Kolumne Logbuch: Verbotene Wege

Auch an Bord des Peaceboat ist das Leben streng getrennt, persönliche Kontakte mit der Crew verboten. Das sei zum Schutz der Arbeiter.

Das Peaceboat im Hafen. Bild: Christina Felschen

Im Frachthafen von Jakarta rumort und dröhnt es wie in einem gewaltigen Bauch, der unentwegt Nahrung aufnimmt und verdaut. So weit das Auge reicht Container, Kräne und Cargo-Schiffe. Vor dem Peace Boat hat sich eine Menschentraube versammelt. Nach über zehn Monaten auf See gehen hier hundert indonesische Crewmitglieder von Bord – ihre Familien sind von weither angereist, Dialekte von allen indonesischen Inseln sind zu hören. Ein junger Mann, der uns das Essen ausgegeben hat, hält ein Bündel aus Tüll und rosa Stoff auf dem Arm. Ein Köpfchen lugt daraus hervor – seine kleine Tochter, die sich an ihn geklammert hat.

Zehn Monate lang war er nicht zu Hause, doch sie hat ihn wiedererkannt. Die neue Crew wartet schon. Frauen und Kinder stehen erwartungsvoll vor der Brücke, über die ihre Männer und Väter gerade verschwunden sind. Vielleicht, ja vielleicht kommen sie noch einmal heraus. Sie warten lange in sengender Hitze.

Die Reederei hat einen Wassercontainer aufgestellt, doch ehe sie trinken können, wirbelt eine Sturmböe die Becher davon. Die Männer kommen nicht mehr. Die Frauen drehen ab, die Kinder im Schlepptau. Ein Junge schlägt auf die Hand seiner Mutter, die ihn davonzieht; er kreischt und dreht sich immer wieder nach dem Schiff um.

Während wir im oberen Teil des Schiffs die Welt retten, kochen im unteren Teil 300 Crewmitglieder aus Indonesien, Indien, Honduras und anderen Teilen des globalen Südens unser Essen, staubsaugen unsere Kajüten und bessern das Schiff aus – beobachtet von ernst drein blickenden Offizieren, dem Käpt'n und einer Reihe Überwachungskameras.

„Vermissen Sie Bali“ frage ich einen jungen Rezeptionisten arglos. Er schaut sich ängstlich um, doch als kein Mitarbeiter in Reichweite ist, flüstert er: „Ja, sehr. Die Zeit an Bord ist viel zu lang.“ Unsere Leben sind streng getrennt, persönliche Kontakte mit der Crew verboten. Das sei zum Schutz der Arbeiter, wurde uns vorher gesagt. Bei einer früheren Reise habe der Käpt'n ein Crewmitglied im nächstbesten Hafen entlassen, weil er mit einem Passagier etwas getrunken habe.

Ranjan ist 24 und hat Finanzbuchhaltung in Mumbai studiert – „an der besten Universität Indiens“ wie er stolz sagt. Jetzt macht er unsere Betten. „Es ist ein blue-collar-job“, sagt er und zuckt die Achseln. „Aber hier werde ich in US-Dollar bezahlt, nicht in Rupien.“

In Callao darf er zum ersten Mal von Bord, nach 60 Tagen, für zwei Stunden. Während die Passagiere nach Machu Picchu fliegen, geht Ranjan im Supermarkt des Containerhafens spazieren. Als sie zurückkommen, sonnenverbrannt und aufgeregt durcheinanderredend, beladen mit Plüsch-Lamas, Decken und Früchten, steht er mit dem Besen im Gang und hört zu. „Und, Ranjan? Was hast du gemacht?“ fragt eine junge Frau. „Ich habe eine Mango gekauft“, sagt er leise und blickt zu Boden.

Zu Beginn der Reise verlaufe ich mich einmal in den langen fensterlosen Gängen und stehe plötzlich in einem Flur, in dem sich schwere Schuhe stapelten. Dieser Teil des Schiffes ist streng verboten. Als niemand zu sehen ist, blicke ich um eine Ecke. Eine Frau in Shorts flitzt vorbei, gefolgt von einem jungen Mann in Lederjacke. Von tief drunten aus dem Bauch des Schiffes – dort, wo ich den Maschinenraum vermutet hätte – höre ich Reggae-Musik und lautes Lachen. Wie ahnungslos wir doch sind.

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