Fraktion düpiert Bürgermeister: Warnschuss für Olaf Scholz

Hauchdünn entgeht Hamburgs SPD-Senat einer herben Niederlage im Parlament - und das auch nur mit Hilfe der CDU.

Nochmal davongekommen: Hamburgs SPD-Bürgermeister Olaf Scholz. Bild: dapd

HAMBURG taz | Ausgerechnet Frank Schira. Was Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) am Mittwochabend vor einer herben Niederlage in der Hamburgischen Bürgerschaft bewahrte, war die Stimme des eilig vom Krankenlager herbei telefonierten ehemaligen Partei- und Fraktionsvorsitzenden der CDU. Und so wurde Stefan Schulz – ebenfalls Christdemokrat – im zweiten Wahlgang neuer Präsident des Landesrechnungshofs. Statt einer handfesten Regierungskrise blieb es beim ersten Warnschuss aus der SPD gegen den eigenen Vorsitzenden und Regierungschef.

Als Abweichler geoutet hat sich bislang niemand, aber das liegt in der Natur der Sache: Politische Schüsse vor den Bug werden gewöhnlich bei zweitrangigen Entscheidungen in geheimer Abstimmung abgefeuert. Als noch später am selben Abend der Einkauf Hamburgs in die Energienetze für Strom, Gas und Fernwärme für 543,5 Millionen Euro in offener und namentlicher Abstimmung entschieden wurde, riefen alle 62 Sozialdemokraten, wie von Scholz gewünscht, laut und deutlich: „Ja!“

Zuvor war die Plenarsitzung rund drei Stunden lang für mehrere Krisentreffen des Ältestenrats und Sondersitzungen der Fraktionen unterbrochen worden. Grund war der unerwartete Umstand, dass der Personalvorschlag des Bürgermeisters durchgefallen war, den ehemaligen Staatsrat Schulz zum obersten Kassenprüfer der Hansestadt zu wählen.

Die Überraschung war umso größer, als sich die regierende SPD mit der oppositionellen CDU auf den Christdemokraten verständigt hatte, um die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit sicherzustellen. Die liegt bei 81 Stimmen, SPD und CDU zusammen verfügten mit 88 anwesenden Abgeordneten über eine klare Mehrheit. Dennoch votierten in geheimer schriftlicher Abstimmung lediglich 78 ParlamentarierInnen für den 54-jährigen Juristen: Schulz fiel durch – und Scholz hatte ein Problem.

Die Hamburgische Bürgerschaft hat 121 Abgeordnete. Mitglieder des Senats dürfen nicht dem Parlament angehören und müssen bei Amtsantritt Mandate ruhen lassen oder niederlegen.

Regierung: Die SPD regiert seit der Wahl am 20. Februar 2011 mit der absoluten Mehrheit von 62 Mandaten.

Opposition: Besteht aus vier Fraktionen mit zusammen 59 Abgeordneten. Größte Fraktion ist die CDU mit 28 Mandaten, gefolgt von den Grünen mit 14, der FDP mit 9 und den Linken mit 8 Sitzen.

Zwei-Drittel-Mehrheit: Für Verfassungsänderungen und hochrangige Personalentscheidungen ist die Zustimmung von zwei Dritteln der gesetzlichen Mitglieder - nicht der tatsächlich anwesenden - erforderlich. Also liegt das Quorum bei 81 von 121 Jastimmen.

Die Fraktionsvorsitzenden Andreas Dressel (SPD) und Dietrich Wersich (CDU) lieferten den Journalisten auf der Pressetribüne im Halbstundentakt neue Erklärungen, warum die eigenen Leute „geschlossen für Schulz“ gestimmt hätten und die Abtrünnigen bei der jeweils anderen Partei zu suchen seien. Die avancierteste Verschwörungstheorie lautet, zehn Christdemokraten hätten gegen den eigenen Mann gestimmt, um den Anschein zu erwecken, ebenso viele Sozialdemokraten hätten ihrem Bürgermeister eins auswischen wollen.

„Das war nicht schön“, räumte Scholz am Donnerstag ein, aber es sei „eben passiert“. Weiter mache er sich darüber keine Gedanken. Nach 13 Jahren Bundestag und Bundesregierung, sagt er, „bin ich Kummer gewöhnt“.

Doch so einfach ist es nicht. Scholz’ Bonus des Siegers, der Hamburgs SPD nach zehn Jahren wieder an die Macht führte und das gleich mit absoluter Mehrheit, verblasst langsam. In der Partei wird immer häufiger der straffe bis autoritäre Führungsstil des Partei- und Regierungschefs kritisiert – natürlich nur hinter vorgehaltener Hand. Zurzeit entwerfen Scholz und Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) den Doppelhaushalt 2013 / 2014, und weil dort der Rotstift regiert, entzündet sich Unmut bei einzelnen Abgeordneten. Die akzeptieren zwar, dass gespart werden soll, aber eben nicht im jeweils eigenen Ressort.

Wie unaufrichtig dabei taktiert wird, zeigte nun der zweite Wahlgang. Diesen setzten SPD und CDU mit ihren 88 Stimmen in offener Abstimmung gegen den Widerstand von Grünen, FDP und Linksfraktion durch, die den Wahlgang aus Protest boykottierten. Das Ergebnis der geheimen Abstimmung war indes ernüchternd: Von 88 abgegebenen SPD- und CDU-Stimmen entfielen nur 81 auf Schulz, also exakt die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit. Hätte sich der kranke Frank Schira nicht aus Parteiräson ins Rathaus geschleppt, hätte Schulz – wie auch Scholz – eine Stimme gefehlt.

„Die SPD hat ihre Mannschaft nicht an Bord“, kommentiert Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan das, was sein SPD-Pendant Andreas Dressel „einen zugegebenermaßen holprigen Start“ nennt. Nach Kerstans Einschätzung werde jetzt „jede geheime Abstimmung zum Risiko für den Bürgermeister“.

Und das nicht nur im Parlament: Auf dem SPD-Parteitag am 9. Juni kandidiert Scholz erneut als Landesvorsitzender. 2010 war er mit jeweils rund 98 Prozent zum Parteichef sowie zum Spitzenkandidaten für die vorgezogene Bürgerschaftswahl gewählt worden. Da liegt die Messlatte hoch.

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