Linken-Parteitag wählt neuen Vorstand: Offenes Rennen im Reparaturschuppen

Mit der Wahl einer neuen Führung will die Linkspartei aus der Krise kommen. Der Ausgang gilt als völlig offen. Zunächst wird aber über konkurrierende Leitanträge debattiert.

Es ist angerichtet: Linksparteiler vor der Lokhalle in Göttingen. Bild: dapd

GÖTTINGEN taz | Es ist ein symbolträchtiger Ort, an dem die Linkspartei an diesem Wochenende ihre seit Monaten schwelende Führungskrise beenden will: eine alte Lokhalle im niedersächsischen Göttingen. Erst kürzlich hatte die derzeitige Vizevorsitzende Katja Kipping den Streit zwischen den Flügeln als heilloses Aufeinanderzurasen von zwei D-Zügen illustrierte. Auch das parteinahe Neue Deutschland nannte es so „symbolisch wie hilfreich“, dass sich die Delegierten in einem ehemaligen Reparaturschuppen für Schienenwagen treffen.

Ob eine Runderneuerung der Partei gelingt, gilt vielen hier jedoch am Samstagmorgen als völlig offen. Seit Freitagabend haben die diversen Strömungen der Linken über ihre Parteitagsstrategie beraten, in kleinen Gruppen diskutierten Delegierte vor der Lokhalle. Wird es am Ende eine reine Frauen-Doppelspitze geben? Kandidiert Fraktionsvize Sahra Wagenknecht doch noch für den Vorsitz? Ziehen andere Bewerber zurück – und was heißt das für das Personaltableau, das die Partei wieder auf die Erfolgsspur führen soll?

Ob am Sonntagabend noch alle Wagen am sprichwörtlichen Linken-Zug hängen, wollte auch Gregor Gysi vor dem Delegiertentreffen nicht garantieren. „Entweder es gelingt ein Neubeginn oder es endet in einem Desaster“, hatte der Fraktionsvorsitzende am Freitag in der Süddeutschen Zeitung gesagt. Selbst eine Spaltung wollte er nicht ausschließen. Ihm widersprach Dietmar Bartsch, der frühere Bundesgeschäftsführer, der im Streit der Linken als Widersacher von Oskar Lafontaine galt und auf einen der beiden Chefsessel hofft.

Bisher hatten in PDS und Linkspartei den Vorsitz:

Gregor Gysi (1989 bis 1993)

Lothar Bisky (1993 bis 2000)

Gabi Zimmer (2000 bis 2003)

Lothar Bisky (2003 bis 2010)

Oskar Lafontaine (2007 bis 2010)

Gesine Lötzsch und Klaus Ernst (2010 bis 2012)

Kurz vor dem Parteitag hat Sabine Zimmermann, eine der mindestens zehn BewerberInnen für den Vorsitz, noch einmal Öl ins innerparteiliche Feuer gegossen. Die Linkspartei drohe im Strudel der Strömungen unterzugehen, warnte die Bundestagsabgeordnete und hatte den Schuldigen bereits gefunden: „So weit haben es die Funktionäre aus den Ost-Landesverbänden bereits kommen lassen. Eine Schande“, wird die Gewerkschafterin in der Leipziger Volkszeitung zitiert.

Lernen von den Griechen

Zimmermanns Vorwurf fand am Samstagmorgen nicht nur Beifall. Wen immer man allerdings fragte, wie der Parteitag ausgehen wird, man erntete Schulterzucken. Der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko hofft, „dass die Partei sich trotz aller Auseinandersetzungen richtig aufstellt, um die anstehenden Aufgaben zu lösen“. Man könne vom Aufschwung linker Parteien in Frankreich, den Niederlande und Griechenland „lernend anknüpfen“.

Linken-Vorstand Niema Movassat hatte sich „mit sehr gemischten Gefühlen auf dem Weg“ nach Göttingen gemacht. „Eine Partei sollte nicht vergessen, dass sie nicht zur Selbstbespaßung da ist, sondern um den Interessen derjenigen Gehör zu verschaffen, die ihr ihr Vertrauen geschenkt haben.“

Es ist dies auch ein Hinweis auf den inzwischen deutlich abgeschmolzenen Zuspruch bei den Wählern. 2009 votierten bei den Bundestagswahlen immerhin noch über fünf Millionen Menschen für die Partei; derzeit droht der Linken in bundspolitischen Umfragen sogar das Scheitern an der Fünfprozent-Hürde. Auch bei den zurückliegenden Landtagswahlen steckte die Partei Niederlagen ein. Sie habe aus ihrem Berliner Wahlkreis denn auch einen Auftrag bekommen, sagt Bundestagsvize Petra Pau: „Sorgen Sie dafür, das man die Linke wieder wählen kann.“

Der doppelte Leitantrag

Bis dahin dürfte es noch ein weiter Weg sein. Zunächst stehen am Samstag die Debatte über den Leitantrag des alten Vorstandes auf der Tagesordnung. Das Papier konkurriert mit einem Alternativpapier, das vor allem von ostdeutschen Linken eingebracht wurde.

Vor der Generaldebatte forderte ein Delegierter, die Abstimmung über die beiden Anträge zu streichen – es dürfe keinen „Kampfbeschluss“ über die inhaltliche Ausrichtung der Partei geben, nach Monaten des Konflikts solle das Delegiertentreffen ein Signal der Solidarität setzen. Überdies liege mit dem im vergangenen Herbst beschlossenen Erfurter Programm ein von einer großen Mehrheit der Partei getragener inhaltlicher Kompromiss bereits vor.

Die Delegierten setzen sich über das Ansinnen jedoch hinweg. In der Debatte, die am späteren Mittag beginnen sollte, wird auch der saarländische Fraktionsvorsitzende Oskar Lafontaine das Wort ergreifen. Von seiner Rede wird auch ein Signal für die für den Abend angesetzte Wahl der neuen Parteispitze erwartet.

Riexinger fordert Bartsch heraus

Der frühere Linkenchef hatte sich aus dem Machtkampf um den Vorsitz zurückgezogen – und den baden-württembergischen Landeschef Bernd Riexinger zu einer Kandidatur aufgefordert. Der ver.di-Gewerkschafter geht als Bewerber des linken Lagers gegen Bartsch ins Rennen, der vor allem von den Reformern unterstützt wird. Ob es überhaupt Männer in der kommenden Doppelspitze geben wird, ist allerdings offen.

Neben Bartsch und Riexinger sowie einigen chancenlosen männlichen Kandidaten treten Katja Kipping und die nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Katharina Schwabedissen für eine Frauen-Doppelspitze an. Außerdem kandidieren die Hamburger Fraktionschefin Dora Heyenn und Sabine Zimmermann. Viele Delegierte erwarteten am Samstagmorgen zudem, dass auch Sahra Wagenknecht kurzfristig ihren Hut in den Ring wirft – sie selbst hatte das zuletzt als „Notvariante“ bezeichnet.

Wie auch immer der Wahlparteitag ausgeht – für die Sozialdemokraten soll sich im Verhältnis zur Linken nichts ändern. Auf Bundesebene bleibe die „für die SPD keine Option“, zitiert der Focus den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel. Die Linke sei „eine in sich zerrissene, zutiefst gespaltene Partei, deren innere Widersprüche durch den Abgang von Lafontaine nicht beseitigt sind“. Ähnlich äußerte sich der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag: Man nehme die Linke als Partner nicht einmal geschenkt.

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