Flüchtlingsband geht auf Tour: Coming to dabadabadab

Flüchtlinge proben den Aufstand. „The Refugees“ wollen zeigen, welche Talente in den Flüchtlingsheimen versauern, wenn sie nicht gleich abgeschoben werden.

Der Asylantrag von Sam, der in Reutlingen im Lager lebt, wurde abgelehnt. Er ist geduldet. Bild: Ulrike Schmidt

HAMBURG taz | Schwarze Strichmännchen, „BRING DEN MÜLL RAUS!“ in Rot an der Wand: geiles Treppenhaus. Und wenn einer versuchen wollte, Putz malerisch abblättern zu lassen – so müsste man’s machen (würde es aber nicht hinbekommen). Dann steht da plötzlich: „Müll hier“, roter Pfeil. So viel steht mal fest: In dem Haus sind sie sich, was die Entsorgung angeht, nicht einig.

Mit jeder Stufe die Treppe hoch, wird „dadadadadamm“ lauter. Das Musikstudio gehört Bente Faust und heißt „Off Ya Tree“. Es ist in der Moorfleeter Straße in Hamburg, wir mussten um ein paar Ecken rum, und wenn dann keiner aus dem Fenster winkt, findet man’s nicht. Heute Abend nimmt Faust nicht die übliche Miete. Nicht von Heinz „Ratte“ Ratz und den Refugees. Die nicht nur so heißen.

Faust hat auch mal ganz auf seine Miete verzichtet, als Yohannes, Saxofonist aus Äthiopien, nicht kam, trotz Zugticket. Weil ihn die bayerische Polizei auf dem Münchner Bahnhof so lange kontrollierte, bis der Zug weg war. Ratz hatte Yohannes ein Zugticket mit Zugbindung gekauft. In Hamburg saßen sie im Studio, in München saß Yohannes mit seinem Saxofon. Musste Ratz noch ein Ticket kaufen.

Die Band: Les Réfugiés, Vorgänger von The Refugees, sind 2006 aus einem Streik von Flüchtlingen aus dem Heim Blankenburg bei Oldenburg hervorgegangen. Über mehrere Wochen hatten die Flüchtlinge damals gegen ihre Unterbringungsbedingungen protestiert. Die Tourdaten finden Sie hier.

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Die Residenzpflicht: Asylbewerber und Geduldete unterliegen in Deutschland der sogenannten Residenzpflicht. Diese europaweit einzigartige Bestimmung verbietet es ihnen, den zugewiesenen Landkreis zu verlassen. Ausnahmen müssen bei der Ausländerbehörde beantragt werden. Für diese Genehmigungen müssen Flüchtlinge, die meistens nicht arbeiten dürfen und gleichzeitig nur 40 Euro Bargeld im Monat bekommen, häufig eine Gebühr bezahlen. Die Behörde kann diese Genehmigung verweigern. Verletzen Flüchtlinge die Residenzpflicht ohne Erlaubnis, drohen zunächst Bußgelder, im Wiederholungsfall Gefängnis. Verdachtsunabhängige Kontrollen dunkelhäutiger Menschen durch Polizeistreifen werden oft mit der Residenzpflicht begründet. Das Gesetz treibt die Statistik der sogenannten Ausländerkriminalität in die Höhe. (cja)

Mit Flüchtlingen zu musizieren ist eine Herausforderung. Am Klavier sitzt Enno, am Schlagzeug Basti, die gehören zu Ratz’ Band „Strom & Wasser“. Sam trommelt, und Hossain singt. Ratz, 43, Musiker, Schriftsteller, Sportler, der in Kiel lebt, hat 2010 im Rahmen einer elend langen Radtour 80 deutsche Flüchtlingslager besucht. Er war „erschüttert“, er hat „so viele schreckliche Dinge gesehen“, dass er „am Ende was Schönes machen wollte“. Musik.

In den Lagern sitzen Musiker, die aus Ländern mit totalitären Regimen abgehauen sind. Sitzen jahrelang da, ohne Instrumente. Haben Klänge nur im Kopf und die können nicht raus. „Da geht tolle Musik verloren“, sagte sich Ratz. Und änderte das. So entstand „Strom & Wasser feat. The Refugees“. Die Refugees, da fast alles Solomusiker, brauchten eine Begleitband, dafür halten Enno, Basti und Heinz her, der Bass spielt.

Geld dürfen sie nicht kriegen

Heute proben sie hier im „Off Ya Tree“, um eine CD aufzunehmen. Sie sind fast fertig, bald gehen sie auf Tour. Heute, Donnerstag, erster Auftritt in Osnabrück im Theater. Um zu touren, braucht Ratz für jeden Flüchtling eine Genehmigung der zuständigen Ausländerbehörde. Es gibt Behörden, von denen kriegt Ratz nie eine Antwort auf seine Anfragen. Es gibt Behörden, die lehnen sie ab, andere genehmigen mit Auflagen.

„Die Route ist vorgeschrieben und das Datum, wann der Flüchtling wieder zurück sein muss“, sagt Ratz. Da darf man keinen Fehler machen, sonst war diese Genehmigung die letzte. Geld dürfen die Flüchtlinge nicht bekommen, sonst machen sie sich strafbar, und dann können sie ihren Asylantrag vergessen. Sie sollen mit den 40 Euro Bargeld, die es in den meisten Bundesländern gibt, nicht auskommen. Darum geht’s ja.

„Ahijawoh“, kommt es aus dem Studio. Und dann groovt es. Die meisten Songs entstehen im Studio, ein paar bringen die Flüchtlinge mit. In Osnabrück sollen sechs Refugees auf der Bühne stehen, beim Folk Baltica-Festival in Grasten (Dänemark) am 12. Mai elf. Die Flüchtlinge haben Angst, dass Deutschland sie gerne rauslässt. Aber nie wieder rein.

Sam, 29, aus Gambia, singt „ahijawoh“, und wenn er eine zweite Stimme braucht, macht das Hossain, 17, in Afghanistan geboren, dann in den Iran geflohen, seitdem auf der Flucht. Wann Enno einsteigen soll und wann Heinz aus, sagt Sam mit den Augen. Oder mit den Fingern, die er eigentlich fürs Trommeln braucht. Nur im Notfall Sprache.

Maybe a little bit Pause

Ratz wollte mal Roma nach Hamburg einladen, um mit ihm zu musizieren. Als er anrief, waren sie schon abgeschoben. Sieben Flüchtlinge, die er auf seiner Reise durch die Lager kennen lernte, haben sich umgebracht. Ratz sieht Band und CD als „politische Arbeit“: „Die Leute sollen merken, was wir den Flüchtlingen in den Lagern antun.“ Ratz sammelt Instrumente, die er in die Lager bringt , er braucht Sponsoren. Einfach geht nur die Musik.

Wie soll der Song mit dem „ahijawoh“ enden? Vielleicht so, schlägt Enno vor, dann perlt was aus dem Klavier, hm, oder besser so? Noch ein paar Perlen. „Ahjoh“, das ist schwer. Sam spielt was, und „dann maybe a little bit Pause“, sagt er, und dann so weiter: „Ahehehehejo“, nein, zu viele „hes“. Vielleicht zwei statt vier? Hossain singt zwei „hehes“, findet vier aber besser. Hm. Und Enno sagt, dass das doch immer vier „hehehehes“ waren. „Ja“, nickt Sam, „in der Mitte“, aber doch nicht am Schluss des Songs. „Ah“, sagt Enno. Hm. „Ahjaho?“, wie klingt das?

Also pass auf, wenn „ich mit meiner Stimme das mache, dann ist das the sign that we are coming to dabadabadab. Alles klar?“, fragt Sam. Enno, Basti und Heinz, der, wenn er sich konzentriert, rote Ohren und Wangen bekommt, nicken. Wenn Basti dann immer auf „jo“ laut wird und Heinz den Einsatz nicht verpasst, wird’s gut. Sam schwitzt ein bisschen. Nun der zweite Song, viel Solo für Sam.

Hossain macht Pause. Schicker Gürtel, weiß, mit einem silbernen Dollarzeichen, den er da trägt. Aus dem Iran floh Hossain, weil es den dorthin geflohenen Afghanen nicht gut geht und weil die dort nichts für Hiphop übrig haben und sein Stiefvater nichts für Hiphop übrig hat und ihn aus ihrem Haus in Isfahan warf und weil er in Teheran im Gefängnis saß und weil sie ihn dort verprügelt haben. Hiphop ist wichtig, ist sein Ding.

Warten auf die Anhörung

Hossain lebte drei Monate in der Türkei, arbeitete dort als Tellerwäscher, floh nach Griechenland, mit dem Schiff, weil ihm jemand sagte, in Griechenland sei es besser und die Überfahrt kein Problem. „Auf dem Schiff starben acht Menschen: fünf Frauen, zwei Kinder und ein Mann“, sagt er, weil sie länger dauerte als geplant. In Griechenland, sagt er, war es schlimm: „Zu viele Flüchtlinge.“ In Griechenland sagten die Behörden zu ihm: „Du bis 16, du kannst nicht hier bleiben, du bist zu jung.“ Er hat im Park geschlafen, für Touristen Mundharmonika gespielt. „Nur die Touristen“, sagt er, „haben in Griechenland noch Geld.“

Dann hat er einen Christian kennen gelernt, der sagte, er soll nach Berlin kommen, dort würde er ihm helfen, was die Musik anbelangt. Hossain machte sich auf den Weg nach Berlin. Geholfen hat ihm dort keiner. Jetzt lebt er in Hamburg, hat eine „Aufenthaltsgestattung“, das bedeutet, dass das Asylverfahren noch läuft und Hossain auf seine Anhörung wartet. Der Asylantrag von Sam, der in Reutlingen im Lager lebt, wurde abgelehnt. Er ist geduldet.

Auch Hossains Bruder ist aus dem Iran geflohen: „Ich weiß nicht, wo er ist“, sagt er. Seine Mutter, mit der er dann und wann Kontakt hat, weiß es auch nicht. Er geht jetzt zur Schule, „mit Kindern zusammen“, sagt der 17-Jährige, um Deutsch zu lernen. Er darf bald die Schule wechseln, damit er sich nicht mehr so komisch vorkommt. „Ich bin glücklich“, sagt er, „ich gehe zum Fußball, ich gehe in die Schule, ich gehe ins Fitnessstudio, ich darf Musik machen.“ Eine Zeit lang, sagt er, „hatte ich ein schweres Leben, jetzt ist es leichter“. Hossain hat drei Songs auf der CD, 14 im Repertoire.

Keine „ahjahos“ und „ahehehehejos“ mehr aus dem Studio nebenan. Sam braucht Pause. Er geht an uns vorbei zur schweren Stahltüre, die das Equipment des Studios schützen soll. Sam zieht an der Tür, die geht nicht auf. Sie klemmt nur, aber für Sam fühlt sie sich abgeschlossen an. Sam macht ein Geräusch mit seiner Stimme, die gerade noch „ahehehehejo“ gesungen hatte, das besteht nur aus Panik.

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