GUNDA SCHWANTJE

taz: Herr Danen, hatten Sie den Eindruck, dass die Position der niederländischen Muslime so schwach ist, dass nur die Justiz noch helfen kann?

René Danen: Ob die Position schwach ist oder nicht, spielt keine Rolle. Man darf nicht diskriminieren oder zum Hass anstiften. Dass die Staatsanwaltschaft Wilders erst nicht verfolgen wollte, ist seltsam. Wilders hat immer radikalere Aussagen gemacht. Aber die Staatsanwaltschaft hat nicht eingegriffen. Die Position der niederländischen Muslime, insbesondere der Marokkaner, ist schlecht. Sie liegen eigentlich dauerhaft unter Feuer. Durch Wilders und durch die Berichterstattung.

Drücken sich in Wilders Kritik an Muslimen und marokkanischen Jugendlichen vielleicht auch Integrationsprobleme aus, die Niederländern Sorgen machen?

Insbesondere seine Kritik an muslimischen Jugendlichen ist überzogen. Marokkanische Jugendliche nehmen genau wie weiße Niederländer Abstand von der Religion. Aber sie werden unablässig auf ihr Muslimsein, Marokkanersein, Ausländersein angesprochen, obwohl viele hier geboren sind. Das ist nicht richtig. Es gibt Probleme mit marokkanischen Jugendlichen. Aber Probleme mit anderen Jugendlichen bestehen auch. Mit Hooligans, zum Beispiel. Vor einer Weile hatten wir schwere Auseinandersetzungen in Hoek van Holland. Eine Person wurde erschossen. Es waren weiße Jugendliche, die da randaliert haben.

In Umfragen ist Wilders’ PVV derzeit die stärkste Partei. Wieso konnte die PVV so schnell und erfolgreich wachsen?

Wegen der mangelnden Gegenwehr der Parteien. Niemand trat gegen Wilders auf. Wilders konnte seine Botschaft von Hass und Diskriminierung in der ersten Zeit nach 2004 zügellos verbreiten. Es gab nur eine Partei, die sich getraut hat, den Rassismus von Wilders auch als solchen zu benennen. Die Oppositionspartei D66. D66 wird dafür vom Wähler belohnt. Sie war die kleinste Partei mit drei Sitzen. Sie hat in Meinungsumfragen jetzt auch etwa 20 Sitze. Viele Parteien sagen heute, Wilders ist „unanständig“ oder „er geht zu weit“. Aber das Problem ist doch, dass er gesellschaftliche Gruppen diskriminiert und ausschließt. Wer das nicht so benennt, hat die Debatte verloren. Wilders hatte enormen Raum, zu wachsen.

Wie wirken sich Wilders radikale Äußerungen auf das Klima im Land aus?

Ich habe hier jetzt eine Gesellschaft, in der ich eigentlich nicht leben will. Wie Wilders spricht, erinnert daran, wie in Deutschland in den 30er Jahren über Juden gesprochen wurde. Da wurde auch suggeriert, dass die Juden das Land übernehmen würden, obwohl das nicht der Fall war. Tatsächlich lebt hier eine muslemische Minderheit von unter sechs Prozent, die keine politischen Repräsentanten hat. Es gibt keine Muslimpartei. Sie sind in den Medien, in der Wirtschaft, in allen Bereichen, stark unterrepräsentiert oder abwesend. Aber gemäß Wilders übernehmen sie das Land. Er kreiert ein Scheinproblem und er präsentiert sich selbst als den großen Führer, der das Problem auflösen kann. Wilders jagt den Menschen Angst ein und suggeriert, dass kein gemäßigter Islam besteht. Alle Muslime sind Terroristen. Diese Generalisierung ist lebensgefährlich.

Die Meinungsfreiheit lebt durch und in der öffentlichen Debatte. Ist es klug, Wilders auf dem juristischen Weg zu bekämpfen?

Wir hätten lieber eine öffentliche Debatte gehabt. Aber Wilders arbeitet daran nicht mit. Auch die Gewerkschaften, beispielsweise, wehren sich nicht gegen Wilders. Dann hat man in einem Rechtsstaat ein letztes Mittel, das ist der Richter. Wir wollen, dass die Gesetze eingehalten werden. Der Begriff Meinungsfreiheit ist ein Euphemismus geworden für Rassismus, für Fremdenhass, speziell gegen Muslime. Über Muslime kann man hier alles sagen. Über Juden kann man hier zu Recht nicht alles sagen. Wilders klagt die Meinungsfreiheit für sich selbst ein. Aber andere, Imame zum Beispiel, die ihm nicht gefallen, müssen abgeschoben werden. Selbst wenn sie die Gesetze nicht verletzt haben.

Um Wilders’ Film „Fitna“ gab es einen medialen Hype. Wie beurteilen Sie die Rolle der Medien?

Die Medien haben über alles, was Wilders ruft, kritiklos berichtet. Von ausländischen Journalisten wird Wilders stärker hinterfragt als von denjenigen, mit denen er hier spricht.