Medialer Einfluss der Kirchen: Göttliches Sendungsbewusstsein

Die Fernsehsender in Deutschland räumen den Kirchen viel Platz in ihren Programmen ein. Und zahlen auch noch selbst dafür.

Techniker des NDR bereiten in der St.-Nikolai-Kirche in Flensburg die Karfreitagsübertragung 2010 vor. Bild: dpa

Andachten, Gottesdienste, Bibelspots, das „Wort zum Sonntag“, Talkshows mit Geistlichen – die deutschen Radio- und Fernsehsender strahlen eine Menge kirchliche Sendungen aus. Dazu sind sie gesetzlich verpflichtet. Doch sie gehen weit darüber hinaus: Sie produzieren und finanzieren einen Großteil der Kirchensendungen auch selbst. Das müssen sie nicht, sagt jedenfalls der Leipziger Rundfunkrechtler Christoph Degenhart.

Es geht dabei um weit mehr Sendungen als die traditionellen Morgenandachten und Gottesdienste. So produzierte beispielsweise der Kinderkanal die missionarische Bibel-Trickfilmreihe „Chi-Rho“, Phoenix zeichnet die von der evangelischen Kirche redaktionell vorbereitete Diskussionssendung „Tacheles“ auf (Bedingung: immer ein Geistlicher im Diskussionpanel), und RTL finanziert zwei bis drei kirchliche Dokus pro Jahr.

Die Sender sind nach den Rundfunkgesetzen und -staatsverträgen lediglich verpflichtet, den Kirchen Sendeplätze für solche Sendungen einzuräumen – von einer Pflicht, sie zu produzieren und zu bezahlen, steht dort nichts.

Insgesamt dürfte es bei den Kosten für die von den Kirchen verantworteten, aber von den Sendern produzierten Sendungen um einen zweistelligen Millionenbetrag gehen. Dabei ist die sendereigene Berichterstattung über kirchliche Ereignisse wie Papstbesuche, Katholiken- und Kirchentage nicht mitgerechnet. Allein der WDR produziert jährlich rund 1.180 kirchliche Hörfunkbeiträge (meist von Geistlichen gesprochene Andachten, aber auch rund 60 Radiogottesdienste) sowie 5 Fernsehgottesdienste und 14-mal das „Wort zum Sonntag“.

Das ZDF überträgt fast jeden Sonntag einen Gottesdienst, Produktionskosten schätzungsweise jeweils ca. 100.000 Euro. Mit den Kirchen feilt der Sender derzeit an Möglichkeiten, mit den Gottesdiensten mehr Zuschauer anzusprechen, unter anderem in einem gemeinsamem Seminar mit dem Fernsehdramaturgen Gregor Heussen.

Kostenerstattung möglich

In ihrer Antwort auf die Kostenfrage gibt die ZDF-Pressestelle zu erkennen, dass der Sender die „Verkündigungssendungen“ mit normaler Berichterstattung gleichsetzt. „Die Kirchen sind gesellschaftlich relevante Kräfte, es gehört zu unseren journalistischen Aufgaben, das kirchliche Leben entsprechend abzubilden. Für Übertragungen aus dem Bundestag oder von Parteitagen zahlen diese ja auch nicht.“

Der WDR wählt eine andere Begründung: Die Möglichkeit, sich die Produktionskosten erstatten zu lassen, werde nur im Rundfunkstaatsvertrag erwähnt, nicht aber im entsprechenden Paragrafen des WDR-Gesetzes. Für den WDR gebe es „demnach keine Regelung, wonach eine Kostenerstattung möglich wäre“. Der Rundfunkrechtler Degenhart hält diesen Umkehrschluss für falsch und eine Kostenerstattung für möglich.

Der WDR geht – anders als das ZDF – sogar noch einen Schritt weiter. Er bezahlt Gemeinden den „nachweislichen Zusatzaufwand“ für Gottesdienste und leistet „Aufwandsentschädigungen“ an das Kirchenpersonal, das Morgenandachten spricht und Gottesdienste kommentiert. So erhalten die Kirchenautoren einer Morgenandacht nach Senderangaben jeweils 82,10 Euro. Die Eigenkosten für alle Kirchenproduktionen möchte der Sender nicht preisgeben. Laut WDR-Sprecher Jens-Uwe Lindner hielten sie sich „im üblichen Rahmen“ und seien „keine Quersubventionierung“ der Kirchen.

Keine Erstattungen bekannt

Das ZDF begründet die Tatsache, dass es die Gottesdienste selbst produziert und bezahlt, mit „Ausführungsbestimmungen“ zum ZDF-Staatsvertrag, die den Sender zur Übernahme der Kosten verpflichten würden. Auf Nachfrage stellt sich aber heraus, dass damit lediglich vertragliche Abmachungen mit den Kirchen gemeint sind, die der Sender nicht bekannt macht.

Der Sprecher der rheinischen evangelischen Kirche wusste auf Nachfrage von keinem einzigen Sender, der sich die Kosten von „Verkündigungssendungen“ erstatten ließe.

Das gilt offenbar nicht nur für die öffentlich-rechtlichen Sender. RTL strahlt neben allerlei frömmelnden Spots, die die Kirchen selbst produzieren und zuliefern, auch aufwendig erstellte, kirchlich verantwortete Dokumentationen aus. In einer Reihe von 45-minütigen Sendungen geht es seit einigen Jahren um die Rolle der evangelischen Kirche in der DDR, mal unmittelbar, mal indirekt. In der Doku „Der Verrat“ über eine jugendliche Punkerin als Stasispitzel tritt als Experte ein Pfarrer auf. Der hatte zwar mit dem Thema nichts zu tun, aber weil die Doku eine verkappte „Verkündigungssendung“ ist, wird nach Aussage des zuständigen RTL-Redakteurs Dieter Czaja jedes Mal nach einem positiven kirchlichen Aspekt gesucht.

Der Blick der RTL-Reihe richtet sich ausschließlich auf die DDR-Kirche als Opfer staatlicher Unterdrückung, als Freiraum für nichtstaatliche Gruppen und Beistand von Verfolgten. Die Zusammenarbeit der Kirche mit dem DDR-Regime wird ausgeblendet. Dass die evangelische Kirche selbst den Film verantwortet, erfahren nur aufmerksame Leser des Filmabspanns.

Eigentlich wollte sich RTL laut Czaja die Kosten für solche und andere Sendungen erstatten lassen. Doch bei den Verhandlungen mit den Kirchen kamen Verträge heraus, die genau das Gegenteil vorsehen: Der Sender lässt von der evangelischen TV-Produktionsgesellschaft Eikon produzieren und zahlt. Anschließend vertreibt die Kirche das Video in ihrem Chrismon-Shop – ohne dafür Lizenzgebühren zahlen zu müssen.

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