Richter droht Gefängnisstrafe: Anklage wegen 20 Sekunden Probehaft
Um einem Angeklagten zu zeigen, wie schlimm Gefängnishaft ist, ließ ein Richter den Mann 20 Sekunden in eine Zelle sperren. Nun ist der Richter selbst angeklagt – ihm drohen sechs Monate Haft.
KARLSRUHE afp | Machen Richter Fehler, geschieht das meist zulasten der Angeklagten. Den umgekehrten Fall verhandelt nun der Bundesgerichtshof (BGH) am Mittwoch. Einem Proberichter droht selbst ein Jahr Gefängnis, weil er einen rückfallgefährdeten Exhibitionisten während des Verfahrens für 20 Sekunden in eine Gewahrsamszelle gesteckt hatte, um ihm plastisch vor Augen zu führen, dass Therapie die bessere Alternative ist. Die Staatsanwaltschaft sieht darin aber eine „Aussageerpressung“ – und geht in einem Mammutverfahren gegen den inzwischen aus dem Dienst entlassenen Juristen vor.
Der Fall des Jungrichters Christoph R. sorgt unter Richtern bundesweit für Aufregung: Mit am Pranger steht aus ihrer Sicht ein hohes Gut - ihre richterliche Unabhängigkeit: „Wer als Richter Angst vor Strafverfolgung bei Fehlern haben muss, kann nicht mehr vernünftig Recht sprechen“, warnt Thomas Schulte-Kellinghaus, Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe. Und aus diesem Grund entsandte die Neue Richtervereinigung sogar Beobachter zu dem Verfahren gegen R. vor dem Landgericht Kassel, das erstaunliche 28 Tage dauerte.
Dort erfuhren Zuschauer, dass sich der von drei Frauen angezeigte Exhibitionist gegen einen Strafbefehl über 400 Euro wehrte. In einem Schreiben an den zuständigen und erst seit fünf Monaten tätigen Jungrichter des Amtsgerichts Eschwege in Hessen bat er um „Entschuldigung“ und darum, „die Sanktion stark zu verringern“. Proberichter R. sah darin ein Schuldeingeständnis und wollte den rückfallgefährdeten Angeklagten in dem Prozess nur noch dazu bringen, eine Therapie aufzunehmen.
Weil sich der Angeklagte zunächst uneinsichtig zeigte, unterbrach der Richter die Verhandlung und steckte den laut Gutachten „intellektuell minder begabten“ Mann für 20 Sekunden in eine nicht verschlossene Gewahrsamszelle im Keller des Gerichts. Er wollte ihm damit verdeutlichen, was ihm irgendwann einmal drohen könnte, sagte der Richter später dazu.
Als der Angeklagte dort dann die Zellen-Toilette benutzen wollte, bat ihn der Jungrichter noch, das nicht zu tun. Sie müsse ansonsten extra gereinigt werden, er könne aber eine andere Toilette aufsuchen. Zurück im Sitzungssaal zeigte sich der Angeklagte dann einsichtig und kam deshalb mit einer Verwarnung ohne weitere Geldstrafe davon.
Sechs Monate gab es kein Problem
Alle waren mit dem Urteil zufrieden. Selbst der Staatsanwalt legte weder Rechtsmittel ein, noch informierte er seinen Vorgesetzten über die ungewöhnliche Zellenbesichtigung. Erst ein halbes Jahr später wurde der Proberichter anonym beim Landgerichtspräsidenten angeschwärzt. Nun droht ihm mindestens ein Jahr Haft wegen Rechtsbeugung, weil er laut Staatsanwaltschaft auf den Angeklagten „psychologischen Druck“ ausgeübt, ihn durch die Zellenbesichtigung „seelisch gequält“ und durch das Toilettenverbot „folterähnlich“ behandelt habe.
Von dem Vorwurf sprach ihn das Landgericht Kassel zwar frei. Doch die Bundesanwaltschaft stützt die Revision vor dem BGH und wertete das Vorgehen des Proberichters als Aussageerpressung. Ob der Vorsitzende BGH-Richter Thomas Fischer dann allerdings die eigentlichen Ursachen des Falles zur Sprache bringt, ist offen: Er zeigt nach Auffassung des Frankfurter Richters Guido Kirchhoff von der Neuen Richtervereinigung was geschehen kann, „wenn Berufsanfänger ohne jede Unterstützung als Einzelrichter am Amtsgericht eingesetzt werden“.
Die Neue Richtervereinigung fordert auch wegen des aktuellen Falles eine bessere Einarbeitung von Berufsanfängern und verweist auf das Vorbild Niedersachsen. Dort werden Proberichter von Mentoren begleitet. Ihnen wird außerdem nur die Hälfte des üblichen Arbeitspensums zugemutet, bevor sie als Amtsrichter allein über menschliche Schicksale entscheiden dürfen. Diese Chance hatte Jungrichter Christoph R. nicht.
Leser*innenkommentare
viccy
Gast
Im Grundgesetz steht, Richter seien unabhängig (nur dem Gesetz unterworfen, klar). In der Praxis müssen sie sich ziemlich anpassen, so entscheiden, wie alle entscheiden, sonst gibt es keine Übernahme auf Lebenszeit - in manchen Bundesländern sind Richter FÜNF Jahre auf Probe (!) - oder es gibt keine Aufstiegschancen und man versauert 30 Jahre am Amtsgericht bei Ladendiebstählen, Sozialhilfebetrug und besoffen Autofahren.
Vielleicht hat das Leben des jungen Proberichters, ohne dass er das weiß, sogar im Endeffekt - langfristig gesehen - eine gute Wendung genommen.
Davon abgesehen, wer nach fünf Monaten schon meint, er könne einen auf Barbara Salesch mit Stierhormonen machen, ist vielleicht auch wirklich besser woanders aufgehoben, bspw. als leidenschaftlich für seine Partei kämpfender Anwalt.
royigel
Gast
...nun macht mal einer was - keinem hat das weh getan - und dann wird sooo ein kostenintensiver Firlefanz daraus. In jeder Lehre darf der Lehrling Fehler machen, die zu Lasten des Ausbilders gehen. Wenn der Staat hier der Ausbilder ist, dann eben zu seinen Lasten ! Ein Jahr Haft wofür ? Weil irgend so ein verwirrter Mensch begriffen hat, dass man sich in der Öffentlichkeit nicht nackt zeigt ? Ist doch alles gut gelaufen - Delinquent hat begriffen, Lied durch ! Ein Du-Du hätte allemal für den Jungrichter genügt. Einfach nur ein Fehler
insigma
Gast
1 Jahr Haft für 20 Sekunden Erziehungsversuch?!?
Justizia!!!
Karl Sonnenschein
Gast
Aeh, warum nicht gleich die Todesstrafe?
Zwei Jahre Gemeinschaftsdienst fuer den Denunzianten.
Drei Jahre Berufsverbot fuer den Landgerichtspraesidenten.
Freispruch fuer den Jungrichter.
kleinalex
Gast
>Mit am Pranger steht aus ihrer Sicht
>ein hohes Gut - ihre richterliche Unabhängigkeit:
>„Wer als Richter Angst vor Strafverfolgung bei
>Fehlern haben muss, kann nicht mehr vernünftig Recht
>sprechen“,
Interessante Meinung. Was sagt denn wohl die Verfassung zu diesem Thema?
Artikel 97, Absatz 1:
"Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen."
Wie kommt es bloß, dass so gerne Juristen den Eindruck zu erwecken suchen, im GG würde dieser Artikel nur aus den ersten 4 Worten bestehen?
Der Artikel ist eigentlich ganz eindeutig: Richter sind unabhängig von Weisungen und Einflussnahmen, nicht aber von Gesetzen. Die Strafverfolgung von Richtern, die Gesetze brechen, steht daher nicht nur nicht im Widerspruch zur richterlichen Unabhängigkeit nach GG; sie ist vielmehr die Voraussetzung dafür, dass der Rechtstaat von sich behaupten kann, die richterliche Unabhängigkeit im Sinne des Grundgesetzes umzusetzen.
Besonders tragisch ist aber eigentlich die Entsendung von Beobachtern zum Verfahren durch eine Richtervereinigung - im Gegensatz zum Verfahren selbst ist diese Entsendung in der Tat der Versuch einer eindeutig verfassungswidrigen Beeinflussung eines Richters, dem vom GG eigentlich die Freiheit von solchen Versuchen garantiert wird.
DaW
Gast
Ich verstehe das Problem nicht - unser Rechtssystem basiert doch auf dem Gedanken der Erziehung, und die war doch in diesem Fall offensichtlich sehr wirksam.