Wirtschaftslage in Indien: Bürokratie bremst Boom

Indien galt lange als positives Gegenmodell zum chinesischen Wachstum. Doch nun stockt die Wirtschaft und Liberalisierungen stoßen auf Widerstand.

Harte Arbeit, mangelnde landwirtschaftliche Effizienz: Der schlechte Vertrieb der Ernten sorgt in Indien dafür, dass die Mehrheit der Bevölkerung unterernährt ist. Bild: dpa

DEHLI taz | Sehen so Sieger aus? Ende Juni verkündete der indische Handelsminister Arnand Sharma nach einem Treffen mit Ikea-Chef Mikael Ohlsson in St. Petersburg stolz, dass das schwedische Möbelhaus nach jahrelangem Zögern erstmals in Indien investieren wird. Obwohl Ohlsson einschränkte, es gehe um 25 Märkte in den nächsten 20 Jahren, wurde die Nachricht in Indien bejubelt.

So weit ist es also mit Indien schon gekommen. Handelsminister Sharma, in den letzten Jahren umschwärmter Stargast auf Wirtschaftsforen in aller Welt, muss heute Unternehmern hinterherlaufen, die noch in Indien investieren wollen. Denn die Auslandsinvestitionen in Indien sind auf einen Bruchteil des Vorjahres zusammengeschmolzen.

Makroökonmisch brennt es fast überall: Die Inflation steigt, bei einem ohnehin hohen Niveau von 8 Prozent. Die Industrieproduktion und der Arbeitsmarkt stagnieren. Die Währung fällt. Und das Wirtschaftswachstum ist von 9 Prozent im Jahr 2010 auf 7 Prozent im letzten Jahr gesunken.

2012 wird mit 5 Prozent gerechnet. „Es ist eine Schande, Indien müsste eigentlich weiter mit 9 oder 10 Prozent wachsen“, sagte der indische Management-Guru Anil Gupta der taz. Er hält die Probleme für hausgemacht. Dabei läge es nahe, das Ende des indischen Wirtschaftsbooms mit der schlechten Lage der Weltwirtschaft zu erklären.

Weder eine große Export- noch Importnation

Allerdings konnte schon die internationale Finanzkrise 2008 Indien nichts anhaben, und heute geht auch die Eurokrise an dem Land weitgehend vorbei. Denn Indien ist weder eine große Export- noch eine große Importnation. Das Wachstum beruhte hier vornehmlich auf aus- und inländischen Investitionen in einen stark zulegenden Binnenmarkt.

Paradebeispiel war jahrelang die Telekommunikationsbranche. Sie wurde in den 90er Jahren völlig neu aufgebaut. Heute gibt es in Indien an die 500 Millionen Mobilfunkkunden: ein Riesenerfolg, an dem sich multinationale Unternehmen wie Vodafone und indische Großkonzerne wie Tata oder Reliance gleichzeitig eine goldene Nase verdienten.

Doch plötzlich stößt Indien auf Grenzen des Wachstums. „Die Ursache ist politische Inkompetenz“, sagt Wirtschaftsprofessor Gupta. Viele Unternehmer und Ökonomen stimmen ihm zu. Warum Ikea bisher nicht nach Indien kam? Weil die Regierung den Einzelhandel nicht für ausländische Investoren öffnete, sagen die Kritiker.

Nur in Branchen wie Telekommunikation, Software- und Automobilproduktion, die vor den 90er Jahren in Indien praktisch nicht existierten, erlaubt die indische Regierung bisher ausländische Konkurrenz. Wo es sie nicht gibt, fehlt in Indien bisher ausreichendes Wachstum.

Zweite liberale Reformphase gefordert

Deshalb fordern die Kritiker heute eine zweite liberale Reformphase, in der auch Einzelhandel und Landwirtschaft dran sind. Doch damit stoßen sie bei Indiens Politikern auf Granit. Es ist ein Teufelskreis. Die ineffektive Landwirtschaft und vor allem der ineffektive Vertrieb der Ernten auch im Einzelhandel sorgen dafür, dass bis heute die Mehrheit der Inder unterernährt sind.

Doch wer daran rüttelt, bekommt es mit den Lobbys zu tun, die angeblich die Massen der Unterernährten vertreten. Das aber ist ein politisches Minenfeld, in das weder Regierung noch Opposition zu treten wagen.

Streit gibt es auch über neue Umwelt- und Waldgesetze. Die einen sehen sie als Wachstumsbremse, andere als Gewinn, der die Ureinwohner Indiens vor dem Raub ihrer Stammesgebiete schützt. Aus diesem Grund steht heute das größte ausländische Investitionsprojekt in ganz Indien, ein Riesenstahlwerk der südkoreanischen Firma Posco, vor dem Aus.

Posco beachtete die Landrechte der Ureinwohner nicht ausreichend. Doch für die meisten Unternehmer zeigt Posco, was in Indien derzeit schiefläuft. Laxmi Mittal, indischer Chef des größten Stahlunternehmen der Welt, Arcelor, kündigte deshalb den Aufschub aller Indien-Projekte seines Unternehmens um fünf Jahre an.

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