Ausstellung: Diffuse Transparenzen

Alles neu im Kunstverein Hannover: Neue Räume, eine neue Direktorin und die startet mit einer Ausstellung des Fotografen Jean-Luc Moulène.

Palästinensisches Olivenöl, nur im Ursprungsland verfügbar, aber in der Kunsthalle Hannover zu sehen Bild: Kunstverein Hannover

HANNOVER taz | Wer einige Zeit nicht im Kunstverein Hannover gewesen ist, wird jetzt über den neuen Raumeindruck in Teilen der Institution erstaunt sein. Die großen historischen Eisenfenster zur Straße nämlich haben nun statt der opaken eine transparente Verglasung, das direkte urbane Gegenüber des Hauses wirkt so bis ins Innere hinein, und der Blick hinaus kann gar bis zum Behnisch-Bau der Landesbank schweifen. Das filigrane Gitterwerk der Fenster schiebt sich wie eine leichte Membran zwischen Distanz und Nähe, verleiht den Räumen eine flirrende Unschärfe.

Und: Das passt sehr gut zur ersten Ausstellung, die Kathleen Rahn als neue Direktorin kuratiert hat: „Documents & Opus“ des Franzosen Jean-Luc Moulène.

Ein alter Bekannter

Mit dem 1955 geborenen Pariser Künstler holt sich Rahn einen alten Bekannten ins Haus, sie hatte ihn bereits an einer früheren Wirkungsstätte in Nürnberg gezeigt. Damals ging es in einer Gruppenausstellung um eine „mental archaeology“, das kollektiv globale Gedächtnis also und die Beobachtung der Welt.

Auch die Hannoveraner Werkschau Moulènes, die Arbeiten der letzten 30 Jahre umfasst, erkundet wie mit archäologischen Sondierbohrungen ganz unterschiedliche Realitätsebenen des Alltäglichen. Dabei nutzt Moulène eine Vielfalt von Techniken, Medien und Ausdrucksformen, seine multiplen Ansätze verweigern geradezu jegliche konzeptionelle Stringenz. Der Ausstellungsparcours wird dadurch nicht eben selbsterklärend – aber immerhin: wie ein Ariadnefaden ziehen sich etwa Köpfe durch alle Räume, als Zeichnungen oder aus Beton. Diese sind Abgüsse aus Masken, mit denen Moulène Prominente oder auch fiktive Figuren zu Karikaturen fasst. Nähte oder Ornamente überziehen die Gesichter, Augen sind häufig nicht mehr vorhanden. Die Köpfe sind nun in Fotos übersetzt, die Trans- oder Deformation damit auf einer höheren Ebene der Distanz verortet. Wie entsinnlichte Wächter observieren sie die Ausstellung – und ihre Besucher. Diese werden sich sicherlich erst einmal mit den großformatigen Fotos Moulènes beschäftigen, denn damit verbindet man ja sein Werk.

Als Moulène 1996/97 ein Jahr lang Stipendiat in Berlin war, fingen seine trübe verhaltenen Fotos eine Stadt im beschleunigten Umbruch ein, ihre Tristesse, die allgemeine Ratlosigkeit ihrer Menschen. Eine in Hannover nun gezeigte ältere Fotoserie mit dem bezeichnenden Titel „Disjonctions“, etwa: fehlende Verbindungen, ist nicht nur milchig unscharf und von technisch laienhafter Anmutung. Ihre zusammenhanglosen Bilder – Porträts etwa, ein Akt am Strand, ein formaler Garten, Ansichten aus Paris – wollen auch gar keine durchgehende Fragestellung aufwerfen. Sie sind Stimmungsbilder, vielleicht punktuelle Analysen ihrer Entstehungszeit. Und dass sich die Betrachter jetzt im Glas der Bildträger widerspiegeln, versinnbildlicht das allenfalls diffuse Durchscheinen einer fotografischen Absicht.

Transparenz und sinngebende Überlagerung – das sind wohl generell die Schlüsselqualifikationen im Werk Moulènes – komme, was wolle. Körperhaften Gebilden wie Seilknoten etwa wird als Glasobjekt ihre Materialität entzogen, zumindest optisch sehr gefällig. Fotos elementarer palästinensischer Nahrungsprodukte wie Nudelpakete, Olivenölflaschen oder Tomatendosen wiederum sind auf einer schimmernden Wand montiert. Sie werden so zu raren Preziosen stilisiert, sind sie doch aufgrund der politischen Umstände nur in ihrem Ursprungsland verfügbar.

Moralischer Fingerzeig

Man mag den moralischen Fingerzeig goutieren, erst recht natürlich in den revolutionär roten statt blauen Gauloises-Schachteln streikender CGT-Gewerkschaftler. Aber wenn ein Foto des ausgemergelten (und gerichtsmedizinisch geöffneten) Leichnams von RAF-Mitglied Holger Meins die Moulène’sche Ästhetik weltweiter Streikformen komplettieren soll – durch seinen letalen, 53-tägigen Hungerstreik nämlich –, ist es abgeschmackte Propaganda zum Ende der Schau.

Statt des von Kathleen Rahn ja räumlich so sensibel angelegten Perspektivwechsels stellt sich nach vollbrachtem Rundgang beim Besucher eher Ratlosigkeit ein. Welche zentrale Idee bewegte den Künstler nun eigentlich?

Jean-Luc Moulène, Documents & Opus (1985–2014): bis zum 1. März im Kunstverein Hannover
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