Rufmord an Claude Lanzmann

Memoiren haben immer einen stark subjektiven Charakter. Es kommt außerdem häufig vor, dass die Verfasser in Details irren und sich in den Vordergrund spielen. Autobiografien können idiosynkratisch, arrogant oder selbstverliebt sein. Bei großen Intellektuellen wie Claude Lanzmann ist dies jedenfalls keine Seltenheit. In seinen im vergangenen Jahr in Frankreich erschienenen Memoiren „Le Lièvre de Patagonie“ gibt es solche Momente durchaus.

In der Zeit vom 7. Januar behauptet der Kunsthistoriker Christian Welzbacher, Lanzmann habe die Entlassung des ersten Rektors der FU, Edwin Redslob, falsch dargestellt und seine eigene Rolle dabei übertrieben. Redslob sei nicht wegen seiner Nazivergangenheit entlassen worden, seine Zeit als Rektor sei schlichtweg abgelaufen. Der Artikel Claude Lanzmanns in der Berliner Zeitung habe dafür keine Relevanz gehabt.

So weit, so banal. Hätte der Artikel in der Zeit nur die Richtigstellung der Ereignisse um Redslob beabsichtigt, wäre er kaum aufgefallen. Doch es geht um mehr. In der FAZ vom 12. Januar schrieb Jürg Altwegg von einem „Rufmord an Claude Lanzmann“, worauf wiederum Zeit-online reagierte: Florian Illies weist den Vorwurf zurück. Das Ziel des Artikels sei nicht Rufmord, sondern „Ruferhaltung“ gewesen. Dies sei der journalistischen Sorgfaltspflicht nun mal geschuldet. Doch Welzbachers Vorwürfe und seine Schreibweise überschreiten den Rahmen einer akzeptablen Kritik: Der französische Jude und Résistancekämpfer Lanzmann sei das „institutionalisierte Gewissen“; „das Mensch gewordene Monument der historischen Verantwortung verändert die Geschichte – nach seinem Interesse“. Lanzmann verfälsche also die Geschichte. Schlimmer noch, er stilisiere sich „zum omnipräsenten Akteur, zum regelrechten Rächer der Juden“. Der Topos des Juden, der die nationalsozialistische Vergangenheit zu seinen Gunsten nutzt und der nicht über Auschwitz schweigt, sondern immer weiter darauf insistiert, dass die Ermordung der europäischen Juden und die sich daraus ergebende Gründung des jüdischen Staates Israel die Zentralereignisse des 20. Jahrhunderts darstellen, ist bekannt. Er entstammt dem sekundären Antisemitismus.

Dass der Autor sich noch anmaßt, das Lebenswerk Lanzmanns vor seinem Urheber „retten“ zu wollen, ist einfach nur unverschämt. Claude Lanzmann hat mit seinem Film „Shoah“ mehr zum Verständnis des Zivilisationsbruchs Auschwitz beigetragen als die meisten historischen Werke. Der Artikel des Kunsthistorikers Welzbacher hingegen bewegt sich an der Grenze zum Ressentiment.

SEBASTIAN VOIGT