Präsidentschaftswahl in Ägypten: Ein Muslimbruder, ein Militär

Im ersten Wahlgang liefern sich ein Islamist und ein Vasall des alten Diktators ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Präsidentschaft. Liberale Ägypter sind darüber entsetzt.

Premiere: Die ersten freien Präsidentschaftswahlen in Ägypten. Bild: dpa

KAIRO taz | So etwas hat es im Land am Nil noch nie gegeben. Während der Diktatur haben 90 Prozent der Ägypter dem Präsidenten auf wundersame Weise ihr Ja-Wort gegeben. Doch dieses Mal gleicht die Auszählung der Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen einem Elfmeterschießen. Die Nerven der Ägypter lagen blank.

Nach den ersten Auszählungen liegt der Kandidat der Muslimbrüder, Mohammed Mursi vorne, gefolgt von dem Mubarak-Mann Ahmed Schafik. „Jetzt habe ich in der Stichwahl die Option zwischen Selbstmord und einem Sprung in ein Haifischbecken“, twitterte ein liberaler Ägypter. Es ist die Wahl zwischen einem Islamisten und einem Restposten des alten Regimes.

Als am Nachmittag Ergebnisse aus den Provinzen bekannt wurden, wurde es noch einmal knapp. Schafik und der Nasserist und arabische Nationalist Hamdin Sabahi liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den für die Stichwahl entscheidenden zweiten Platz. Der Sprecher Schafiks erklärte prompt die „Revolution für beendet“ und verkündete, dass Ägypten mit der Hilfe Schafiks vor „den Mächten der Dunkelheit“ gerettet würde.

MOHAMMED MURSI. Der 60-jährige Ingenieur ist der offizielle Präsidentschaftskandidat der ägyptischen Muslimbrüder und ihres für die Wahlen gegründeten politischen Flügels „Partei für Freiheit und Gerechtigkeit“, die bei den Parlamentswahlen 2011 stärkste Kraft wurde. Mursi gilt aber nur als zweite Wahl, nachdem der eigentliche Kandidat der Muslimbrüder disqualifiziert und ein anderer ausgeschlossen wurde, aber trotzdem kandidierte. Geboren in Sharkiya im Nildelta, studierte Mursi an den Universitäten von Kairo und South Carolina (USA) und wurde unter der Mubarak-Diktatur zweimal ins Parlament gewählt, 2000 und 2005. Im selben Jahr kam er sieben Monate in Haft, nachdem er an einer Demonstration zugunsten von Reformjuristen teilgenommen hatte. 2010 wurde er Sprecher der Muslimbrüder. Bei den Protesten gegen Mubarak im Januar und Februar saß er erneut für drei Tag in Haft. (afp/taz)

AHMED SCHAFIK. Der 70-jährige General gilt als Kandidat des Militärs. Er war der letzte Regierungschef des gestürzten Diktators Husni Mubarak, ernannt am 29. Januar 2011, wenige Tage nach Beginn der Massenproteste. Der Militärrat, der nach Mubaraks Flucht die Macht übernahm, setzte ihn am 3. März wieder ab. Geboren 1941 in Kairo, ist Schafik ebenso wie Mubarak ausgebildeter Pilot und brüstet sich, in Kriegen zwei israelische Flugzeuge abgeschossen zu haben. Von 1996 bis 2002 war er Generalstabschef der Luftwaffe und wurde oft als Lieblingskandidat der USA für die Nachfolge Mubaraks ins Gespräch gebracht. Im Jahr 2002 wurde er Luftfahrtminister und organisierte den Neubau der internationalen Flughäfen von Kairo und Scharm al-Scheich sowie die Reform der staatlichen Fluglinie EgyptAir. Dies hat ihm den Ruf eingebracht, relativ kompetent zu sein. Er hat sich bereit erklärt, im Falle seines Wahlsiegs einen Islamisten zum Regierungschef zu ernennen. (afp/taz)

„Die Ägypter müssen nun zwischen der Revolution und der Konterrevolution wählen“, sagte der Chef der Partei der Muslimbrüder, Mohammed Beltagi. Die Stichwahl werde ein Referendum über die Revolution.

Der Apparat gewinnt die Wahl

Liegen Mursi und Schafik im ersten Wahlgang am Ende vorne, dann beweist das, dass auch im Ägypten des Jahres 2012 immer noch jene gewinnen, die einen Apparat hinter sich haben. Das gilt für Mursi und die Muslimbruderschaft, deren Netzwerk sich seit 80 Jahren bis ins letzte Dorf spannt. Wie ein ägyptischer Journalist vor den Wahlen sagte: „Die Muslimbrüder können mit ihrer Maschinerie einen Hund zum Präsidenten machen.“

Das gälte dann aber noch mehr für den zweiten Wahlsieger Ahmed Schafik. Der wurde von den Überbleibseln des alten Regimes ins Rennen geschickt, die Netzwerke der einstigen Regierungspartei Mubaraks und der Sicherheitsapparate haben für ihn mobilisiert.

Bei den Parlamentswahlen im Winter hatten die Muslimbrüder noch die Hälfte der Stimmen bekommen. Heute ist ihr Kandidat Mursi von diesem Ergebnis weit entfernt. Die Zustimmungsraten für die Islamisten sind gefallen, weil sie keine Antworten auf die sozialen Probleme im Land gefunden haben. Aber die Muslimbrüder haben mitgezeigt, dass sie mit ihren frommen Worten immer noch genug Ägypter hinter sich bringen.

Der alte Mubarak-Apparat hatte dagegen nicht mit einer Ideologie mobilisiert. Sein Kandidat Ahmed Schafik ist mit einer einzigen Botschaft angetreten: „Ich habe politische Erfahrung und werde wieder für Ordnung und Stabilität sorgen.“

Die ägyptische Gesellschaft ist verunsichert

Damit haben Mursi und Schafik nicht nur ihren Apparat genutzt, sondern die Stimmung vieler Ägypter getroffen. Denn die ägyptische Gesellschaft ist im Moment verängstigt und verunsichert. Mursi spricht die konservativen Sinne der Ägypter an, Schafik verspricht, ihnen mit der Rückkehr zum Alten die Unsicherheit zu nehmen.

Bleibt es bei der Kombination Mursi – Schafik, dann würde, wer immer am Ende die Stichwahl gewinnt, das Land polarisieren. Für die Bewegung vom Tahrirplatz hat Schafik, der während der Kamelschlacht im Aufstand gegen Mubarak als Premier in Amt und Würden war, Blut an den Händen. Viele fürchten, die Säuberung der Institutionen von den Vertreten des alten Regimes würde ein Ende finden, die Tage des allmächtigen Sicherheitsapparates wiederkehren.

Für den Militärrat, der im Hintergrund die Fäden zieht, ist Schafik ohnehin der Traumpräsident. Es wäre also eine Vollbremsung der Revolution. Allerdings müsste sich Schafik mit einem von Islamisten dominierten Parlament und dem Widerstand vom Tahrirplatz plagen.

Würde Mursi Präsident, hätten die Muslimbrüder die absolute Hegemonie über alle politischen Institutionen, vom Parlament zur Präsidentschaft. Aber sowohl der Sicherheitsapparat als auch die Militärführung werden nicht mit den Muslimbrüdern kooperieren, ebenso wenig wie Liberale und Säkularisten.

Sollte es doch noch Sabahi schaffen, dann hätten die Ägypter einen Nasseristen in einem neuen demokratischen System. Ersteres kennen sie aus der Diktatur Gamal Abdel Nassers, Letzteres wäre für die arabische Welt völlig neu. Würde nicht Schafik, sondern einer der anderen Kandidaten Präsident, würden als Nächstes seine Kompetenzen gegenüber dem Militärrat ausgehandelt. Der hat zwar versprochen, sich aus der Politik zurückzuziehen. Doch das glaubt in Ägypten kaum jemand.

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