Islamisten müssen nachgeben

TUNESIEN Ennahda stellt wieder den Ministerpräsidenten, aber weniger Kabinettsmitglieder. Schlüsselposten gehen an Unabhängige

Laarayedh war als Innenminister für harte Polizeiaktionen gegen Demonstranten verantwortlich

VON REINER WANDLER

Tunesien hat eine neue Regierung. Der ehemalige Innenminister Ali Laarayedh hat am Freitagabend in letzter Minute vor Ablauf der gesetzlich vorgesehen Zweiwochenfrist von Staatspräsident Moncef Marzouki sein neues Kabinett vorgestellt. Laarayedh gehört der stärksten Kraft in der Verfassungsgebenden Versammlung, der islamistischen Ennahda, an.

Die Bildung einer neuen Regierung war notwendig geworden, nachdem der bisherige Ministerpräsident Hamadi Jebali am 22. Februar sein Amt niedergelegt hatte. Jebali wollte eine Regierung aus unabhängigen Experten zusammenstellen, um die Lage nach dem tödlichen Anschlag auf Oppositionspolitiker Chokri Belaid zu beruhigen. Ennahda ließ dies nicht zu. Jetzt müssen die Islamisten dennoch Zugeständnisse machen.

Die wichtigste Neuerung: Die sogenannten Ministerien der Souveränität – Verteidigung, Justiz, Innen- und Außenpolitik – gehen an parteilose Persönlichkeiten. Insgesamt sind 48 Prozent der Regierungsmitglieder, so eine Erklärung von Ennahda auf Twitter, parteiunabhängig. Ennahda hält nur noch 28 Prozent des Kabinetts. Bisher waren es 40 Prozent. 22 Regierungsmitglieder gehörten bereits der Exekutive unter Jebali an. Das am Internationalen Frauentag vorgestellte Kabinett weist nur eine Ministerin auf. Sie kümmert sich um Frauenangelegenheiten.

Laarayedh hatte bis zum Schluss vergebens versucht, neue Koalitionspartner zu finden. Ennahda wird wie bisher nur mit dem säkularen Kongress für die Republik (CPR) von Marzouki und der sozialdemokratischen Ettakatol von Parlamentspräsident Mustapha Ben Jaafar regieren.

„Es wird die Regierung aller Tunesier sein“, erklärte Laarayedh nach dem Treffen mit dem Präsidenten. Er und seine Minister werden „höchstens bis zum Jahresende im Amt bleiben“. Dann sei die neue Verfassung fertig und es werde Neuwahlen für das Parlament und die Präsidentschaft geben. Eigentlich hätte die Verfassung bereits im im vergangenen Herbst vorgestellt werden sollen. Dies scheitert bis heute an der Zerstrittenheit des Übergangsparlaments.

In der Einschätzung von Laarayedh sind sich die Tunesier uneins. Den einen gilt er als gemäßigt, den anderen als radikal. Der Lebenslauf des Mannes, der 1981 Ennahda mitbegründete, lässt beide Urteile zu. In einem Interview 1990 sprach er sich gegen die Gleichstellung der Frau, die Familienplanung und gegen den Verkauf von Alkohol aus.

Ende der 2000er – nach 14 Jahren Haft – war Laarayedh der Kontaktmann der illegalen Ennahda zum Rest der Opposition. Mit viel Dialogbereitschaft schmiedete er mit Sozialdemokraten und Kommunisten ein Bündnis gegen Diktator Ben Ali.

Laarayedh war in seiner Funktion als Innenminister für mehrere harte Polizeiaktionen gegen die Demonstrationsfreiheit verantwortlich. Seine Gegner werfen ihm vor, politische Gewalt gegen die Opposition systematisch geduldet zu haben. Für Tunesiens säkulare Parteien und die Zivilgesellschaft ist das Attentat gegen Belaid, das die schwerste politische Krise seit der Revolution vor zwei Jahren auslöste, Folge dieser Politik.