SPD-Fraktionsvorsitzender Andreas Dressel : "Wir sind nicht auf Brautschau"

Hamburgs Parteien suchen verstärkt Kooperation statt Konfrontation. SPD-Fraktionschef Andreas Dressel im taz-Interview über die Konsenssucht im Rathaus

"Es ist ein Zeichen demokratischer Kultur, stärker die Gemeinsamkeiten zu betonen": Andreas Dressel. Bild: dpa

taz: Herr Dressel, können Sie den Begriff „Humanität“ buchstabieren?

Andreas Dressel: H, u, m, a, n, i, t, a-Umlaut, t.

Können Sie diesen Begriff auch erläutern?

Fraktionsübergreifende Beschlüsse der Bürgerschaft im Jahr 2012:

Volksgesetzgebung I: Reform der bezirklichen Bürgerbegehren am 25. Januar einstimmig beschlossen von SPD, CDU, Grünen, FDP und Linken.

Transparenzgesetz: Am 13. Juni von SPD, CDU, Grünen, FDP und Linken einstimmig beschlossen.

Schuldenbremse: Verfassungsänderung am 14. Juni von SPD, Grünen und FDP beschlossen.

Nichtraucherschutz: Am 14. Juni von SPD, Linken und Teilen der CDU beschlossen.

Volksgesetzgebung II: Reform von Volksentscheiden wollen SPD, CDU, Grüne, FDP und Linke im Herbst einstimmig beschließen.

Wahlrecht: Verlängerung der Wahlperiode von vier auf fünf Jahre wird im Herbst wahrscheinlich von SPD, CDU und Grünen und eventuell FDP beschlossen; für die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre werden SPD und Grüne und eventuell FDP und Linke stimmen.

Bisher im Interview: Katja Suding (FDP), Dora Heyenn (Linke).

Nächstes Interview: Jens Kerstan (Grüne).

Ich ahne, worauf Sie hinauswollen: das Ausländerrecht. In diesem Zusammenhang bedeutet Humanität, die sehr engen juristischen Grenzen im Sinne der Betroffenen ausnutzen. Wir sind aber an die bundesgesetzlichen Vorgaben gebunden und können leider keine rechtlichen Sonderwege gehen.

Die Abschiebung der fünfköpfigen Roma-Familie Racipovic vor zwei Wochen nach Serbien hat für viel Entrüstung gesorgt. Warum so gnadenlos?

Das hatte nichts mit Gnadenlosigkeit zu tun, sondern mit rechtlichen Vorgaben. Der gesamte Sachverhalt, welcher nur der Härtefallkommission der Bürgerschaft bekannt war, ließ im Ergebnis leider keine andere Lösung zu.

Warum wird das alles hinter verschlossenen Türen verhandelt, und dann gelangen nur Bruchstücke in die Medien und an die Öffentlichkeit?

Die Vertraulichkeit soll eigentlich dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen dienen. Man könnte aber darüber nachdenken, diese Vertraulichkeit mit Einwilligung der Betroffenen zu lockern. Die Familie Racipovic hat die Öffentlichkeit gesucht, weil sie auf Unterstützung hoffte. Das ist verständlich. Die staatlichen Stellen – die Ausländerbehörde sowie der Eingabenausschuss und die Härtefallkommission der Bürgerschaft – dürfen sich aber nicht zu den Gründen ihrer Entscheidungen äußern. Vielleicht wären manche Sachverhalte transparenter, wenn diesen Gremien oder ihren Mitgliedern eine kurze, sachliche Reaktion auf öffentlich geäußerte Vorhalte gestattet würde. Darüber kann man nachdenken. Das müssten die Betroffenen aber erlauben.

Sie wollen ein Ende der Geheimniskrämerei?

Es wäre jedenfalls gut, wenn Sachverhalte vollständig bekannt sind, wenn man sie bewertet. Wir haben diese Regeln nicht gemacht, sind aber daran gebunden. Wir setzen uns auf Bundesebene dafür ein, gerade für gut integrierte Kinder und Jugendliche eine bessere Rechtslage und eine Aufenthaltsperspektive zu erreichen. Aber wir können schlechte Bundesgesetze auf Landesebene nicht besser machen.

Mag sein. Aber der 15-jährige Sohn Usko hätte im Herbst einen Platz an der Musikakademie bekommen, weil er musikalisch hochbegabt ist. Die 16-jährige Tochter Selenora ist eine Einser-Schülerin. Beide werden von SPD-Schulsenator Ties Rabe ausgezeichnet und drei Wochen später von SPD-Innensenator Michael Neumann abgeschoben. Welche innere Logik wohnt dem inne?

Ich kann absolut nachvollziehen, dass Sie da kritische Fragen an den Senat und den SPD-Fraktionsvorsitzenden haben. Aber wir haben nun mal die Rechtslage, die wir haben. Diese müssen wir ändern, darum bemühen wir uns.

Der Bürgermeister hat eine Einbürgerungskampagne gestartet mit dem Ziel, gut integrierte ausländische MitbürgerInnen einzubürgern. Wird diese Kampagne nicht durch solche Fälle konterkariert?

Die Einbürgerungskampagne ist ein großartiger Erfolg ...

Der erste Eingebürgerte war ein seit 30 Jahren in Hamburg lebender Schwede.

Was haben Sie gegen Schweden? Diese Kampagne ist gut und richtig, allein im ersten Halbjahr 2012 haben bereits mehr als 2.600 Migranten die deutsche Staatsbürgerschaft gerne angenommen. Und viele sind erfreut und gerührt, dass ihnen dadurch zum Beispiel auch die Möglichkeit der politischen Teilhabe bei Wahlen eröffnet wird.

Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen?

Jetzt werden Sie polemisch.

Stimmt. Wechseln wir das Thema: In der Bürgerschaft sind seit Jahresbeginn viele Beschlüsse mit breiten Mehrheiten oder sogar einstimmig gefasst worden. Gibt es im Rathaus eine neue Konsenssucht?

Nein. Aber ist es nicht positiv, wenn ein breiter Konsens hergestellt werden kann? Es gibt doch immer noch genügend Themen, über die es unterschiedliche Ansichten in der Bürgerschaft gibt. Aber über die Spielregeln von Demokratie sollten wir uns nach Möglichkeit nicht streiten.·Wir denken mit Schaudern zurück an den Kulturkampf während der absoluten Mehrheit der CDU 2004 bis 2008 über die direkte Demokratie, über die Volksgesetzgebung, über das Wahlrecht. Das wollen wir als SPD nicht, wir suchen dort den Konsens oder zumindest die breite Mehrheit.

Ist das auch eine Frage der politischen Hygiene, nicht Regierungsmehrheit um jeden Preis zu nutzen?

Ja, es ist ein Zeichen guter demokratischer Kultur, stärker die Gemeinsamkeiten zu betonen, nicht immer nur die Unterschiede. Ich glaube, niemand in der Stadt möchte, dass wir uns im Rathaus ständig die Köpfe einschlagen. Die Menschen wollen, dass wir gut und vernünftig für das Gemeinwohl zusammenarbeiten, wo das inhaltlich möglich ist.

Die SPD hat bei normalen Beschlüssen, unterhalb von Verfassungsänderungen, eine eigene Mehrheit. Sind ihre Kooperationsangebote ein Versuch, die Opposition zu spalten?

Nein. Gerade bei der Volksgesetzgebung und beim Transparenzgesetz ging es darum, möglichst einstimmige Mehrheiten zu erzielen, die auch über die Legislaturperiode hinaus wirken.

Aber Sie regeln das auch mit wechselnden Konstellationen: Schuldenbremse mit Grünen und FDP, Nichtraucherschutz mit Linken und einigen Christdemokraten ...

Nehmen Sie das als Beleg dafür, dass die SPD fest in der politischen Mitte Hamburgs verankert ist.

Oder wollen sie potenzielle Koalitionspartner für die nächste Legislaturperiode schon mal anfüttern – ein Leckerli hier, ein Leckerli dort?

Nein, es geht um politische Entscheidungen im Einzelfall. Die Zustimmung der Grünen zur Schuldenbremse erfolgte in derselben Woche, in der GAL-Fraktionschef Jens Kerstan gegen die Entscheidung, den städtischen Anteil an der Reederei Hapag-Lloyd zu erhöhen, das Landesverfassungsgericht anrief. Das zeigt schon, dass es hier keinerlei Koalitionslogik gibt.

Die FDP-Fraktionsvorsitzende Katja Suding sagte vor zwei Wochen im taz-Interview, sie könne sich nach der nächsten Wahl eine Koalition mit der SPD vorstellen. Erfreut Sie das?

Wir sind nicht auf Brautschau für 2015.

Dora Heyenn, Fraktionschefin der Linken, sagte hingegen vorige Woche an dieser Stelle, dass eine Koalition mit der SPD des Agenda-2010-Architekten Olaf Scholz undenkbar sei. Erleichtert Sie das?

Die Linke macht hier in Hamburg meist eine recht ordentliche Oppositionspolitik. Sollte sie nach der nächsten Wahl wieder in die Bürgerschaft einziehen, wünsche ich ihr, dass sie das fortsetzt.

Es gibt also im Rathaus keine Einheitsliste, sondern den Versuch, Parteiengezänk zu minimieren?

Wir wollen unsere absolute Mehrheit verantwortungsvoll für diese Stadt einsetzen. Dazu gehört, nicht knallhart durchzuregieren, sondern das Miteinander, das Konstruktive, zu suchen. Das ist nach unserer Überzeugung der sinnvollere Weg, Streit um des Streites Willen hilft nicht weiter.

Gibt es ein Thema, das in anderthalb Jahren SPD-Regierung so richtig schief ging?

Schief ist da der falsche Ausdruck. aber klar ist: Der Tod des Mädchens Chantal uns alle bedrückt. Das waren schwere und traurige Wochen. Ich denke aber, dass die richtigen Konsequenzen gezogen wurden, um so weit wie möglich sicherzustellen, dass sich so etwas nicht wiederholt.

Mit dem Rauswurf von Bezirksamtsleiter Markus Schreiber?

Er ist selbst zurückgetreten

Aber erst, als der Druck zu groß geworden war.

So eine Entscheidung macht man sich ja nicht leicht, vor allem dann nicht, wenn man in seiner Amtszeit auf viele gute Leistungen zurückblicken kann.

Wie den Obdachlosen-Zaun unter der Kersten-Miles-Brücke im vorigen Herbst?

Wenn Sie sich seine Bilanz anschauen, muss man sagen, Markus Schreiber hat insgesamt viel Positives bewirkt im Bezirk Mitte – gerade in all den Jahren, in denen er als einziger Sozialdemokrat mit einer herausgehobenen Funktion in Hamburg gegen die CDU stand.

Im Bezirk Mitte steht auch das, was mal die Elbphilharmonie werden soll. Geht es da tatsächlich weiter?

Ich bin vorsichtig optimistisch, dass jetzt wirklich vollendet wird, wie es zwischen der Stadt und dem Baukonzern Hochtief vereinbart wurde.

Sie sehen das als ein Beispiel für das propagierte „ordentliche Regieren“?

Ja. Die Sache wurde wieder vom Kopf auf die Füße gestellt, ohne – quasi als Vorleistung – zusätzliches Geld auf den Tisch zu legen. Mit klaren Ansagen und etwas politischem Druck haben wir die anderen Beteiligten bewogen, endlich ihre Hausaufgaben zu machen. Da haben Bürgermeister Olaf Scholz und Kultursenatorin Barbara Kisseler wirklich hervorragende Arbeit geleistet, indem sie hart geblieben sind.

Aber der Senat hat acht Monate Baustopp in Kauf genommen. Hat er das die ganze Zeit nicht bemerkt, dass da nicht mehr gewerkelt wird?

Natürlich, aber die Zeitfrage ist zweitrangig, wichtiger ist die Frage des Geldes der Steuerzahler. Der Stillstand auf der Baustelle war sicher misslich, aber hektischer Aktionismus hätte nichts genutzt. Es war wichtig, nicht locker zu lassen und für Alternativen gerüstet zu sein.

Also eine Drohkulisse aufbauen?

Nein, einen Plan B mit einer umsetzbaren Alternative in der Hinterhand zu haben.

In zweieinhalb Jahren sind schon wieder Bürgerschaftswahlen. Ihre Prognose?

Ich bin dafür zuständig, dass die SPD-Fraktion in diesen zweieinhalb Jahren ordentliche Arbeit abliefert. Prognosen überlasse ich anderen.

Sie rechnen offenbar nicht damit, erneut die absolute Mehrheit zu erringen?

Mit einer guten Bilanz werden wir überzeugen können. Der Rest ist Kaffeesatzleserei.

Und was machen Sie persönlich am 1. März 2015?

Wenn der Wähler es will, möchte ich gerne weiter für die Sozialdemokratie in dieser Stadt arbeiten.

In welcher Funktion?

Ich bin sehr gerne Fraktionsvorsitzender.

Streben Sie nicht in den Senat?

Vorsitzender einer Regierungsfraktion zu sein, ist ein toller Job – anstrengend zwar, aber auch attraktiv, weil man viel für die Stadt bewegen kann.

Und wir denken seit langem, Sie wollen irgendwann Bürgermeister werden.

Tja, da haben Sie aber eine blühende Phantasie.

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