Der Sound des Untergangs: Die Arche der Wurzellosen

Das Künstlerkollektiv Kulturfiliale hat in Hannovers Innenstadt eine interaktive Installation gebaut, die den Passanten kostenlos Wege aus der Krise weist.

Im Inneren der Krise: Der Spiegelraum der hannoverschen Installation zur Rettung vor dem Weltuntergang. Bild: dpa

HANNOVER taz | Überwältigt vom alltäglichen Schneller-höher-weiter-schöner-Streben unserer durchgetakteten Welt tragen Passanten schwer an ihren Einkaufstüten, dem möglichst perfekten Selbstdesign und den Gedanken an die nächsten Termine. Aber plötzlich ist der Weg zwischen Hannovers Marktkirche und Altem Rathaus verstellt. „Hier steht die Krise!“, steht lässig auf schwarze Plastikfolie gepinselt an einem grob zusammengespaxten, blickdicht abgeschotteten, mit Klebefolie geflickten Areal. Eine Intervention als Irritation. Also wohl Kunst.

Das Künstlerkollektiv Kulturfiliale hat ein „Krisencamp“ im Occupy-Stil erbaut. Einerseits ist das eine politische Aktion, schließlich geht es gegen Kapitalismus, weswegen auch kein Eintritt erhoben wird. Andererseits ist alles künstlerisch durchdacht und ästhetisch gestaltet – als Parcours zum eigenwilligen Durchstromern. „Bugarach: Die Arche der Wurzellosen. Eine Rettung im Jahr des Weltuntergangs“, so der Titel der anspielt auf das südfranzösische Bugarach, in dem der Legende nach ein Ufo bereitsteht, mit dem der Apokalypse zu entkommen ist.

Bevor die Arche unter Angabe einer persönlichen Utopie betreten werden darf, muss erst der Fluchtwille geweckt, die multimedial auf uns einstürmende Krise erfahren werden. Finanz-, Euro-, Griechenland-, menschliche Sinn-, Ökokrise – Schauspieler lesen auf einer Bühne kreuz und quer durch die Zeitungen vom Tage, kommentieren, albern herum, halten Reden. Auf Monitoren laufen CNN und Ergebnisse von Straßenumfragen. „Wir ballern Sie voll!“, lautet das Konzept.

Woran die Krise hier und heute zu bemerken ist? „Ich muss zwei Jobs machen, habe keine Badewanne, aber Schimmel in der Wohnung“, ist zu hören. „Und es gibt immer mehr Discounter und Ein-Euro-Läden.“

Zusätzlich für Verwirrung sorgen wie üblich sogenannte Experten, die eine Rückkehr zur Tauschwirtschaft fordern und sagen: „Unsere Welt muss provinzieller werden.“ Nach der Entzauberung der Märkte sei Schluss mit Wachstumsideologien und Zeit für Schrebergärten zur Selbstversorgung.

Wem noch eine Prise Comedy fehlt, kann per Telefon Stimmen von Wahrsagerinnen abhören. In einem Sitzdiscohäuschen tönt dazu der „Sound des Untergangs“: „Kapitulation“ von Tocotronic läuft gerade.

Dieser Wirrwarr der Anregungen überwältigt, da keine Aussage mal vertieft wird. Die Nervenkostüme und Verarbeitungsmechanismen der Besucher resignieren, Aggressivität wächst. Auch das ist künstlerische Absicht. Denn jeder kann nun „Hack’ das System“ spielen und auf Computerschrott herumprügeln. Damit das nicht nur für destruktiv gehalten wird, sind acht Kulturfilialisten unterwegs und erklären wortreich oder mit Flyern, dass es ums „Zerstören von Objekten der Finanzkrise“ und den Wunsch gehe, „den Menschen bewusst wieder über die Maschinen zu stellen“.

Für diese Sommerbespielung der City spendiert das niedersächsische Kulturministerium 16.000 Euro, die Stiftung Kulturregion Hannover 10.000 Euro und die Stiftung Niedersachsen 7.000 Euro. Die Kulturfilialisten realisieren jährlich ein Projekt, wenn sie Ferien von ihren Jobs an den Stadttheatern machen. „Dort haben wir es ja nur mit einem kleinen Ausschnitt der Gesellschaft zu tun, wenn wir rausgehen in den Alltag, erreichen wir wesentlich intensiver ganz andere Menschen“, so Dramaturgin Karoline Hoefer.

Vom Sound der Krise bedröhnt lockt die Installation den Rettungswilligen in ein Open-Air-Wohnzimmer. Teetasse ohne Tee, Gebäckteller ohne Kekse. Dafür ein erster Ansatz zur Heilung: Entschleunigung. Denn es dauert. Die sogenannte „Arche“ darf nur von jeweils einem Besucher betreten werden, sodass maximal 30 Zuschauer diesen Luxus pro Tag erleben können.

Äußerlich kann über Paletten gewandelt, ein Spiegelraum entdeckt, in die Utopie-Notizen der vorherigen Archenauten gelugt werden. Darin geht es vornehmlich um die Abschaffung des Geldes und der Arbeitslosigkeit, bedingungsloses Grundeinkommen und die große Liebe.

Aus dem Kopfhörer, den man als Besucher trägt, triezt derweil eine feenhaft angenehme Frauenstimme pausenlos mit Fragen. Glaubst du an eine neue Linke? Warum lieben Frauen Hochzeiten? Glaubst du, andere Leute mögen dich? Was ist deine Lieblingsstellung beim Sex? Wie tief sollte ein Grab sein? Wann hast du dich zuletzt bei jemandem entschuldigt? Bist du clever? Wenn du eine Sache in deinem Leben, der Welt verändern könntest, was wäre das? Was ist Zeit? Und so weiter. 21 Minuten lang.

Das wirkt überwältigend und frustrierend, weil kein Moment zum Atemholen, Innehalten, Nachdenken, neu Denken gelassen wird, was schließlich nervt. Regisseur Marco Storman formuliert das Ziel des Fragen-Bombardements als „sensibilisierenden Trance-Zustand“: „Mal herausgeholt werden aus dem Eingebundensein ins System, mal ganz bei sich sein. Zurückgeworfen auf die Frage, was denn meine Fragen sind, welche Rolle ich in meinem Leben spiele.“ Selbstentdeckungstheater also. Wie ein guter Freund oder Psychotherapeut möchte es die richtigen Fragen stellen, weiß aber nicht welche und stellt vorsichtshalber mal alle ...

Das Projekt läuft in Hannover noch bis 10. August, im September wird es nach Schwerin exportiert. Dort sind die Kulturfilialisten mit 60.000 Euro aus dem „Doppelpass“-Fonds der Bundeskulturstiftung für zwei Jahre Partner des Mecklenburgischen Staatstheaters und wollen die Schweriner dazu bringen, von sich zu erzählen: Recherchearbeit zur Seelenlage einer Stadt mit schwindender Bevölkerung.

Nicht nur die „Bugarach“-Installation, auch leer stehende Gebäude mit viel Geschichte, das Schloss, Plattenbausiedlungen, der längst von Pflanzen überwucherte Campus der ehemaligen SED-Parteischule, Blumenläden, Suppenküchen sollen Spielstätte werden. Mit dem Ziel, ein „Archiv der Utopisten“ anzulegen, das dokumentiert, was Schweriner über die Zukunft denken und dachten.

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