Ein Gefährte der Berliner Jahre

1968 „Das Verschwinden des Philip S.“: Ulrike Edschmid erinnert sich an die Anfänge des bewaffneten Kampfes und eine ganz eigene Liebesgeschichte

Frühsommer 1967. In Berlin stirbt Benno Ohnesorg durch eine Kugel aus der Pistole des Polizisten Karl-Heinz Kurras, in der Schweiz macht Philip Werner Sauber sich auf den Weg nach Berlin. Er wird an der Deutschen Film- und Fernsehakademie studieren und die Kommilitonin Ulrike Edschmid kennen lernen. Sie gehört wie er zur studentenbewegten Avantgarde. Die beiden ziehen zusammen, er kümmert sich rührend um ihren kleinen Sohn und verschwindet irgendwann wieder aus ihrem Leben. Sie schreibt später Bücher über diese Zeit, er wird die Zeit nicht mehr erleben, in der seine ehemalige Lebensgefährtin zu schreiben beginnt.

Ulrike Edschmid hat bislang sieben Prosatexte vorgelegt und sich fast ausnahmslos mit Frauen beschäftigt. Das ist jetzt anders, wenn sie mit ihrem autobiografischen Roman „Das Verschwinden des Philip S.“ einem Gefährten der Berliner Jahre noch einmal näherkommen will, der ihr Leben nicht ganz unwesentlich beeinflusst hat und eine auffällige Erscheinung gewesen sein muss – ein Sohn aus besserem Haus eben, immer gut gekleidet und ein eidgenössischer Gentleman auf der Bühne der Revolution.

Einen Film gibt es von Philip Werner Sauber. „Der einsame Wanderer“, so Harun Farocki, der zur selben Zeit wie Edschmid und Sauber in Berlin studierte, soll damals eine der schönsten Arbeiten an der Akademie der angehenden Filmemacher gewesen sein. Das mit dem einsamen Wanderer steht aber auch für die Romanfigur, die Ulrike Edschmid nun auferstehen lässt und die so seltsam ungreifbar bleibt. Philip S., wie Edschmid den Lebensgefährten nennt, wahr wohl ein Einzelgänger. Das Elternhaus und den alpenländischen Geldadel hatte er bereits hinter sich gelassen, seine neue Berliner Kleinfamilie sollte er noch verlassen. Das zumindest weiß man am Ende eines Romans, den Ulrike Edschmid wie eine kühle Chronistin angeht, im Ton zurückhaltend und nie emphatisch zugewandt.

Dieser zurückhaltende Ton ist stimmig, solange es um Philip S., die Bewegung 2. Juni und Vorgänge geht, von denen die Autorin unter Umständen mehr weiß, als sie preisgeben möchte. Zum Handicap wird die stilistische Kargheit immer dann, wenn Ulrike Edschmid in die Anfänge der Studentenbewegung und eine ganz eigene Liebesgeschichte eintaucht, der Leser aber wenig davon erfährt, wie sich ihr Leben und die Liebe damals anfühlten. Es ist, als habe die Erzählerin sich auch im Erzählstil der Verschlossenheit des Menschen angenähert, der so wichtig für sie war und dessen Leben 1975 auf einem Parkplatz in Köln endete.

Entlieben im Aufstand

Den Anfang vom Ende markieren Ereignisse im Sommer 1970. Die USA bombardieren jetzt auch Kambodscha, an der Kent State University demonstrieren Studenten, Neil Young textet „Four dead in Ohio“ und in Berlin marschiert die außerparlamentarische Jugend in Richtung Amerikahaus. Aus einem Mercedes, der Holger Meins gehört, fliegt eine Rohrbombe unter einen Polizeiwagen. Der spätere RAF-Terrorist lebt zusammen mit Ulrike Edschmid und Philip Werner Sauber in der Kommune 88. Die drei werden verhaftet, für das Paar von der Filmakademie beginnt, was man ein Entlieben in Zeiten des Aufstandes nennen kann.

Der Mann, den Ulrike Edschmid nun Philip S. nennt, isoliert sich nach der Entlassung aus dem Gefängnis und ist konspirativ unterwegs. Die Erzählerin will nicht die Brücken hinter sich abbrechen und, wie andere es getan haben, das Kind zurücklassen. Also verschwindet der Lebensgefährte langsam aus ihrem Leben und sieht ihr irgendwann von einem Fahndungsplakat entgegen. Was bleibt, ist die Erinnerung an einen Menschen, der sich für das private Glück in der Kleinfamilie hätte entscheiden können, dann aber doch den bewaffneten Kampf vorzog. Und da ist auch eine Erzählerin, die während ihrer Annäherung an eine entscheidende Zeit ihres Lebens keinen Deut ihrer Zurückhaltung aufgeben wollte, wohl weil sie fürchtete, ansonsten hätte aus dem Roman eine Hagiografie des Widerstands oder eine romantische Liebesgeschichte werden können. JÜRGEN BERGER

Ulrike Edschmid: „Das Verschwinden des Philip S.“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 157 Seiten, 15,95 Euro