Bewegung: "Haben wir einen verloren?"

Der Chefredakteur des Magazin "Runners World" bietet nun einen spirituellen Laufkurs an - und verteilt dabei Bibelsprüche.

Da laufen sie, die Christen. Bild: Ulrike Schmidt

HAMBURG taz | In Marlies’ Kopf singen Mönche gregorianische Gesänge und sie betet das Vaterunser, wenn sie läuft. In meinem Kopf singen die Ramones „Do You Wanna Dance?“ und „I Wanna Be Sedated“, wenn ich laufe, manchmal auch „Blitzkrieg Bop“, manchmal auch wenn ich nicht laufe.

Heute Abend rutscht die Sonne ziemlich überirdisch schön hinters Planetarium, auf dem Rasen an der Saarlandstraße liegen zwei Jungs und wälzen sich im Gras wie junge Hunde. Eine Menge Leute rennen durch den Stadtpark. Eine Menge plus 14 Frauen und Männer, von denen einige über das, was mittleres Alter heißt, hinaus sind. Sie haben sich um an der U-Bahn-Haltestelle Saarlandstraße getroffen und waren – Protestanten – pünktlich. Dann sind sie zum Stadtpark gegangen, in der Nähe des Cafés Sommer-Terrassen, wo einige ihre Autos abgestellt haben, werden letzte Dinge besprochen.

Frank Hofmann, 49 Jahre alt, ist der Chef. Er hat es im Leben zu einer Marathonzeit um die drei Stunden, einem Doktortitel in Philosophie, der Stelle als Chefredakteur beim Magazin Runner’s World, dem Buch „Marathon zu Gott: Ein spiritueller Trainingsplan“ und Vaterschaft gebracht. Er geht schon lange laufen, nicht so lang mit Gott. Wie oft bei denen, die spät etwas finden, hält er es intensiv fest.

Er hat kleine Zettel mitgebracht, auf denen steht: „Ich werde einen Engel schicken, der dir vorausgeht. Er soll dich auf dem Weg schützen und dich an den Ort bringen, den ich bestimmt habe.“ Bibel, Buch „Exodus“, Kapitel 23, der beliebte Taufspruch passt auch hier. Drunter Luther: „Von diesem neuen Sein schreitet der Mensch weiter und geht über in ein anderes, neues Sein durch das Leiden, das heißt durch ein Anderswerden in ein besseres Sein, und von hier wiederum in ein anderes. Es ist wirklich so, dass der Mensch immer im Werden ist.“ Jeder bekommt einen Zettel, für die Zeit, wenn es weh tun.

Da kommt mein Mantra „Do you wanna dance under the moonlight? Squeeze me baby all through the night, oh baby, do you wanna dance?“ nicht mit. Nicht theologisch.

Hofmann will mit den Läufern, die alle in die Petrikirche gehen, fünf oder sechs Kilometer laufen. Die Anfänger, die drei Minuten laufen und dann gehen, und immer weiter in diesem Rhythmus, sollen fünf, die etwas besseren sechs Kilometer oder mehr laufen. In 45 Minuten. Zum Umgang schlägt Hofmann vor, „dass wir uns duzen, zumindest so lange, wie wir hier zusammen sind“. Dann spricht er ein Gebet und es geht los. Nach zehn Metern fragt er: „Haben wir einen verloren?“

Die Ungeübten zieht es über eine große Entfernung auseinander, weil die Besseren unter den Ungeübten in drei Minuten weiter laufen als die anderen, und auch nicht nach drei Minuten Pause machen. Die ganz Ungeübten sind nicht ganz adäquat ausgerüstet. Kleine Gruppen kommen uns entgegen, Mädels mit Kopfhörern und Ines, mit schönem Laufstil.

Nach 45 Minuten trudeln die evangelischen Läufer vor dem Café Sommer-Terrassen ein. „Ich hab immer an die Engel gedacht“, sagt eine Frau zur anderen und die antwortet: „Ich hab gedacht: Engel, helft mir mal ein bisschen.“ Wir gehen ins Café und setzen uns an einen großen Tisch, die meisten nehmen Apfelschorle.

Die Veranstaltung hat am 11. April mit einem Theorieabend im Petri-Gemeindehaus angefangen und umfasst sechs Läufe in ganz Hamburg. Die Distanz soll stetig zunehmen, Hofmanns Ziel ist, „die Teilnehmer eine Stunde in Bewegung zu halten“. Zukünftig wird Pastor Rolf-Dieter Seemann mitmachen, von dem Hofmann sagt, „dass er sich mit dem Laufen ein bisschen schwer tut“.

Übers Spirituelle beim Laufen zu sprechen ist nicht einfach, dass es etwas gibt, was sich meldet, wenn man sehr zu seinem eigenen Körper wird, mit Schmerzen und Erschöpfung zu tun hat, und der Reaktion des Körpers darauf, Kraft irgendwo herkommt, und man weiß nicht genau woher, ist nicht zu bestreiten.

Ob man da gleich mit Gott kommen muss, glaube ich nicht.

„Es ist viel leichter, beim Laufen mit Gott in Kontakt zu kommen als in einer harten Kirchenbank“, sagt Hofmann. Er erklärt, dass die Religion nicht nur das Laufen leichter mache, sondern das Laufen auch die Religion: „In der Bibel sind alle in Bewegung, die Theologie des Christentums ist eine der Bewegung, die zentrale Aussage: Du bist nie am Ziel, Du bist immer in Bewegung.“ Dann machen sich die Läufer auf den Weg nach Hause. Überm Stadtpark Mond und im Stadtpark Läufer. Ein paar haben Stirnlichter, under the moonlight.

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