Christiane Rösinger auf Lesereise: Der Elan des Alleinseins

Sie ist eine Berliner Institution: Christiane Rösinger, Musikerin, Sängerin, Betreiberin eines Plattenlabels. Jetzt stellt sie ihr Buch „Liebe wird oft überbewertet“ vor.

Christiane Rösinger freut sich in der Markthalle in der Kreuzberger Pücklerstraße über den Echo-Preis 2011. Bild: imago/bernd friedel

„Liebe wird oft überbewertet“: Irgendwie macht dieser schöne Satz gute Laune. 1995 war er die Refrainzeile eines fröhlich dahinschrammelnden Songs der Lassie Singers, heute ist er Titel eines nicht minder fröhlich dahinplaudernden – nun ja, sagen wir vorläufig: Sachbuchs der ehemaligen Frontfrau Christiane Rösinger.

Frau Rösinger, das weiß man sogar von Prenzlauer Berg aus, ist eine Kreuzberger Institution. Sie hat viele Jahre im Indie-Pop-Geschäft verbracht, erst mit den Lassie Singers, dann mit der Band Britta, zuletzt als Solistin in jugendlicher Begleitung, etwa durch den Ja, Panik!-Gitarristen Andreas Spechtl.

Sie hat ein Plattenlabel betrieben und hat mit anderen zusammen in den Neunzigern die Flittchenbar am Ostbahnhof erfunden und dann vor einem Jahr am Kottbusser Tor wiederbelebt. Sie hat um die Jahrtausendwende als Chronistin für die Berliner Seiten der FAZ gearbeitet, Konzertkritiken und Kolumnen für die taz und für den Radiosender FM4 verfasst und irgendwann angefangen, Bücher zu schreiben: „Liebe wird oft überbewertet“ ist ihr zweites Buch.

Fünf Tage Interviews über Liebe

Wir treffen uns im Weltrestaurant in der Pücklerstraße, auch so eine Kreuzberger Institution, in der Leander Haußmann seine 80er-Jahre-Hommage und Sven-Regener-Verfilmung „Herr Lehmann“ gedreht hat. Christiane Rösinger, die seit 28 Jahren im Haus nebenan wohnt, sitzt hier nun schon am fünften Tag in Folge, um Interviews zur überbewerteten Liebe zu geben.

Ich frage gleich, ob das Buch eine Art Eigengehirnwäsche gewesen sei; schließlich gehen mir von ihrem letzten Album „Songs of L. and Hate“ noch Zeilen wie „Das Pech der Liebe klebt an mir wie Dreck“ oder, schlimmer noch, „Bist du einmal traurig und allein / Gewöhn dich dran, es wird bald immer so sein“ durch den Kopf.

„Ich dachte, ich erfinde für die Interviews eine Kunstfigur, und alle wirklich persönlichen Fragen blocke ich ab“, lacht sie. „Klappt aber nicht.“ Dann erzählt sie, wie sie als badische Bauerntocher mit Anfang zwanzig schwanger wurde und, ganz verliebt in ihren Freund, entschied: „Das machen wir jetzt!“

Rösinger zog, da das Geld knapp war, mit Hund, Freund und Baby zurück in den Bauernhof ihrer Eltern – „aber dieses bürgerliche Zusammensein mit Kind, das hab ich mit 21 schon nicht ausgehalten“. Sie trennte sich (und ist heute noch gut befreundet mit dem Vater ihrer Tochter), machte auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nach, begann eine Buchhändlerlehre und ging nach Berlin.

„Ich habe auch keinen zweiten Familienanlauf genommen“, sagt sie. „Ich wollte das wirklich nie, dieses Familiending. Ich dachte auch später immer wieder, ich ersticke darin. Oder ich hab mir gleich Leute ausgesucht, die so schwierig und kompliziert waren, dass wir gar nicht erst in die Verlegenheit größerer Nähe kamen. Häuslichkeit war mir immer ein Graus.“

Anderthalb Jahrzehnte Müdigkeit

Das Buch: "Liebe wird oft überbewertet", ein Sachbuch, 220 Seiten, Fischer, Frankfurt 2012

Das Hörbuch "Liebe wird oft überbewertet" mit Livemusik von Rösinger und Band erscheint Mitte April im Schallplattenhandel.

Auf Lesetour: 18. 3., Köln, Kulturkirche; 25. 3., Berlin, Volksbühne; 23. 4. Hamburg, Uebel & Gefaehrlich. Weitere Termine unter www.christiane-roesinger.de

Literatur studieren, ausgehen, Band gründen: Wie ging das, alleine mit Kind? „Ich find’s wirklich nicht so schlimm, allein ein Kind großzuziehen“, beruhigt mich Rösinger, „auch ohne Geld, wohlhabende Eltern oder Unterhalt vom Kindsvater.“ Erst bezog sie Sozialhilfe, später BaföG und Wohngeld, jobbte wochenends bei Karstadt am Hermannplatz, „aber klar, ein totales Armutsrisiko ist das schon“.

Einmal hat ihre Mutter ihr eine Waschmaschine spendiert, damit sie nicht immer Kind und Kegel aus dem vierten Stock in den Waschsalon und wieder zurückschleppen musste. Na gut, anstrengend war es auch: „Nachts war ich oft weg, kam um 6 Uhr heim, bin um 7 wieder aufgestanden, weil das Kind zur Schule musste. Ich war zwischen 1981 und 1994 immer nur müde.“

Sie wundert sich über weibliche Verhaltensweisen, die sie heute in ihrem Umfeld beobachtet, etwa das ewige Abwägen vor dem Kinderkriegen: „Ist das jetzt der richtige Mann, der richtige Zeitpunkt? Die Leute haben gar keinen Mut mehr, so was anzupacken.“

Anfang der 80er, erinnert sich Rösinger, lag der 70er-Jahre- Feminismus noch in der Luft und mit ihm die Überzeugung, dass man mit niemandem zusammenleben muss, den man nicht liebt – auch nicht um der Kinder willen: „Wenn ich jetzt mit 36-Jährigen rede, dann staune ich, wie negativ die über ihre Beziehungen sprechen, um dann zu sagen: ’Na ja, vielleicht kriegen wir noch ein Kind.‘ Das ist für mich unvorstellbar!“

Auch Charlotte Roches „Schoßgebete“, findet Rösinger, seien dafür symptomatisch, wie Frauen ihr Leben wieder bereitwillig der Familienideologie unterordnen. Und bekräftigt noch mal lachend in mein schon ganz ehrfurchtsvolles Gesicht: „Ich denk halt, mein Gott, man kann ein Kind auch allein großziehen. Mit dieser Überzeugung fühl ich mich manchmal schon wie eine Trümmerfrau!“

Liebe als Sinnstifter

Für ihr Buch hat Christiane Rösinger, flankiert von tagebuchartigen Beobachtungen, jede Menge Argumente zusammengetragen, die untermauern, dass die RZB (Romantische Zweierbeziehung) nicht unbedingt glücklicher macht als das Alleinsein, etwa dass, nur zum Beispiel, die Ehe zwar für Männer, aber keinesfalls für Frauen gesünder ist als das Singleleben.

Vor allem aber hat sie sich durch die aktuelle Beziehungsratgeberliteratur gelesen, um sie genüsslich in ihre ideologischen Bestandteile zu zerlegen. Denn das Paarmarketing werde immer aggressiver, der Ratgebermarkt floriere: „Die Liebe ist doch das Einzige, was noch zählt. Der Kapitalismus ist kalt, die Religion kann uns nicht trösten, da wird die Partnerschaft zum Sinnstifter. Die Liebe wird uns als letzte Bastion gegen den Kapitalismus und unsere neoliberale Gesellschaft verkauft – ich denke aber eher, sie ist ein Schmiermittel, um das alles ertragen zu können.“

Ich war sehr dafür, mich zu verlieben

Na gut. Alleine geht auch, und besser als unglücklich zu zweit ist es allemal. Aber gibt es auch Vorteile des Alleinseins, die mehr als das kleinere Übel sind? Christiane Rösinger denkt kurz nach und sagt erst mal: „Ich war immer, trotz der Ablehnung des Pärchenwesens, sehr dafür, mich zu verlieben. Hab auch immer viele Lieder darüber geschrieben.“ Aber: „Das Schöne am Alleinleben ist, dass man so viel macht. Natürlich auch, weil es ja immer ein bisschen langweilig ist, wenn man grade nicht verliebt oder traurig ist. Man muss sich also selber etwas ausdenken, das das Leben interessant macht: eine neue Band, ein neues Projekt, eine neue Bar … Wenn ich dann mal eine Beziehung hatte, hat dieser Elan sofort nachgelassen.“

Aber wieso hindert die RZB Männer nur selten daran, produktiv zu sein, während es bei Frauen oft umgekehrt ist? „Beziehungsfrau sein zieht unheimlich viel Energie ab. Selbst wenn die Beziehung gut ist. Man achtet auf den anderen, denkt für zwei: Amüsiert er sich gerade, wie geht es ihm, was denkt er jetzt? Die vorbildliche Beziehungsfrau stellt immer das gemeinsame über das eigene Wohl, selbst wenn ihr Partner das gar nicht erwartet“, glaubt Rösinger, die ansonsten sehr darauf geachtet hat, das Genderthema aus ihrem „Pamphlet“ heraushalten.

Womit frau dann doch wieder bei sich selbst und der Verantwortung für das eigene Glück wäre: ob nun allein oder zu zweit. Rösinger, deren „emotionale Grundversorgung durch Tochter, Enkel, Freundeskreise, Bandkollegen und Familie gedeckt ist“, sieht das gelassen.

Wohlstandskinder warten auf ihr Erbe

Wir reden noch eine ganze Weile über Generationen- und Geschlechterunterschiede und, obwohl Christiane Rösinger sich eigentlich geschworen hat, dazu nichts mehr zu sagen, über das prekäre Wirtschaften als kreative Freiberuflerin.

„Die meisten, die über Prekarisierung geschrieben haben, waren Kinder wohlhabender Eltern, wohnten in Eigentumswohnung, hatten ein Erbe zu erwarten … in meinem künstlerischen Milieu ist es total selten, dass jemand aus proletarischem oder ländlichem Umfeld kommt, die meisten stammen aus dem gehobenen Bürgertum. Das war ein total verlogenes Modethema.“

Auch für ihre Kritik am bürgerlichen Liebesmodell hat dieses Umfeld Konsequenzen: Einerseits weiß Rösinger, was reale Existenzängste sind. Andererseits sind ihr auch die hysterischen Abstiegsängste des Mittelstands erspart geblieben und damit vielleicht auch einer der Zwänge zur Zweisamkeit.

Die Pärchenkritik will Christiane Rösinger jetzt erst mal hinter sich lassen, bevor ihr das noch als „Lebensthema“ angedichtet wird. Ihr nächster Plan ist eine Reise nach Baku, zum Eurovision Song Contest. Mit dem VW-Bus und Claudia Fierke, einer Freundin und Gitarristin der Band. Die Route wird über Budapest, Belgrad, Sofia und Istanbul am Schwarzen Meer entlang nach Tiflis und dann weiter nach Aserbaidschan führen. Auftrittsmöglichkeiten hat sie organisiert, der Buchvertrag ist in Arbeit. Sie freut sich. In einer RZB wäre sie auf „diese Schnapsidee“ vielleicht gar nicht gekommen.

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