Amnesty-Expertin zum Völkerstrafrecht: „Keine Strafanzeigen zur Unzeit“

Das Völkerstrafgesetzbuch sei eine große Errungenschaft, auch wenn es kaum Anwendung finde, meint Amnesty-Expertin Von Braun. Denn die Gesetze würden ernstgenommen.

Die UNO ist bei Kriegsverbrechen oft hilflos. Das Völkerstrafrecht könnte Zeichen setzen. Bild: reuters

taz: Frau von Braun, seit zehn Jahren gibt es in Deutschland das Völkerstrafgesetzbuch. Ist das für Sie eine Erfolgsgeschichte oder eine Enttäuschung?

Leonie von Braun: Für mich ist es eine klare Erfolgsgeschichte. Schon die Existenz des Gesetzes ist eine Errungenschaft. Es ermöglicht die Bestrafung von Völkermord, Menschlichkeits- und Kriegsverbrechen durch deutsche Gerichte, auch wenn keine Deutschen als Opfer und Täter beteiligt waren.

Es gibt bisher aber nur einen Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart gegen zwei Milizenführer aus dem Kongo ...

Dass es diesen Prozess überhaupt gibt, ist schon ein großer Erfolg. Er zeigt, dass die deutsche Justiz das Gesetz ernst nimmt und anwendet. Der Kongo ist einer der größten Krisenherde weltweit, deshalb ist dieser Prozess von immenser Bedeutung und wird von Menschenrechtsorganisationen weltweit beobachtet.

Ist es wirklich schon ein Erfolg, wenn ein Gesetz nicht nur im Gesetzbuch steht, sondern tatsächlich einmal angewandt wird?

Ja, leider ist das so. Es hat einige Lobbyarbeit bedurft, bis es arbeitsfähige Strukturen bei der Bundesanwaltschaft und beim Bundeskriminalamt gab. Und dann haben Menschenrechtsorganisationen in diesem Fall viele Beweise zunächst selbst gesammelt, um die Bundesanwaltschaft von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu überzeugen. Jetzt aber kann die Justiz in diesem Verfahren Erfahrungen sammeln, die auch in Zukunft von großem Wert sein werden.

, 34, ist Sprecherin der Koordinationsgruppe gegen Straflosigkeit bei amnysty international. In ihrem Berufsleben arbeitet sie als Staatsanwältin.

Braucht die Bundesanwaltschaft mehr Personal für die Verfolgung von Kriegsverbrechen und Völkermord?

Nicht generell. Aber wenn es konkrete Fälle gibt, die aufwändige Ermittlungen erfordern, dann muss das entsprechende Referat schnell mit Personal aus anderen Bereichen aufgestockt werden - so wie man es bei anderen Kriminalitätsformen auch handhabt.

Fälle gibt es doch genug. Menschenrechtsorganisationen haben zahlreiche Strafanzeigen gestellt, die aber nicht zu Ermittlungen führten, etwa gegen Ex-US-Verteidigungsminister Rumsfeld wegen seiner Verantwortung für Guantanamo und den irakischen Folterknast Abu Ghraib...

Ich verstehe die Enttäuschung über die Nichtbearbeitung dieser Anzeigen. Aber man darf auch keine übertriebenen Erwartungen haben. Manche Strafanzeigen können, wenn sie zur Unzeit kommen, mehr Schaden anrichten als sie nutzen.

Sie fanden diese Strafanzeigen also falsch.

Nein, in der Sache haben sie durchaus ihre Berechtigung. Zudem sind die Begründungen der Bundesanwaltschaft, warum sie nicht ermittelt hat, oft an den Haaren herbeigezogen. Aber man sollte ein wichtiges neues Gesetz zunächst nicht mit Fällen belasten, die absehbar große politische Verwicklungen mit sich bringen. Sonst ist das Gesetz im Nu wieder entschärft, wie die Erfahrung in Belgien und Spanien gezeigt hat.

Sie sind also froh, dass das deutsche Völkerstrafgesetzbuch überhaupt noch existiert?

Ja, ich glaube, man muss es ganz realistisch sagen: Es ist ein Erfolg, dass das Völkerstrafgesetzbuch nach zehn Jahren unverändert besteht und nun endlich angewandt wird - hoffentlich auch in weiteren Verfahren.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.