„Wenn jemand X sagt, sage ich automatisch Y“

STARK, STRAIGHT, STREITBAR Makbula Nassar moderiert eine konfliktreiche Call-in-Show im einzigen offiziellen arabischen Radiosender Israels

Kurze Röcke, Baugenehmigungen, Ehrenmorde, Klettergerüste, Koran – mit Nassar kann man über vieles streiten

AUS NAZARETH LEA HAMPEL

Makbula Nassars größte Angst ist es, zu freundlich zu sein. Wäre sie diplomatisch, wäre sie schlecht in ihrem Job. Zweimal die Woche hat die arabische Israelin ihre eigene Talkshow „Straight Talk“ auf dem einzigen offiziellen arabischen Radiosender Israels, einmal wöchentlich moderiert sie eine Diskussionsrunde. Streiten ist ihr Job. Dass sie dabei zimperlich sein könnte, ist schwer vorstellbar, wenn sie mit hohen Schuhen und festem Schritt ein Lokal in Nazareth betritt, die Gäste mustert, die alten Männer am Nachbartisch ihr respektvoll zunicken und sie sofort die erste Zigarette anzündet.

Eine junge Frau, die kein Kopftuch über ihren schwarzen Locken trägt, unverheiratet im liberalen Haifa lebt und mit Arabern in ihrer Muttersprache gesellschaftliche Probleme diskutiert – nicht nur für Nassar war das neu, als sie 2004 beim neu gegründeten Radio Shams anfing. Erstmals gab es einen Sender für die arabische Minderheit, der keine „israelische Propaganda“ ausstrahlte, wie Nassar es nennt. Weil sie so ihre Worte wählt, wurde Nassar, die als kommunistische Lokalpolitikerin und Aktivistin an Diskussionsrunden teilgenommen hatte, als Moderatorin angeworben. „Wenn jemand X sagt, sage ich automatisch Y“, sagt die 34-Jährige.

Vor der ersten Sendung hatte sie noch Angst, sie könnte nicht mit den Anrufern umgehen. Doch schon im ersten Gespräch merkte sie, dass es dazu keinen Grund gab und dass sie in „Straight Talk“ am besten so spricht, wie sie es aus ihrem Heimatdorf im israelischen Norden kennt. Höflich, nicht schüchtern, hart in der Sache und immer bereit, ihr Gegenüber zu überzeugen – das ist ihr Stil.

Vor allem Männer hören Makbula Nassars Nachmittagssendung, Familienväter, Arbeiter auf dem Rückweg von der Arbeit. 62 Prozent der arabischen Hörer schalten um diese Zeit „Straight Talk“ ein. Etwa 17 von 100 Anrufen bringt Nassar pro Sendung unter. Auch Frauen hören zu, zum Hörer aber greifen Männer. Um zu streiten. Über Konflikte wie Mischehen mit Israelis. Über das Verhalten israelischer Behörden. Nassar gefällt es, dass viele Hörer anderer Meinung sind. „Mit wem sollen die sonst diskutieren?“, fragt sie. „Mit denen, die ohnehin ihrer Meinung sind?“ Solange sie anriefen, seien sie offen für eine Debatte.

Und die bekommen sie. Der Satz „Ich mag es, zu reden“ klingt bei ihr nach Kampfansage. Sie nimmt die Männer ernst, gleich, ob sie sich über zu kurze Röcke oder Baugenehmigungsstreite mit der israelischen Verwaltung sorgen. Gleichzeitig versucht sie, sie zum Nachdenken zu bringen. Beschwert sich ein Hörer, dass in arabischen Dörfern Eltern häufig beim Ausparken ihre Kinder überfahren, fragt Nassar: „Was ist der Grund?“ Und liefert die Antwort: Spielplätze sind in arabischen Gemeinden selten. Wo Infrastruktur von Kultur und Religion abhängt, wird ein Klettergerüst zum Politikum.

Genauso direkt wie in der Kritik an Israel bleibt Nassar bei innerarabischen Themen. Wenn sie über den Koran diskutiert, fragt sie besonders kritisch. „Das Problem ist, dass der Glauben der Menschen auf Glauben basiert, nicht auf Wissen“, stellt sie fest. Bei ihr ist das anders, das wissen Hörer, die anrufen, um etwa Ehrenmorde zu diskutieren. Nassar erklärt ihnen, dass vier Zeugen eine Frau ertappen müssen, um Ehebruch anzuzeigen. „Und zwar in flagranti, das ist unwahrscheinlich“, setzt sie hinzu, lacht und wird schnell ernst. Nicht jeder dürfe ein Urteil sprechen. Vor allem Brüder und Väter nicht. Was im Alltag geschehe, die Entscheidung gegen die Frau im Familienrat, sei ein Verbrechen, nicht Islam. „Studiert den Koran und kommt wieder“, sagt sie und bohrt ihren Fingernagel in den Holztisch.

Doch es gibt Momente, in denen ihre Hörer sie aus der Fassung bringen. Wie damals, als ein Anrufer weinte, weil es um einen Jungen ging, der während der zweiten Intifada von der israelischen Armee getötet worden war. Oder wenn sie persönlich angegriffen wird, was angesichts ihrer Lebensumstände nicht ungewöhnlich ist, aber erst einmal passiert ist. Ein arabisches Wort für Schlampe warf ihr ein Anrufer in der Sendung an den Kopf. Nassar tat, als wäre nichts passiert. Und doch: Der Angriff tat weh. Sie dachte damals als Erstes an ihre Eltern, die Ehre der Familie. Die hat sich längst daran gewöhnt, dass Nassar anders ist. Wenn ihre vier Schwestern, sechs Brüder oder die Mutter der Sendung lauschen, sind sie nicht immer ihrer Meinung – und unterstützen sie doch. „Meine Mutter hat uns dazu erzogen, für unsere Meinung einzutreten“, sagt Nassar.

Immer die gleichen Themen, die gleichen Argumente hören, manchmal nervt das. Die Möglichkeit, der „anderen Stimme“ ein Forum zu bieten und die Lebensumstände der Araber in Israel und den besetzten Gebieten zu verbessern, sind es ihr wert. Einst berichtete ein Hörer von einer Gruppe arabischer Israelis, die durch eine Impfung geschädigt worden war. Ein Parlamentsmitglied hörte die Sendung und initiierte ein Gesetz zur Entschädigung der 5.000 Menschen.

Für Nassar der Beweis: Es ist möglich, Bewusstsein zu schaffen, ohne „große Statements“ zu liefern. Sie kann sich vorstellen, noch eine Weile zu moderieren. Zumal ihr das Streiten nach wie vor große Freude macht. „‚Ruft an, wenn Ihr es wagt‘, ist mein Motto.“