Neonazi mit NSU-Bezug: Auch Bayern hat V-Mann-Ärger

Ein führender Neonazi aus Oberfranken spitzelte in den 90er-Jahren die rechtsextreme Szene aus. Wie nah stand er dem späteren Terrortrio NSU?

In seine Amtszeit fällt der Spitzel: Gerhard Forster, bayerischer Verfassungsschutzchef von 1994 bis 2001. Bild: dapd

MÜNCHEN/BERLIN taz | Auch das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hat in den 1990er-Jahren einen V-Mann im Umfeld der späteren NSU-Terroristen geführt: Kai D. Sein Name findet sich auf einer Adressliste des NSU-Mitglieds Uwe Mundlos, die 1998 nach dessen Untertauchen sichergestellt wurde. Für Kontakte nach dieser Zeit gibt es bislang keine Hinweise.

Nach Informationen der taz spitzelte der in Berlin geborene und Ende der 1980er Jahre nach Oberfranken gezogene Kai D. mehrere Jahre für den bayerischen Geheimdienst die rechtsextreme Szene aus. 1998 soll sein Engagement dann beendet worden sein. Schon damals sei darüber spekuliert worden, dass D. ein V-Mann sei, heißt es.

In den 1990er-Jahren spielte der heute 48-Jährige eine äußerst prominente Rolle in der Neonaziszene und war laut dem antifaschistischen aida-Archiv im damals einflussreichen „Thule-Netzwerk“ aktiv, ein per Computer betriebenes Mailbox-System.

Mitte der 1990er Jahre hatte D. enge Kontakte zur „Anti-Antifa Ostthüringen“, dem Vorläufer des Thüringer Heimatschutzes (THS) – jener Neonazi-Organisation, in der auch die späteren NSU-Mitglieder Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe Mitglied waren. Die Gruppe organisierte Skinheadkonzerte und politische Veranstaltungen, hatte aber vor allem ein Ziel: Sie beobachteten und bedrohten Antifaschisten. Deshalb wurde gegen D. und elf weitere Beschuldigte wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ ermittelt. Das Verfahren wurde 1997 aber eingestellt.

Drohung eines Überzeugungstäters

Klar ist: D. war kein Mitläufer, sondern ein führender Neonazi. Kai D. galt als einer der maßgeblichen Organisatoren der Gedenkaufmärsche für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß im oberfränkischen Wunsiedel, aber auch andernorts. Laut Ermittlungsakten war D. Teil des zehnköpfigen „Aktionskommitee Rudolf Heß 1996“, das den Gedenkmarsch zum neunten Todestag von Hitlers Stellvertreter am 17. August 1996 in Worms organisierte. Dort marschierten auch die NSU-Mitglieder Mundlos und Zschäpe sowie einige ihrer mutmaßlichen Terrorunterstützer auf.

D. verbrachte die Tage vor dem geplanten Aufmarsch im Ausland, um der Polizei aus dem Weg zu gehen. Doch als er am Tag selber aus Luxemburg einreiste, wurde er festgenommen. Am Abend jenes Samstags verhörten ihn Beamte des Landeskriminalamtes in Saarbrücken. D. hatte darauf bestanden, nicht mit irgendwelchen Polizisten, sondern nur mit Staatsschutzbeamten zu reden. „Seine Gesprächsbereitschaft beginne erst mit der Ebene Landeskriminalamt“, hielten die Beamten im Vernehmungsprotokoll fest. Das Dokument liegt der taz vor.

Was dann kommt, ist eine knallharte Drohung eines Überzeugungstäters. „Hiermit teile ich Ihnen klar und deutlich mit, daß etwas passieren könnte, falls ich und andere inhaftierte Kameraden bis zu einem gewissen Zeitpunkt nicht entlassen werden würden“, sagte D. laut Protokoll. Er habe mit seinen Kameraden ausgemacht, dass er sich zu bestimmten Zeiten telefonisch melden würde.

Falls er in den nächsten Stunden diese Meldung nicht absetzen könne, „kann ich für nichts mehr garantieren“. Wenn sie ihn nicht freilassen, droht er, „könnten zum Beispiel Anschläge verübt werden“. D. erklärt den Vernehmungsbeamten, dass es ihm egal sei, „wie lange ich in Haft bleibe“. Er habe schon viel mitgemacht und sei abgehärtet. „Ich werde weiterhin meiner Gesinnung treu bleiben und mich nicht beeinflussen lassen.“

Untersuchungsausschuss fordert Akten an

Ob Kai D. und das Trio sich persönlich kannten, ist unklar. Im März 1997 wurde er zumindest wie Mundlos und Böhnhardt auf der Demo gegen die Wehrmachtsausstellung in München gesehen.

Dazu kommt die 1998 in einer Garage in Jena gefundenen Liste von Mundlos, auf der „Kai D.“ samt Handynummer vermerkt ist. Die Liste war jahrelang von den Ermittlern ignoriert worden, liest sich aus heutiger Sicht aber wie ein „Who is who“ der mutmaßlichen Helfer des Neonazitrios. Dass aber Kai D. jemals mit dem untergetauchten Trio in Kotakt stand, ist nicht bekannt.

„Welchen Einfluss der Mann auf die spätere Terrorzelle und ihre Mitglieder hatte, oder welchen Einfluss sie auf ihn ausübten, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen“, sagte der Vorsitzende des bayerischen NSU-Untersuchungsausschusses Franz Schindler (SPD) der taz. Der Ausschuss hat nun die Staatsregierung aufgefordert, dem Gremium unverzüglich alle Akten zur Verfügung zu stellen, die sich mit diesem Thema befassen.

In den vergangenen Wochen war es immer wieder zu Aufregung über V-Männer von Verfassungsschutz und Polizei im Umfeld des NSU gekommen. So war bekannt geworden, dass der Mann, der dem Trio vor dessen Abtauchen Sprengstoff besorgt hatte, später V-Mann der Berliner Polizei war. Kurz darauf flog Spitzel „Corelli“ auf, der jahrelang in Diensten des Bundesamts für Verfassungsschutz stand. Auch er stand auf Mundlos' Kontaktliste.

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