Drogenauflklärung in der Disco: Denn sie wissen nicht, was sie einwerfen

Die schleswig-holsteinische Landesregierung hat ein Präventions-Projekt in den Koalitionsvertrag aufgenommen.

Ecstasy-Pillen: "Die Palette ist explodiert". Bild: dpa

KIEL taz | Der Schall des Psytrance-Basses drückt sich durch den dunklen Flur und schiebt das kräftige Aroma von Cannabis aus der offenen Tür. Draußen steht ein junger Mann, 18, in Muskel-Shirt und mit silbriger Panzerkette um den Hals. Green Android, sagt er. Er hatte lediglich die Wirkung von MDMA erwartet – der Hauptinhaltsstoff von Ecstasy intensiviert Gefühle und wirkt euphorisch –, als jedoch „der Bass visuell“ wurde, ahnte er, dass in der Pille noch etwas anderes versteckt war: 2C-B, ein synthetisch hergestelltes Meskalin-Derivat.

Er hatte Glück. Sein Kollege liegt im Krankenhaus, auf der Qlimax in den Niederlanden hätte der eine Pille mit Rattengift erwischt. Ein anderer sitze „in der Klapse“ wegen LSH. Einem Halluzinogen ähnlich LSD. Es käme aus China, sagt der Junge und vermutet, die „verklappen da drin ihren Abfall“.

Er lächelt höflich, dann dreht er sich zu seiner Freundin. Die hält in den Händen eine Flasche Mineralwasser und blickt auf eine Pinnwand mit Zetteln und Bildern. „Mäckes!“ sagt sie. „Die hatte ich letzte Woche.“ Die abgebildete rot-weiß gesprenkelte Pille mit dem McDonald’s-Logo als Prägung beinhaltet 93 Milligramm MDMA und Amphetamin und Koffein und kein Rattengift.

Auf der Pinnwand vor ihr sind gut fünfzig solcher Abbildungen zu sehen. Rote, grüne, gelbe Tabletten mit dem Apple-Logo, eingestanzten Tintenfischen oder dem stilisierten Giorgio Armani-Adler. Es sind die Pillenwarnungen für die Goa-Veranstaltung an diesem Abend in einem Club in Kiel.

Die Wand hat das Partyprojekt aufgestellt. Sie gibt Aufschluss über Inhaltsstoffe von Pillen, die gerade im Umlauf sind. Das Projekt ist Teil des gemeinnützigen Kieler Suchthilfevereins „Odyssee“. Es will durch Prospekte und Gespräche über Partydrogen informieren und eine Reflexion über den Konsum anregen. Seit diesem Jahr wird es bis 2015 mit jährlich 85.000 Euro von der Landesregierung unterstützt.

Der „niedrigschwellige“ Modellversuch vor Ort gilt als „ein Element einer Drogenpolitik“, heißt es aus dem Ministerium für Gesundheit. Die Politik verfolgt dabei den Ansatz der „Harm-Reduction“ statt Restriktion und versucht, nicht die Augen vor der Realität zu verschließen.

„Wer konsumieren will, der konsumiert,“ sagt ein ehemaliger Mitarbeiter des Programms. Und so ähnelt das Motto des Projekts wohl nicht zufällig jenem Begriff, der in Zeiten von Aids aufkam: SaferUse – Vorsichtsmaßnahmen und Verhaltensweisen für einen weniger riskanten Umgang mit etwas, dass sich nicht mehr aufhalten lässt, in diesem Fall synthetische Drogen. Das Partyprojekt wäre „eine durchaus sinnvolle Geschichte,“ sagt der Veranstalter der Goa-Party. „Es macht keinen Sinn zu den Konsumenten sagen: „Wenn ihr Probleme habt, kommt vorbei.“ Man müsse die Leute vor Ort abholen.

Krass, was hier abgeht

In einem kleinen „Chillout-Zelt“ mit ausgerolltem Balkonrasen hat sich das Projekt im Freien beim Notausgang eingerichtet. Dort steht ein 35-jähriger Besucher, der Schlosser ist, nebenberuflich Forellen räuchert und nach eigener Auskunft weiß, was bei solchen Parties abgeht. Der Mann, der nur Gras raucht, weil es wie Forellen aus der Natur wächst, würde seine „Kinder niemals hierher lassen“, wenn er „welche hätte“. „Zu krass“ wäre, was hier abgehe.

Was abgeht, liegt auf der Theke im Zelt in Form von bunten Info-Broschüren. Sie klären über Inhaltsstoffe und Wirkungen auf von Ecstasy, Crystal, Ketamin, CAT, Meskalin, Pilze, Cannabis, Kokain und Speed oder Buchstabenkürzel wie „DOM“, „RC“, „GHB/GBL“.

Auch andere Sachen finden sich auf dem Tisch. Eine Glaskaraffe mit Traubenzucker und verpackte „Sniefer-Röhrchen“ aus Plastik gegen Hepatitis-Infektionen durch Geldscheine. Kondome, Magnesium-Brausetabletten gegen übermäßigem Elektrolytverlust durch exzessives Tanzen. Die bunten Bällchen im Miniatur-Kaugummiautomat bieten Abhilfe für den „Kieferschieber“, die Verkrampfung der Kiefermuskulatur ausgelöst durch übermäßigen Amphetaminkonsum, erklärt Tim.

Der 42-Jährige ist seit diesem Jahr als Projektleiter tätig. Sein Kollege Helge war schon dabei, als das Programm von 2007 bis 2010 über die „Aktion Mensch“ von Lottogeldern gesponsert wurde. Hat sich durch den Einstieg der Politik etwas verändert? Nicht wirklich, sagen sie. Positiv wäre, dass durch die öffentliche Geldspritze das Projekt auch wissenschaftlich begleitet wird. Aber ob das Geld nun von der Politik oder übers Glücksspiel kommt, Tim und Helge sind vor allem glücklich „wieder vor Ort“ sein zu dürfen.

In der kleinen Lounge-Ecke des Zelts liegen vier Jungs auf Kissen. Tim geht hinüber und fragt, ob sie das Partyprojekt kennen. Ein müdes „Joooo“ ertönt. Tim kommt zurück. Denen war nicht nach reden, sagt er. „Und wir predigen nicht.“ Wenn ein Jugendlicher einen Flyer mitnehme oder allein durch die Auslage zu Hause auf die Idee kommt, im Internet nachzulesen, dass man mit GHW auf keinen Fall Alkohol trinken solle, „dann haben wir alles richtig gemacht,“ sagt Tim.

Der Erfolg ist nicht wirklich messbar, zumindest aber die Worte „find ich gut, das ihr hier seid“ wird Tim öfter an diesem Abend hören. Ein Werkzeug, das mehr direkten Einfluss verspräche, wäre das Drug-Checking. Er wird bereits in der Schweiz und Österreich betrieben.

Doch die chemische Analyse von Pillen um gesundheitsgefährdende Stoffe wie Bleistaub oder Glas aufzuspüren ist bei Kritikern als Drogen-TÜV verschrien. Tim und Helge befürworten es – die Warn-Ausdrucke an der Pillenwand kommen aus diesen Nachbarländern und die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS) sieht es als „wertvolles Instrument bei der Schadensminderung“ von Drogen.

In Schleswig-Holstein steht Drug-Checking im Koalitionsvertrag zumindest als Begriff. Bei Bekanntwerden löste das Vorhaben eine verbale Eruption der politischen Opposition aus: „Die neue Regierung ist offenbar selbst zugedröhnt!“ ließ ein CDU-Mitglied verlauten. Eine Pseudolegalität von Drogen würde suggeriert.

Das Ministerium für Gesundheit relativierte: „Dass Konsumenten durch Aussagen über bestimmte Produkte in Schein-Sicherheit gewiegt werden“, müsse verhindert werden. „Wie dies gewährleistet werden könnte, wird von den Fachleuten in unserem Haus im Austausch mit anderen Länderministerien erörtert.“ Seitdem herrscht beim gut gemeinten Vorhaben politischer Stillstand.

Runtergefallene Gesichter

Dabei wäre der Vorteil dieses Werkzeuges nicht ausschließlich auf das chemische Ergebnis der Tests begrenzt. Es sind die Gespräche, die sich dabei mit den Konsumenten ergeben. „Wenn statt Ecstasy Kodein in der Pille ist, dann kannst du in den Gesprächen in die Tiefe gehen“, sagt Helge aus seiner Erfahrung, als sich das Projekt nur vor Lottogeldern zu rechtfertigen brauchte und er Drug-Checking trotz rechtlicher Grauzonen – Pillen dürfen vom Tester nicht angefasst werden – abwickelte. Bei der Auflistung der Inhaltsstoffe ihrer Pille fiel manchen „das Gesicht“ runter, erinnert er sich.

„Die Palette ist explodiert.“ sagt Tim. Vor 20 Jahren hätte es vor allem die „Klassiker“ gegeben: LSD, Gras, Speed, Kokain, Heroin. Heute gibt es durch den minimalen logistischen und finanziellem Aufwand neue Drogen. Allein in den vergangenen zwölf Monaten bis September dieses Jahres wurden 103 neue psychoaktive Substanzen gemeldet, berichtet das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC). Was heute rot ist, ist morgen blau. Ein Hase-Igel-Spiel zwischen Hersteller und Gesetz und mittendrin der Konsument.

Außerdem sinkt der Preis. Vier Euro für ein Gramm LSH. Das ist billiger als ein Sechser-Pack Bier. Die Drogen sind dazu deutlich höher dosiert als vor einigen Jahren und wegen der niedrigen Hemmschwelle beim Kauf, „werden die Konsumenten immer jünger“, erzählt Tim. Der Verzehr finde völlig unreflektiert statt, nach dem Motto: „Was hast du denn da, egal, kauf ich, und wumps rein damit.“

Eine Entwicklung, die auch Hans-Georg Hoffmann, Ärztliche Leiter der Fachambulanz Kiel, mit Sorge betrachtet. Er hält das Partyprojekt für wichtig, weil es die Jugendlichen, die durch den Konsum teilweise „heftig aus der Spur“ geraten, direkt vor Ort erreicht. Die große soziologische Frage nach dem Warum stellt das Partyprojekt nicht. Vielleicht ist billig, potent, leichter Zugang bereits Antwort genug.

In der Lounge-Ecke sitzt jetzt ein 20-Jähriger mit Dreadlocks. Er blättert gedankenverloren durch die Klarsichthüllen einer Infomappe. „Wenn der am Ende unsere Visitenkarte mitnimmt, dann hat er zumindest schon einmal über seinen Konsum nachgedacht“, sagt Tim.

Helge ist weniger hoffnungsvoll. Ein Junge, mit dem er soeben ein „klassisches Gespräch“ über Führerschein und Graskonsum führte, fängt an zu tanzen. „Eine halbe Tablette Ecstasy,“ sagt Helge. Der Junge fragt nach einem Medikament, das den Serotonin-Spiegel im Gehirn wieder auffüllt. Als ein grüner Laserstrahl aus der Ecke des Chillout-Zelts über die Köpfe zischt, wirft der Junge seine Arme in Wellen von sich. Er redet weiter, aber die wuchtigen Erschütterungen des Goa-Basses machen aus seinem Satz Bruchwerk: „Ich guck mit ne geile Party aus...ich denke, ich bin noch weit davon entfernt...kenne Leute, die haben sich eingeschlossen.“

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