Zukunft: Nordfriesland im Cyberrausch

Bisher sieht es mit dem Internet in Nordfriesland eher schlecht aus - nur langsam kriechen die Daten durch die veralteten Leitungen. Nun nehmen die Friesen ihr Schicksal in die Hand.

Die Internetverbindung in Riesbriek: manchmal zum Verzweifeln. Bild: Eyke F. Kaeding

BREKLUM taz | „Manchmal glaube ich damals, mit meinem C-64, hatte ich mehr Spaß“, sagt Mark Friedrichsen, lässt langsam die Hand von der Tastatur rutschen, lehnt sich zurück und fingert eine Zigarette aus der Packung. Der 33-jährige Elektroniker hat Zeit. Gerade eben wurde er aus der Online-Pokerrunde geschmissen. „Time Out“ steht auf dem Bildschirm, das Zeitlimit für das Setzen der Chips ist überschritten. Die Internetgeschwindigkeit in Drelsdorf, einem 1.200 Seelen-Dorf im nördlichen Nordfriesland, war mal wieder zu langsam. Und weil bei dieser „Trümmer-Verbindung“ auch das YouTube-Video vorladen muss, bläst er jetzt blauen Rauch durch das Fenster und klagt: „Gefühlt denk’ ich: man ist am Arsch der Welt.“

So wie Mark geht es den meisten, die in der Provinz das World Wide Web nutzen wollen. Durch die veralteten Kupferleitungen kriecht hier selten mehr als doppelte ISDN-Geschwindigkeit. Manch einer der Bewohner ist so bereits zum Multi-Tasker geworden, während drinnen die Daten zäh tröpfeln, wird draußen der Pferdestall gemistet.

Seit Jahren wartet man auf einen Ausbau, bisher vergeblich. Das Verlegen von Glasfaserkabel auf dem dünn besiedelten Land, in Fachkreisen als „Fibre to the Bauernhof“ verspottet, gilt unter Telekommunikationsunternehmen als unwirtschaftlich: Zu hoch die Investitionen, zu langsam der Rückfluss, zu niedrig die Renditeerwartungen. Doch es gibt Hoffnung.

Quote: Die Gesellschaft braucht mindestens 60 Prozent Zustimmungsquote in den Dörfern, damit sich die Investition rechnet.

Lokal: Die Breitbandnetzgesellschaft hat mit dem lokalen Provider Kiel-Net einen Dreijahres-Exklusivvertrag für Internet, Fernsehen und Telefon abgeschlossen. Danach ist das Netz frei für weitere Provider.

Bauphase: In fünf Jahren sollen etwa 25.000 Anschlüsse gelegt werden.

Alte Technik: DSL (Digital Subscriber Line) ist ein Breitbandanschluss per Kupferleitung mit Übertragungsraten bis maximal 50 MBit.

Glasfasertechnologie codiert die Daten als Lichtsignale und sendet in optischen Leitungen. Die Übertragungsrate ist hoch und verlustarm, beginnt bei 50 MBit und lässt sich auf ein Vielfaches steigern.

Der Retter des Internets in Nordfriesland hat ein Büro in einem roten Backsteingebäude in Breklum, 15 Kilometer nördlich von Husum, im goldenen Dreieck von Lidl, Aldi und kik Textilien-Discounter. „Experten sagen: ’Was ihr in Nordfriesland baut, ist das modernste was man sich vorstellen kann. Nicht einmal die Landeshauptstadt hat ein so leistungsfähiges Netz‘“, sagt Ulla Meixner und umgeht lächelnd ihren Schreibtisch, der auf Bauchnabelhöhe hochgekurbelte ist.

Die 51-Jährige ist für die Organisation und das Marketing der Breitbandnetz GmbH & Co. KG zuständig und hat viel zu tun. Das ehrgeizige Ziel der zwei Jahre alten Firma mit sechs Mitarbeitern: das nördliche Nordfriesland mit einem Netz aus Glasfaserkabeln ausrüsten. Jeder Haushalt, jeder noch so entlegene Bauernhof bekommt, wenn er will, in den kommenden fünf Jahren einen Glasfaser-Anschluss gelegt – kostenfrei. Insgesamt fünfzig Dörfer sollen so an das High-Speed-Internet angeschlossen werden, das einen Datentransfer von 50.000 kbit pro Sekunde und mehr ermöglicht – die gegenwärtige DSL-Höchstgeschwindigkeit in Großstädten liegt bei 16.000 kbits.

Gutes Geld

Hinter dem Unternehmen stehen 37 Gründergesellschafter aus der Branche der erneuerbaren Energien – Windkraftanlagen-Betreiber, Biomasse- und Solaranlagen-Besitzer aus dem Norden Nordfrieslands. „Wir haben in der Region gutes Geld verdient“, sollen sie gesagt haben, damals im Herbst 2010, als sie sich trafen, „jetzt wollen wir den Menschen hier etwas zurückgeben.“

Und weil sie selbst auch in der Region Geschäfte machen, denken sie dabei auch ein bisschen an sich selbst: Ihre Anlagen müssen nach der bundesweiten Energiewende bereit sein, blitzschnell miteinander zu kommunizieren, um das Land auch dann mit Strom beliefern zu können, wenn der Wind nicht weht oder die Sonne nicht scheint. Früher oder später muss also sowieso eine Up-To-Date Internet-Infrastruktur her.

Modell mit Zukunft

60 Millionen Euro will die Breitbandnetz GmbH investieren. Um diese Summe stemmen zu können, verzichten die Unternehmer auf überzogene und kurzfristige Renditeerwartungen – Verzicht üben, so hält man sich selbst und seinen Landkreis im 21. Jahrhundert wettbewerbsfähig. Es ist offensichtlich ein Finanzierungs-Modell mit Zukunft. Beraten von der Breitbandnetz GmbH hat sich im südlichen Teil von Nordfriesland bereits eine zweite Bürgerbreitbandgesellschaft gegründet; Husum darf sich damit Hoffnungen auf eine Datenübertragung per Lichtgeschwindigkeit machen. Geplant ist ein geschlossenes Konzept für die komplette Westküste.

Allerdings fehlen im südlichen Nordfriesland die finanzstarken Unternehmer aus der erneuerbaren Energie-Branche, wie sie der Norden hat. Deshalb sind die Einwohner angehalten, selbstständig 1.000 Euro in einen Topf einzuzahlen, in der Hoffnung, das dieser so groß wird, dass das Geld und damit die Glasfaserkabel alle beteiligten Dörfer am Ende tatsächlich erreicht.

Eine Solidaritätsprojekt, das zu funktionieren scheint – vorausgesetzt natürlich eines ist vorhanden: Kapital, entweder durch Firmen oder Einwohner. Und Riesbriek hat weder das eine noch das andere.

Ganz ohne Kapital bleibt der Internetausbau allerdings schwierig. Riesbriek, ein kleines Dorf nur wenige Kilometer vom nordfriesischen Drelsdorf entfernt, hat 220 Einwohner und eine Hauptstraße, die mehr an den Menschen vorbei als durch das Dorf hindurch führt. Riesbriek liegt im Kreis Schleswig-Flensburg, knapp außerhalb des Einzugsbereichs der Breitbandnetz GmbH. Das ist das Problem.

Man habe leider keine Biogas-Unternehmer und keine Betreiber von Solaranlagen, die ihnen finanziell unter die Arme greifen könnten, erklärt der Bürgermeister Reinhard Friedrichsen. Und weil er seine Mitbürger erst vor Kurzem für ein kleines Windparkprojekt zu Kasse gebeten habe, sei schnelles Internet auf absehbare Zeit finanziell nicht möglich.

Ohne Geld kein Internet: die Rechnung ist simpel. Und so müssen die Bewohner weiterhin auf Internet über Kupferleitungen zurückgreifen. Jene Technik, die nicht einfach nur langsam ist, sondern auch unvorhersehbar, was die Geschwindigkeit angeht. Weil es wie auf einer Autobahn je nach Nutzung einen Stau oder freie Fahrt gibt.

Für manche Riesbrieker ist das ein nervenzerrüttendes Drama. „Das Auto war Hammer selten!“ sagt Frerk, auf dessen Bauernhof bereits etliche seltene Autos stehen. Auf Ebay gab es diesen Fiat Panda, mit „Allrad-Antrieb!“ Für 150 Euro! Normalpreis wäre das Zehnfache. Experten bezifferten die Wertsteigerung des Autos auf 192 Prozent!

Ein außergewöhnliches Schnäppchen also und daher für Frerk ein absolutes Muss, mitzubieten. Nachts um viertel vor drei sollte das Angebot auslaufen. Wer in Riesbriek wohnt und bei Ebay erfolgreich einkaufen will, der muss „wegen des lahmen Internets schon 30 Sekunden vor dem Ende auf ’Jetzt Bieten‘ drücken“, erklärt Frerk seine Taktik. Über zwanzig Sekunden brauche die Verbindung, um alles zu bearbeiten, das Gebot komme dann im Bestfall exakt wenige Sekunden vorm Ende an. Die Konkurrenz auf den letzten Metern überraschen. So machen es die Profis.

Zu früh gefreut

Frerk stand eine Viertelstunde vorher auf, um nichts dem Zufall zu überlassen. Als die schwarzen Minuten zu roten Sekunden wurden, war es soweit. Die Uhr zeigte 30 Sekunden an, er ließ sein Gebot los, und: Sein Computer arbeitete „irre schnell“. Das Gebot sei „sofort durchgegangen“, erinnert sich Frerk entsetzt. Innerhalb von fünf Sekunden sah jeder seinen Höchstpreis. Er hatte die Hosen runtergelassen. Das Überraschungsmoment war hinüber.

Er wisse, was damals passiert sei, sagt Frerk heute. Er hatte sich auf die Internetgeschwindigkeit am Tage eingestellt, wenn das halbe Dorf vor dem Computer sitzt und der komplette Datentransfer manchmal zum Erliegen kommt. Diesmal aber war es nachts, und „nachts sitzt in Riesbriek kein Mensch vor dem Computer“. Deshalb waren die Leitungen so schnell.

Was blieb waren die längsten 20 Sekunden seines Lebens. Die Angst, ob ihn noch jemand überbieten würde, sei unerträglich gewesen, sagt er. Er gönnte sich ein Bier um seine Nerven zu beruhigen. Und noch eins, als er zwei Sekunden vor Ende überboten wurde. So ebayen Profis mit aktueller Infrastruktur.

Mark Friedrichsen in Drelsdorf freut sich schon: Selbstverständlich habe sein neuer 40 Zoll Flachbildschirm-Fernseher Internet, sagt er und drückt die Zigarette aus. Dann greift er sich die Fernbedienung und lässt sich in die Couchgarnitur sinken. Ein Knopfdruck, dann macht er eine ausschweifende Armbewegung über den Bildschirm. Auf 102 Zentimetern Durchmesser öffnet sich dort das „Tor zur Welt der Unterhaltung“, die „Smart TV“-Oberfläche mit Webzugang.

Noch würden die Apps natürlich noch nicht richtig funktionieren, bemerkt Mark kritisch, als ein Icon asthmatisch aufblinkt und schwerfällig um die eigene Achse hinkt. Wenn aber im Herbst erst einmal die 50.000 kbits durch die Internetleitungen schießen, „dann glüht mein Fernseher“.

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