Panoptikum farbiger Frauenporträts

LITERATUR Vor 18 Jahren gelang dem Kieler Autor Feridun Zaimoğlu mit „Kanak Sprak“ ein furioses Debüt. Jetzt präsentiert der einstige Rebell der Migrant_innenliteratur in zwei Lesungen seine aktuelle Erzählung „Der Mietmaler“, in der sich der Schriftsteller auch als Maler entdeckt

Mit „Kanak Sprak – 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft“ gelang Feridun Zaimoğlu 1995 ein furioses Debüt. Darin erzählt er die Geschichten einer jungen Generation türkischstämmiger Deutscher, die nicht nur am Rande der Gesellschaft leben, sondern außerdem ihren eigenen multi-ethnischen Jargon pflegen. Insbesondere der authentisch widerborstige Sound dieser hybriden Jugendsprache von der Straße war der deutschen Literatur bis dahin unbekannt.

Mit „Kanak Sprak“ sowie den darauf folgenden Büchern avancierte der 1964 im türkischen Bolu geborene, aber in Deutschland aufgewachsene Zaimoğlu zu einer der kraftvollsten Stimmen der so genannten Migrantenliteratur. Nach der Auszeichnung beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb vor zehn Jahren erschrieb er sich in den folgenden Jahren mit Romanen wie „Leyla“ (2006), „Liebesbrand“ (2008), „Hinterland“ (2009) und „Ruß“ (2011) einen festen Platz in der deutschsprachigen Literaturszene.

In Zaimoğlus neuer Erzählung „Der Mietmaler“ steht ein 38-jähriger Künstler im Mittelpunkt: Edouard ist ein manischer, doch mäßig erfolgreicher Maler. Deshalb nimmt er den gut bezahlten Auftrag einer reichen Witwe an, sie zu porträtieren: „Sie hatte das Geld, ich hatte die Farben – ich willigte ein.“ Die Auftraggeberin entpuppt sich indessen als scharfzüngige Dame, die es gewohnt ist, die Richtung vorzugeben. Für Edouard ist diese Nora Sillinger eine Herausforderung. Sie reizt ihn mit ihrer herrischen Art und hinterfragt zugleich seine Arbeitsweise, die Frauen in seinen Bildern nicht bloß abzubilden, sondern ihre Psychen auszuloten.

Diese Methode des Malers findet Ausdruck in Zaimoğlus Erzählweise. Immer wenn ein Frauengesicht Edouard zu einem Porträt inspiriert, wird der Porträtierten eine kleine Geschichte angedichtet; hierdurch sind in der Erzählung mehrere abschweifende Prosaminiaturen eingewebt, die ein facettenreiches Panoptikum farbiger Frauenporträts entstehen lassen.

Obwohl Edouard als leicht anrüchige Künstlerexistenz mit „Stiftschwiele am Mittelfinger“ und „Graphitstaub unter den Nägeln“ daherkommt, scheint Nora Sillinger Gefallen an diesem Bohemien zu finden – und auch die Gefühle des gemieteten Malers gegenüber seiner zwar älteren, doch immer noch attraktiven Auftraggeberin sind ambivalent.

Das Tableau für eine Liebesgeschichte ist somit angerichtet. Zaimoğlus „Mietmaler“ ist eine kleine, hübsch arrangierte Erzählung, die vor allem bestimmt ist durch den Duktus knapper Sätze, denen trotz ihrer Kürze poetische Kraft innewohnt. Neben den literarischen Porträts finden sich in dem Buch außerdem 18 farbige Bildtafeln – bis auf eine Ausnahme alles Frauenporträts, die Zaimoglu zu Papier gebracht hat. Denn der einst als „Ghetto-Rebell“ verschriene Autor widmet sich nicht allein dem Schreiben, sondern seit etlichen Jahren auch der Malerei und dem Zeichnen.  JENS LALOIRE

■ Hannover: Do, 4. 4., 20 Uhr, Literaturhaus, Sophienstraße 2; Bremen: Mo, 8. 4., 20 Uhr, Schwankhalle, Buntentorsteinweg 112