AUF DEM HIPSTERSCHLACHTFELD
: Kreuzkölln, de puta madre

VON JAN JOSWIG

Die spanischen Backpacker mit ihrer verkifften Lockenpracht ritzen es in jedes Flughafenklo: „Kreuzkölln, de puta madre!“ Ihr ehemaliger Wallfahrtsort, der weltweit strahlende Technoclub „Berghain“, hat abgedankt, seitdem er 1,2 Millionen Euro öffentliche Fördergelder zugeschanzt bekommen hat. Dafür müssen die doch bestimmt Nacktscanner installieren!? Also zieht sich der internationale Easyjetset nach Kreuzkölln zurück. Die Gegend östlich vom Kottbusser Damm mutiert vom Prekariatsidyll am Rande der Welt zum Hipster-Schlachtfeld im internationalen Fokus. Sie wird neu vermessen, auch historisch.

Und historisch gesehen gehört das Kinski zu den Topadressen Kreuzköllns. Die Vereinspinte war schon da, als sonst noch niemand da war, als es nur illegale Puffs und Türkentrödler in der Nachbarschaft gab und nicht vegane Dessous-Schneider und Flüster-Restaurants mit Kobe-Rind. Das Kinski hat dankenswerterweise seinen Ursprungslook eingefroren, quasi als begehbares Museum für die Nachzügler. Aus der weißen Schneepracht trete ich zwischen geschwämmelte Wände in Dünnpfiffbraun. Das antizipiert mit der Schwämmeltechnik nicht nur das 90er-Revival, es schmiegt sich farblich auch an den karnickelnden Kinderwahn an: „Kacka schmier’n, Kacka schmier’n“, „Plazenta vergraben oder Plazenta essen?“. Die DJ-Musik aus der lungenkranken Anlage ist so laut, dass sie sich in die Gespräche drängelt, aber so leise, dass sie keinerlei Tanzaufruf auslöst. „Hier ist es genauso entspannt wie gerade in New York“, schwärmt eine Weltenbummlerin, „seit der Krise sind dort alle ganz nett zueinander. Kellner muss man nicht mehr per Gerichtsbescheid an seinen Tisch zwingen.“ Ich trage einen Anzug mit Weste und muss mir ständig den Witz anhören: „Wenn du das Sakko ablegst, halten dich alle für den Kellner!“

Die beiden Wuscheltierchen hinter der Theke räumen lieber zwanzig Bierflaschen in den Kühlschrank, statt eine auszuschenken. „Kennt ihr den schon?“, geht ein linker Komponist mit seinen jüngsten Kottbusser-Tor-Erfahrungen hausieren, „ ‚Isch mach dich Charité‘ ist der neueste Spruch!“ „Das ist doch absolut oldschool“, mischt sich die Weltenbummlerin ein, „der neue Geist von Kreuzkölln klingt völlig anders: ‚Na, die Dame, wünscht Sie was zu kiffen?‘, wurde ich gestern von drei Basecap-Jungs angesprochen.“

Im Vorderraum glauben einige Jugendliche mit großen Brillen und Strickstulpen, sich an diesem historischen Ort hinlümmeln zu müssen. Ich wüsste partout nicht, wie ich mit denen einen Generationskonflikt anzetteln sollte. Vielleicht indem ich großkotzig eine Runde springen lasse? Bei 2 Euro pro Bier kann ich so viel Verhaltensforschung ruhig mal riskieren. Als ich das Portemonnaie greifen will, sehe ich, dass mein Mantel halb auf den schneematschigen Boden gerutscht ist. Ich hatte mir schon 2009 geschworen, nicht mehr in Etablissements ohne Garderobe zu gehen. Jetzt würde ich mir wieder von meiner Reinigungsperle anhören müssen: „Herr Joswig, wo waren Sie schon wieder? Sehen Sie mal, wie der Schmutz einmassiert ist in Ihren Kamelhaarmantel. Da müssen wir wieder eine Enzym-Behandlung machen.“

Es war ein sehr netter Abend. Aber „nett“ als Qualitätskriterium muss mal aufhören. Wir leben doch nicht hinter den sieben Jägerzäunen bei den sieben Biedermeiern (und Biedermeierinnen, so viel Platz muss sein in einem netten Text zum netten Kreuzkölln).