Deutsch-indische Liebe mit Hindernissen: In Gottes Namen

Sie lernen sich beim Yoga kennen: der indische Priester Anthony Lobo und die Deutsche Marina Alvisi. Er bricht mit der Kirche, und die bricht mit ihm. Jetzt kämpft er um seine Pension.

Streiten um ihre Akzeptanz für ihre Liebe: Anthony Lobo und die Deutsche Marina Alvisi. Bild: Anja Weber

Am Tag, der die Leben von Anthony Lobo und Marina Alvisi verändert, sitzen sie nebeneinander in einem Kaff im Taunus und machen Yoga. Atemyoga. Lobo, ein ergrauender, etwas verschlossener Mann Ende 60, macht es den Kursteilnehmern vor: lange einatmen, noch länger ausatmen. Beim Einatmen konzentrieren aufs eine Nasenloch, dann aufs andere. Lobo ist Inder, seit langem Yogi – und fast ebenso lang katholischer Priester. Neben ihm, auf dem letzten freien Fleck im Raum, hat Alvisi Platz genommen: ein schlankes Energiebündel, Architektin, 25 Jahre jünger als ihr Lehrer. Sie saugt alles auf: was dieser alternde Mann sagt, was er in ihr auslöst. In diesem Moment beginnt ihre außergewöhnliche Liebesgeschichte. Und ein Kampf.

Zwölf Jahre dauert beides nun schon. Was Anthony Lobo und Marina Alvisi erlebt haben, lässt sich auf viele Arten erzählen. Als Odyssee zweier Menschen, die irgendetwas aneinander bindet. Als Parabel über kirchliche Moral oder die verbindende Kraft des Yoga. Vor allem aber ist es die Geschichte einer Liebe und ihrer Kosten, und sie führt in eine Drei-Zimmer-Altbauwohnung in Berlin-Schöneberg, vierter Stock, links.

Die Tür öffnet ein kleiner, lächelnder Mann, der sich links und rechts festhalten muss. Anthony Lobos Gleichgewichtssinn ist gestört. Eine der vielen Erkrankungen, die den einst kraftstrotzenden Priester, der Kopfstand machte und Tag und Nacht arbeitete, schwächen. Lobo tastet sich in die Küche der warmen Wohnung. Seit 17 Jahren gibt ihm ein Herzschrittmacher den Takt vor. „Ein ganz billiges Ding“, mehr finanzierte ihm seine Diözese in der indischen Millionenstadt Pune nicht. Es schlägt 70 Mal pro Minute. Egal, ob sein Träger schläft oder schuftet. Hinzu kommt das Alter. Lobo ist 78.

Die lange Vorgeschichte des Dilemmas

Mit an den Küchentisch setzt sich Marina Alvisi. Lobos Frau sieht jünger aus als 53 Jahre. Glatte Haut, ein dunkelblaues indisches Kleid, das schwarze Haar wird nur an den Schläfen etwas grau. Sie ist so, wie Lobo früher war: ständig in Bewegung, vom Kühlschrank zur Kaffeemaschine zum Küchentisch. Wenn Lobos Welt wieder wankt, hält er sich auch an ihr fest.

Beim Kampf des indischen Expriesters und der deutschen Yogabegeisterten geht es, streng genommen, um Geld. Die Diözese in Pune weigert sich, Lobo eine Pension zu zahlen. Dabei hat er über Jahrzehnte in der indischen Millionenstadt als Priester und Seelsorger gearbeitet. An der Spitze des Bistums stand bis vor zwei Jahren Bischof Valerian D’Souza. Lobo kennt D’Souza seit Langem. Ende der 50er Jahre erhielten sie gemeinsam in Eichstätt ihre Priesterausbildung. Nebeneinander lagen sie 1961 bei ihrer Priesterweihe, wie es die Tradition verlangt, flach auf dem kalten Marmorboden des Doms. Die Wege der beiden werden einander noch oft kreuzen.

D’Souza und dessen Nachfolger verweigern Lobo jede Hilfe. Das Bistum sagt: Ein Priester, der das Kirchenrecht bricht, hat kein Anrecht auf Pensionsgelder. In Interviews sagte D’Souza, für ihn sei Lobos Tat „überraschend und schmerzhaft“ gewesen.

Streit um Akzeptanz ihrer Liebe

Bei Lobos und Alvisis Kampf geht es nur vordergründig um Geld. Vor allem streiten sie um Akzeptanz für ihre Liebe. Wenn Alvisi erzählt, wie sie einander kennenlernten, dann klingt es, als mussten sie zwangsläufig zusammenkommen. Trotz allem. „Es war reiner Magnetismus“, sagt die Quirlige. „Die Magie der Liebe. Alle Energie in mir richtete sich zu ihm.“ Alvisi streckt ihre Arme gen Lobo. Er schweigt. Über Gefühle zu reden fällt ihm schwer. So war es von Anfang an.

Als Lobo Alvisi nach der ersten gemeinsamen Yogastunde erzählt, wie er als Achtjähriger in der deutschen Jesuitenschule in Indien sexuell missbraucht wurde, da tut er es in knappen Worten. Alvisi fällt ihm um den Hals. Lobo hält sie fern, schließlich ist er Priester. Sie sagt ihm: „Ich weiche nicht mehr von deiner Seite.“

Lobo ist nur zu Besuch in Deutschland. Nach seiner Rückkehr nach Indien besucht Alvisi ihn. In den wenigen Stunden, in denen er sich nicht um die Gemeinde kümmern muss, geht sie mit ihm spazieren. Langsam verstehen sie: Sie sind beide einsam. Dem Priester ist seine Kirche nie zur Ersatzfamilie geworden. Und das, obwohl er von früher Kindheit an für die Kirche lebt. Lobos frommer Vater schickte ihn auf eine von Deutschen geleitete Jesuitenschule. Später wird er in Deutschland zum Priester ausgebildet. Alvisi wiederum hat in ihrem Job oder in Beziehungen nie die ersehnte Erfüllung gefunden. Dass sie einander beim Yoga kennenlernen, ist kein Zufall. Beide suchen Ruhe, Kraft, Tiefe. Als sie aufeinandertreffen, geben sie einander viel, aber mit der Ruhe ist es aus.

Eine Beziehung wie aus einem Kitschroman

Zwei Jahre lang führen die beiden eine Beziehung wie aus einem Kitschroman: Er schreibt ihr Gedichte, trägt sie ihr beim Spaziergang vor. Sie bewundert den bereits kranken, aber noch immer beeindruckenden Mann: den Gemeindepfarrer, den Schulgründer, den Yogalehrer in der Tradition des weltweit bekannten Meisters Iyengar.

Alvisi, der bayerisch-italienische Wasserfall der Emotionen, hat nach einem wie Lobo gesucht. Und Lobo, der Kontrollierte, setzt sich ihrer Zuneigung wie Wasser dem Wasserfall aus.

Doch haben sie eine gemeinsame Zukunft? Lobo sucht Rat bei befreundeten Priestern. Einer fragt: „Bist du verrückt?“ Ein anderer rät: „Mach weiter, hier hat doch jeder eine heimliche Freundin.“ Ein dritter ist verwundert: „Die meisten Priester hier sind doch homosexuell.“

Der Heiratsantrag – der Bruch mit dem bisherigen Leben

Zwei Jahre lang dauert die Beziehung im Schatten. Dann, unvermittelt, sagt Lobo: „Wir heiraten am Ostersonntag.“ Das ist sein Heiratsantrag. Alvisi weiß nicht, wie sie fühlen soll. Sie hat sich einen Antrag gewünscht. Aber so? Sie ahnt nicht, wie viel Überwindung Lobo seine Entscheidung gekostet hat. Die vier Worte bedeuten den Bruch mit seinem gesamten bisherigen Leben.

Ostersonntag, 5. April 2002. Heimlich packt Lobo seine wenigen Habseligkeiten und verlässt sein karges Zimmer. Für immer. Die heimliche Hochzeit fällt karg aus. Ein kleines, armseliges Zimmer, aufgespannte Tücher sollen das etwas kaschieren. Dazu wenige Freunde, die keine Angst haben vorm Zorn der Kirche. Als auch noch der Standesbeamte ausfällt, traut Lobo sich und seine Marina kurzerhand selbst. Schließlich ist er nicht nur Priester, sondern auch staatlich anerkannter Rechtsanwalt. Beide Familien haben sich von ihnen abgewandt.

Kurz darauf verlassen sie Indien, es kommt ihnen vor wie eine Flucht. Seither wohnen sie hier, in Alvisis alter Wohnung in Berlin. Im Hausflur neben der Tür hängt ein Zettel, darauf steht schlicht „Yoga“. Ein Zimmer haben sie freigeräumt, um Unterricht zu geben. Vor allem Atemyoga, das schafft der schwache Lobo noch. Die Wohnung kann er nur noch unter Mühen verlassen. Vier Stockwerke in Zeitlupe, im Erdgeschoss wartet der Rollstuhl. Nur wenige Kursteilnehmer finden den Weg hierher.

Einen Pfleger will sie nicht beschäftigen

„Wir überleben, indem wir ganz, ganz schlicht leben“, sagt Alvisi am Küchentisch. Mit Kleidung von Freunden, einem günstigen Mietvertrag, dem Schwerbehindertenausweis für Lobo. „Dazu kommt die Hilfe von lieben Menschen.“ Ein Kardiologe prüft unentgeltlich Lobos Herzschrittmacher.

Mehr arbeiten will Alvisi nicht. Denn dann müsste sie einen Pfleger beschäftigen, der ihrem Mann hilft. Das mehr verdiente Geld ginge drauf für die Pflege. „Das Ziel ist ja auch, diese Liebe zu entwickeln und zu leben“, sagt Alvisi. Lobo im grauen Wollpulli, den ihm Freunde geschenkt haben, blickt auf den Tisch. Er weiß: In Indien ginge es ihm nicht besser als hier. Aber ihn schmerzt der Gedanke, seine Lebenszeit und seine Gesundheit der Kirche geopfert zu haben. „Und nun stehe ich da wie ein Bettler.“

Seit zehn Jahren schreibt Lobo seinem alten Weggefährten, dem Bischof, und fordert Pensionszahlungen. Seit zehn Jahren weigert sich die Diözese. Lobo schreibt auch D’Souzas Nachfolger Briefe. Er klagt, es gebe Priester und Bischöfe, die Kriminelle sind nach den Regeln des Zivil- und des Strafrechts ihrer Länder – und noch immer ihre Gehälter bekommen. Männer, die Kinder vergewaltigten, würden von der Kirche belohnt. Wo aber bleibe die christliche Nächstenliebe für Menschen, die ihr Leben lang für die Kirche gearbeitet haben?

Verhärtete Fronten

Viele Briefe haben Lobo und Alvisi seither verschickt, auch an den Vatikan. Der erklärt sich für nicht zuständig. Freunde haben eine Internetseite eingerichtet, um den Streit zu dokumentieren: church-gate.com.

Die Fronten sind verhärtet. Dem neuen Bischof passt nicht, wie das Paar im fernen Deutschland seinen Kampf öffentlich macht. Eine Anfrage der taz in Pune bleibt unbeantwortet. Nun erwägen die beiden eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Alvisi erzählt noch immer, Lobo hört noch immer zu und ergänzt. Ist es nicht fatal, das eigene Lebensglück zu binden ans Verhalten gleichgültiger, weit entfernter Menschen? Lobo schweigt. „Ja“, sagt Alvisi und geht vom Kühlschrank zur Kaffeemaschine zum Küchentisch, „das ist eine gute Frage“.

Hinter Lobo hängt das Poster einer Ikone aus der Hagia Sophia in Istanbul: Christus Pantokrator, Jesus als Herrscher der Welt. Ein Symbol göttlicher Gerechtigkeit.

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