Rassismus in Görlitz: Der gefallene Retter

Das Wort „N****“ habe nichts Negatives, beharrt Winfried Stöcker. Die Tiraden des Görlitzer Kaufhausbesitzers haben eine ganze Stadt aufgeschreckt.

„Ich bin kein Rassist“ – Winfried Stöcker, Chef der Firma Euroimmun, in seinem Lübecker Büro Bild: Miguel Ferraz

GÖRLITZ/LÜBECK taz | „Zài jiàn“, verabschiedet sich Winfried Stöcker am Telefon von einem Kollegen. „Wissen Sie, meine Frau ist Chinesin“, sagt er und nimmt auf dem Ledersofa in seinem Büro in Lübeck Platz. Geboren wurde Stöcker 1947 in der Oberlausitz. 13 Jahre war er alt, als seine Eltern Ostdeutschland verließen und nach Oberfranken gingen.

1989 gründete er die Firma Euroimmun in Lübeck, die Testsysteme zur Diagnose von Autoimmun- und Infektionskrankheiten herstellt und mit 14 Niederlassungen international vertreten ist. Im Dezember sagte der Arzt und Erfinder Stöcker ein Benefizkonzert für Flüchtlinge im Görlitzer Kaufhaus, dessen Besitzer er ist, ab. Er sagte in einem Interview, dass er den „Missbrauch des Asylrechts nicht unterstützen“ wolle.

Vonseiten der NPD und Pegida bekam er Applaus. „Ich habe viele sehr positive und ermutigende Briefe bekommen“, sagt er und nickt. Aber auch die Welle der Entrüstung hat Spuren hinterlassen. „Ich musste ganz schön Prügel einstecken“, sagt er mit ernster Miene und seine buschigen Augenbrauen heben sich ein Stück weit über den Rahmen der Brille. Zu schroff war seine Ausdrucksweise, zu rechts war der Eindruck, den er hinterließ. Er nannte Afrikaner „N****“ und „reisefreudig“, sagte, Türken würden gezielt nach Deutschland heiraten. Er sprach von zehn Prozent Türken in deutschen Städten und einem Halbmond, der die Spitze des Kölner Doms einnehmen werde.

Nun war aber nicht nur die Empörung groß, die Verwirrung war es auch. Von anderen hätte man das ja erwartet, aber von Stöcker, der als Wohltäter galt, von so jemandem hätte man das nicht gedacht. Stöcker passt nicht in die Schublade. Und auf eine fehlende Abgrenzung zu NPD angesprochen, winkt er ab. Er müsse sich von denen doch nicht distanzieren, mit denen habe er doch gar nichts am Hut. „Ich bin kein Rassist“, sagt er.

Er hätte seine Antworten ausführen sollen, das sieht er nun ein, sagt er, und versucht zu erklären, wie es denn nun tatsächlich um seine Meinung steht. Die dürfe er ja äußern. Schließlich lebe man in einer Demokratie.

Ein Bankdirektor ist geschockt

Als Rainer Müller im Dezember von dem Interview erfährt, sitzt er gerade mit seiner Frau in den alten Gewölben des Görlitzer Restaurants St. Jonathan. „Haben Sie schon gehört, was der Stöcker gesagt hat“, habe jemand mit gesenkter Stimme gefragt, erzählt Müller einen Monat später in einem Café in Görlitz. „Ich war schockiert“, sagt er. Der 74-Jährige ist Münchner Bankdirektor in Rente und lebt seit 2007 in Görlitz. Pro Jahr zieht es etwa 200 deutsche Rentner in die hübsche kleine Stadt, die nur die Lausitzer Neiße von Polen trennt.

Das Görlitzer Kaufhaus ist eines der am besten erhaltenen Jugendstil-Warenhäuser in Europa. Es wurde 1913 eröffnet, als Vorbild diente das Berliner Kaufhaus Wertheim, das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Im Jahr 1929 übernahm die Karstadt AG das Haus, 1950 wurde es von der DDR verstaatlicht. 2007 erhielt das Haus den Namen Hertie, 2009 ging es in Insolvenz. Ein Investor kaufte das Haus, gab aber bald auf. Winfried Stöcker erwarb das Haus im Juni 2013. Die Eröffnung findet voraussichtlich 2016 statt. Das Konzept soll Luxusmarken, Alltägliches und Regionales umfassen. Das Haus diente vielen Filmproduktionen als Kulisse, zuletzt für Wes Andersons Oscar-prämierten Film "Grand Budapest Hotel".

Müller engagierte sich als Vorstand der „Bürgerinitiative Görlitzer Kaufhaus“, die Wiederbelebung des Jugendstil-Warenhauses war sein Ziel. „Dieses Haus war und ist das Herz der Stadt. Dass es plötzlich zu war, hielt ich für fatal“, sagt Müller.

Einen Investor für das alte Schmuckstück zu finden sei aber gar nicht so einfach gewesen. Über Jahre hinweg hoffte man, jemand würde sich erbarmen. Doch die geringe Kaufkraft in Görlitz habe viele abgeschreckt, erklärt er. „Und dann kam 2013 der Märchenprinz – aus heiterem Himmel kaufte Herr Stöcker das Haus. Ich fand das wunderbar“, sagt er lächelnd und trinkt von seinem Bio-Cappuccino. Der Verkaufspreis lag bei etwa 2,6 Millionen Euro, die Sanierung kostet rund 20 Millionen Euro. Rainer Müller ist nach Stöckers Äußerungen zurückgetreten. Der Märchenprinz hat ihn enttäuscht. „Ich verstehe nicht, wie jemand, dessen Erfolg sich auf Globalisierung gründet, so engstirnige Ansichten haben kann.“

Ein palastartiger Jugendstilbau

Das Kaufhaus, das Müller so am Herzen liegt, erhebt sich in der Altstadt von Görlitz, ein palastartiger Jugendstilbau mit Kolonnaden und Rundbögen, von denen Art-déco-Statuen herabschauen. Die Sanierungsarbeiten ziehen sich hin. Drinnen ist alles still und leer, durch das gläserne Kuppeldach fällt Licht auf nackte Wände und Fliesen. Staub hängt in der Luft. Es geht über breite, geschwungene Treppen hinauf und hinunter. Von oben betrachtet, tut sich der Innenhof auf, drei Stockwerke tief, eine Weite, die schwindelig macht.

Im Görlitzer Rathaus führt Oberbürgermeister Siegfried Deinege in sein Arbeitszimmer. Seit über zwei Jahren regiert er die Stadt, an sein Leben davor beim Bahnunternehmen Bombardier erinnert noch eine Modelleisenbahn. Der repräsentative Raum sei nicht geschaffen für die tägliche Arbeit, sagt er und weist mit einer Handbewegung auf das schummrigen Licht und die lange Holztafel, zwischen den alten Bücherregalen und den Gemälden. Der Boden knarrt bei jedem Schritt.

Für Deinege ist die Angelegenheit um das Konzert Schnee von gestern. „Er hat sich geäußert, Görlitz hat sich positioniert. Wir haben uns von seiner Haltung und Wortwahl ganz klar distanziert“, sagt er. Als Eigentümer des Hauses sei diese Entscheidung sein gutes Recht, sagt er. Das Projekt Kaufhaus wolle man weiterverfolgen. Er schlägt mit der flachen Hand auf die Sessellehne und schnauft. Natürlich gebe es immer Leute, die sagen: „Endlich hat es einer gesagt!“ Aber in Görlitz habe man die Unterbringung der Flüchtlinge gut gelöst, sagt er. In der Stadt leben 134 Asylbewerber, dezentral untergebracht. Mehr als die Hälfte sind Kinder.

Ganz egal, was ein Lübecker sagt

Joachim Trauboth, auch ein zugezogener Rentner, engagiert sich im Görlitzer Willkommensbündnis. „Wir heißen die Flüchtlingsfamilien mit Geschenkkörben und Blumen willkommen, vermitteln Deutschkurse und zeigen den Weg zur Schule“, erzählt er. Trauboth strahlt. Für ihn ist Görlitz ein weltoffener Ort – ganz egal, was ein Lübecker sagt.

Ende Januar ist Görlitz leer. Vereinzelt sieht man Touristen die Altbauten bestaunen, selten holpert ein Auto durch die Gassen mit den historischen Straßenlaternen. Junge Leute sieht man hier wenig. Es ist, als wäre die Zeit stehen geblieben. Görlitz blieb vom Krieg weitgehend verschont. Die Mietpreise liegen im Zentrum unter fünf Euro pro Quadratmeter.

Auf dem Firmengelände von Euroimmun strahlt im Februar die Sonne auf das umliegende Naturschutzgebiet und den Blankensee. Die Mitarbeiter grüßen freundlich mit „Mahlzeit!“, wenn sie vom einen Backsteinhaus zum anderen spazieren. Winfried Stöcker trägt Hemd, Jackett und Hose in Schwarz und passende Sportschuhe, mit denen er leichtfüßig immer zwei Schritte voraus ist, um lächelnd die Tür aufzuhalten. „Mahlzeit Winfried!“, sagt der Koch, als er Stöcker den Salat über den Spuckschutz reicht. Man duzt sich ohne Ausnahme.

Eine türkische Hochzeit

Seine türkischen Mitarbeiter hätten zwar gesagt, dass er recht habe mit einigen Dingen. Aber dass er es ausgesprochen hätte, habe sie gekränkt, sagt Stöcker später im Büro. Den Kriegsflüchtlingen müsse man helfen, den Frauen und Kindern – aber dass es zu viele Ausländer hier gebe, das denkt er immer noch. Stöcker sieht sich nicht als Rassist, sondern als weltoffener Realist. „Die Türken sind nett. Wenn sich die Völker vermischen, finde ich das in Ordnung. Aber sie sollen sich nicht abschotten.“ Dann erzählt er von einer türkischen Hochzeit. „750 Gäste und nur zwanzig waren Deutsche – das zeigt mir doch, dass man unter sich bleiben möchte.“

Auf die Frage, wovor er so große Angst habe, sagt er: „Vor vielen.“ Inzwischen habe er jedoch gelernt, dass seit mehreren Jahren mehr Türken gehen als kommen. „N****“ möchte er weiterhin sagen. Für ihn habe das Wort keine negative Bedeutung.

Man könnte Stöcker als gestrig abstempeln. Doch in anderen Punkten ist er gar nicht so rückwärtsgewandt. So bietet er Kindern von MitarbeiterInnen im internen Kindergarten Betreuung an. Schulkinder werden mit dem hauseigenen Schulbus geholt. Dass Mütter für die Familie ihren Beruf opfern müssen, sei überholt, sagt Stöcker. Er wolle Eltern vielmehr ermutigen, Kinder in einem biologisch günstigen Alter zu bekommen, nicht erst wenn sie einen Arzt dafür brauchen.

Demnächst dürfte Stöcker wieder nach Görlitz reisen. Die Staatsanwaltschaft bestätigt, dass gegen ihn ermittelt wird, wegen Volksverhetzung. Herr Stöcker bekomme Gelegenheit zur Anhörung.

In einer früheren Version dieses Textes wurde das N-Wort ausgeschrieben.

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